Agrar - Verabschieden Sie sich von der Knechtschaft: Glückliche Kühe – unglückliche Bauern?
Der Bayerische Bauernverband zeigt auf seiner Homepage glückliche Kühe auf einer grünen Bergwiese. Aber Zehntausende Kühe im Freistaat bleiben Jahr für Jahr in Ställen angekettet und gehen nie auf die Weide. Das will die Bundesregierung nun ändern.
Innerhalb von fünf Jahren sollten Milchbauern im ganzen Land auf Freilaufställe oder modulare Ställe umsteigen und die ganzjährige Anbindehaltung verbieten. Die Freistaaten wollen, dass der Bundesrat den Plan blockiert.
Wie funktioniert eine tiergerechte Nutztierhaltung?
„Man könnte sagen, dass eine Kuh glücklich ist, wenn sie gemeinsam mit einer anderen Kuh gepflegt wird“, sagt die Biologin Sabine Dippel vom Bundesinstitut für Tiergesundheit. Eine solche gemeinsame Fellpflege kann die Herzfrequenz der Kühe senken und ihnen so die Möglichkeit geben, sich zu entspannen. „Kühe brauchen andere Kühe“, sagt Dippel, „und sie brauchen Möglichkeiten, sich mit anderen auszutauschen.“ Wenige Wochen nach der Geburt beginnen die Kälber mit der Suche nach Gefährten.
Im Laufstall können Kühe ihr normales Verhalten zeigen. In Anbindeställen hingegen müssen sie manchmal ihr ganzes Leben lang neben Artgenossen stehen oder liegen, die sie überhaupt nicht mögen. Wenn sie länger festgehalten wurden, ohne sich zu bewegen, entwickelten sie Verhaltensprobleme – sie streckten zum Beispiel die Zunge heraus und rollten sie zusammen: „Das ist ein Zeichen von Stress“, sagte Dippel.
Kulturlandschaft und kombinierte Landwirtschaft
Nach Angaben des Verbands der Milchwirtschaft gibt es in Deutschland rund 51.000 Milchviehbetriebe, fast die Hälfte davon in Bayern. Nach Angaben des Bayerischen Bauernverbandes halten fast 10.000 landwirtschaftliche Betriebe im Freistaat das ganze Jahr über Kühe in Ställen angebunden.
Markus Fadel vom Biolandbauverband „Naturland“ sagte, das Problem sei vor allem ein Problem in Süddeutschland. Kleine Bauernhöfe mitten in Dörfern haben oft nicