Teilweise noch etwas wacklig auf den Beinen, erschöpft und müde trugen die Eishelden im Flieger nach Hause stolz ihre massiven WM-Silbermedaillen um den Hals. Am Pfingstmontag nach dem verlorenen, aber mitreißenden Finale wurden die Eishockey-Vize-Weltmeister zunächst in München, Düsseldorf und später auch in Berlin begeistert empfangen.
Mit Sprechchören feierten mehrere hundert Fans die erste deutsche WM-Medaille seit 70 Jahren und rührten die Spieler um Kapitän Moritz Müller, den besten WM-Stürmer John-Jason Peterka und Stanley-Cup-Sieger Nico Sturm ein letztes Mal, ehe sich das Silberteam von Tampere endgültig trennte. «Es fühlt sich einfach unglaublich an, hier so empfangen zu werden», sagte Peterka in München.
Party in «Heidi’s Bierbar»
Zuvor hatten sich das junge und noch entwicklungsfähige Team des Deutschen Eishockey-Bundes am frühen Morgen in «Heidi’s Bierbar» bei einigen Kaltgetränken im Zentrum Tamperes ein letztes Mal auf eine Mission eingeschworen: WM-Silber in diesem Jahr soll nach dem Anfang mit Olympia-Silber 2018 nur eine Zwischenstation auf dem Weg zu künftigen Titeln sein. «Wir haben Silber gewonnen, aber wir wollen immer noch Gold holen. Das ist immer noch das Ziel», sagte der deutsche WM-Topscorer Peterka.
Der 22-Jährige von den Buffalo Sabres steht wie der gleichaltrige NHL-Top-Verteidiger Moritz Seider maßgeblich für die jüngere Generation, die dem deutschen Eishockey in naher Zukunft Titel bescheren soll. Das, was 2018 bei den Winterspielen in Pyeongchang noch als Sensation wahrgenommen wurde, soll in naher Zukunft die Messlatte sein. «Das wird unser Anspruch in den nächsten Jahren, dass wir da oben mitspielen wollen», sagte Detroit-Verteidiger Seider. «Es ist kein Eishockeywunder mehr.»
Tatsächlich standen die deutschen Cracks im ersten deutschen WM-Finale seit 1930 trotz des erst am Ende deutlichen 2:5 (1:1, 1:1, 0:3) gegen Rekord-Weltmeister Kanada kurz vor dem Titel. «Es fühlt sich an wie eine heftige Niederlage für mich», sagte Angreifer Marcel Noebels von den Eisbären Berlin. Was sich auf den ersten Blick vermessen anhört, ist tatsächlich nachvollziehbar. Denn die kanadischen NHL-Stars schienen bezwingbar und waren keinesfalls besser, sondern lediglich abgezockter.
«Wir wollen alle, wenn wir ein Finale spielen, Gold gewinnen», sagte der beste deutsche WM-Spieler Nico Sturm, der sich begeistert von seiner WM-Premiere zeigte. «Aber das sind auch Erfahrungen, die man machen muss. Ich bin felsenfest überzeugt, dass wir hier wieder stehen.» Der 28 Jahre alte NHL-Angreifer der San Jose Sharks könnte in den kommenden Jahren die Rolle des Leaders im Team übernehmen. Die notwendige Siegermentalität bringt der Stanley-Cup-Sieger des vergangenen Jahres dafür mit.
Bundestrainer begeistert von jungen Spielern
Von den Ansprüchen begeistert zeigte sich Bundestrainer Harold Kreis. «Ich finde das toll. Wir haben viele junge Spieler hier, die einen unglaublich guten Eindruck gemacht haben und die noch eine lange Karriere vor sich haben. Und davon profitiert die Nationalmannschaft und das deutsche Eishockey», sagte der 64-Jährige, der durchaus Genugtuung über seine WM-Premiere als Chefcoach offenbarte.
Nicht viele hatten dem Team, das ohne die besten deutschen NHL-Spieler wie Topstar Leon Draisaitl und etliche verletzte Leistungsträger auskommen musste, etwas zugetraut. Doch Kreis formte einen verschworenen Haufen, der auch dem Druck nach den drei bitteren Auftaktniederlagen standhielt. «Alle Ziele, die uns vorgegeben wurden, sind erfüllt – und mehr», sagte Kreis angesichts der DEB-Vorgaben, die direkte Olympiaqualifikation für 2026 und das Viertelfinale zu schaffen.
Kreis war einigen nach seinen jüngeren Vorgängern Marco Sturm (44) und Toni Söderholm (45) nicht innovativ genug. «Es war auch meine Absicht, das fortzusetzen. Das hat die Mannschaft auch ganz hervorragend gemacht. Wir haben ein druckvolles Eishockey gespielt, kein Versteck-Spiel. Wir wollten das Spiel bestimmen», sagte Kreis. Das gelang. Auch gegen die Top-Nationen hielt seine Mannschaft spielerisch locker mit.
Kanzler Scholz gratuliert
Am Ende steht der größte deutsche WM-Erfolg. 1930 (Silber) und 1934 (Bronze) kann man angesichts der damaligen Besetzungen nicht ansatzweise mit den heutigen Turnieren vergleichen. Und bei der zuvor letzten WM-Medaille 1953 (Silber) waren gar nur vier Nationen dabei. «Ich werde wohl erst in ein paar Tagen realisieren, dass wir doch Historisches erreicht haben», sagte Noebels. Dies wurde auch in der Heimat so bewertet.
«Ihr habt alle begeistert!», verbreitete Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) über die Sozialen Medien und NHL-Weltklassespieler Draisaitl sagte auf dpa-Anfrage: «Unfassbar. Definitiv ein Turnier für die Geschichtsbücher. Ich freue mich riesig für die Jungs.»
Auch angesichts des nebenbei erhaltenen Zuschlags für die nächste Heim-WM 2027 forderten auch die Spieler Verband und Liga auf, die Euphorie diesmal nachhaltig zu nutzen. «Wir müssen schauen, dass wir nicht immer nur temporäre Höhen haben und dann ist die Euphorie wieder da für ein paar Wochen oder Monate und dann schwappt wieder alles weg», sagte etwa Sturm. Noebels adressierte vielsagend an den DEB: «Die Vermarktung ist jetzt wahrscheinlich sehr wichtig. Wir Spieler haben unser Bestmögliches getan, um den Sport wieder ein Stück nach vorne zu bringen.»