Im ersten Halbjahr dieses Jahres kamen mehr Asylbewerber in Deutschland an als in sieben Jahren. In Italien kamen letzte Woche an nur einem Tag rund 5.000 irreguläre Migranten mit Booten auf der Insel Lampedusa an.
Einwanderungsfragen sind dringlicher geworden. Doch wie Innenministerin Nancy Feser (SPD) betonte, können in einem Europa mit offenen Binnengrenzen einzelne Länder das Problem nicht lösen. Doch auf dem Weg zu einer gemeinsamen Lösung auf EU-Ebene gibt es kaum Fortschritte – aufgrund teilweise großer Meinungsunterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten. Wichtige Fragen und Antworten:
Warum wird die Deckeldebatte in Deutschland jetzt wieder hitzig?
Die Zahl der in Deutschland ankommenden Asylbewerber ist in den letzten Monaten deutlich gestiegen. In den ersten acht Monaten dieses Jahres stellten insgesamt 204.461 Menschen erstmals einen Asylantrag im Land. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2022 lag die Zahl der Asylanträge mit 217.774 Asylanträgen nur geringfügig höher.
Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat Deutschland mehr als eine Million ukrainische Kriegsflüchtlinge aufgenommen, vielerorts mangelt es an Wohnraum. Zeitweise sind auch Engpässe im Gesundheitswesen sowie in Schulen und Kitas erkennbar. Darüber hinaus widersetzten sich die Anwohner mancherorts der Unterbringung einer großen Zahl von Asylbewerbern. Bayerns Kanzler Markus Söder (CSU) sagte am Wochenende, dass eine „Integrationsgrenze“ von bis zu 200.000 Einwanderern pro Jahr nötig sei. Diese Zahl basiert auf den Möglichkeiten der Kommunen.
Was macht die Bundesregierung?
Im Juni half Faeser den EU-Innenministern, sich auf Reformen zu konzentrieren. Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS). Demnach sollen Asylanträge von Migranten aus Herkunftsländern mit Anerkennungsquoten unter 20 % innerhalb von 12 Wochen an den EU-Außengrenzen geprüft werden.
Schutzsuchende werden gebeten, während dieser Zeit in streng kontrollierten Aufnahmeeinrichtungen zu bleiben. Wer keine Chance auf Asyl hat, soll sofort abgeschoben werden. Auch ein Sprecher des Bundesinnenministeriums betonte: „Wir haben die grenzpolizeilichen Maßnahmen deutlich verstärkt.“ Allerdings darf die Bundespolizei Asylsuchende an der Grenze nicht abschieben oder ablehnen – es sei denn, es besteht ein Einreiseverbot.
Was wollen Länder und Kommunen?
Zu den wichtigsten Forderungen gehört eine stärkere Beteiligung des Bundes an den Kosten für Unterbringung, Betreuung und Integration von Einwanderern. Darüber hinaus heißt es vielerorts, die Bundesregierung solle ihre Anstrengungen zur Reduzierung der irregulären Einwanderung nach Deutschland verstärken, auch weil die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber schwierig und oft erfolglos sei.
Seit den Massenmigrationen von 2015 und 2016 haben die EU-Länder Schwierigkeiten, eine gemeinsame Basis in der Asylpolitik zu finden. Die meisten Innenminister haben sich zuletzt für eine Verschärfung der Regeln ausgesprochen. Es ist jedoch unklar, ob dies tatsächlich geschehen wird, da noch eine Abstimmung mit dem Europäischen Parlament erforderlich ist. Die Zeit drängt: Im Juni soll das EU-Parlament neu gewählt werden.
Besonders intensiv wird über die Krisenregulierung debattiert. Dies führt zu längeren Fristen für die Registrierung von Asylbewerbern an den Außengrenzen und birgt die Gefahr, dass die Standards bei der Unterbringung und Betreuung sinken. Die Bundesregierung steht dem Projekt eher skeptisch gegenüber, während die Pläne Polens und Ungarns nicht weit genug gehen. Eigentlich sollten die Verhandlungen auf EU-Ebene im Juli abgeschlossen werden, doch die Bundesregierung enthielt sich der Stimme. Es ist unklar, ob die Kontroverse um die Krisenregulierung andere Teile der Asylreform behindern wird.
Was ist mit freiwilligen Solidaritätsmechanismen?
Nur wenige Menschen nehmen an diesem Mechanismus teil. Die Mitgliedstaaten beteiligen sich mit dem Ziel, die Belastung für Länder an den Außengrenzen der EU, wie beispielsweise Italien, zu verringern. Feser hatte versprochen, bis zu 3.500 Menschen aufzunehmen, die dann in Deutschland ein Asylverfahren durchlaufen würden. Bisher hat Deutschland über diesen Mechanismus mehr als 1.800 Menschen aufgenommen, darunter etwa 1.000 Menschen, die in Italien Schutz gesucht hatten, und etwa 770 Menschen aus Zypern.
Deutschland will vorerst nicht mehr Menschen aus Italien abführen als die bereits ausgewählten Asylbewerber, weil Italien seiner Verpflichtung zur Rückübernahme der bereits ausgewählten Asylbewerber nicht nachgekommen ist. Bei ihnen registriert. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums hat Deutschland seit Anfang dieses Jahres rund 12.400 sogenannte „Dublin-Transfer“-Anträge an Italien gestellt. Allerdings wurden nur zehn aufgenommen, allesamt Asylbewerber, die freiwillig und selbstständig nach Italien gereist waren.
Welche Ergebnisse hat das neue Migrationsabkommen mit Tunesien bisher erzielt?
Die Europäische Kommission gab die Unterzeichnung eines Migrationsabkommens mit dem nordafrikanischen Land bekannt, einem der wichtigsten Transitländer für afrikanische Migranten nach Europa. Hintergrund ist, dass die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge, die derzeit in Lampedusa landen, nach Tunesien unterwegs sind. Als Gegenleistung für Millionen-Finanzhilfen sollten tunesische Sicherheitsbehörden härter gegen Schmuggler und verlassene Boote vorgehen. Die vereinbarte Vereinbarung ist noch nicht bindend, es muss noch eine formelle Vereinbarung geschlossen werden. Bisher ist kein Geld nach Tunesien geflossen.
Das geplante Abkommen wird aus verschiedenen Gründen heftig kritisiert: Einerseits befürchten NGOs und EU-Vertreter, dass die Menschenrechte von Flüchtlingen nicht geschützt werden. vollständig geschützt sein. Andererseits gibt es Kritik daran, dass das Abkommen angesichts der weiterhin hohen Flüchtlingszahlen noch nichts gebracht hat. Beobachter vermuten einen Eindämmungseffekt: Flüchtlinge und Schleuser könnten versuchen, in den Wochen vor Inkrafttreten des Abkommens so schnell wie möglich nach Europa zu gelangen.
Von der Leyen hat am Wochenende Hilfe angekündigt – was ändert sich jetzt?
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, sagte am Sonntag Hilfe für Lampedusa zu, als zahlreiche Flüchtlinge ankamen. Sie schlug einen Zehn-Punkte-Plan vor: Die See- und Luftüberwachung solle beispielsweise mit Hilfe von Frontex, der EU-Grenzschutzagentur, gestärkt werden. Darüber hinaus sollten die EU-Asylbehörden Italien bei der Registrierung neuer Flüchtlinge unterstützen und andere EU-Länder sollten Einwanderer aus Italien freiwillig aufnehmen. Wie und wann dies geschehen soll, ist unklar. Auch von der Leyen kann viele der Empfehlungen nicht alleine umsetzen, sondern die EU-Länder sind dazu verpflichtet.
Italien hat nun beschlossen, ein Paket härterer Maßnahmen zu ergreifen, darunter eine Verschärfung der Abschiebungshaft.Das Kabinett von Premierminister Giorgio Meloni hat in Rom beschlossen, die Höchstdauer der Abschiebungshaft um sechs Monate zu verlängern. Das Militär wurde außerdem angewiesen, spezielle Abschiebehaftanstalten einzurichten. Nach Angaben seines Umfelds sagte der rechtsextreme Premierminister bei dem Treffen, dass die Regierung die Entscheidung geschlossen unterstütze.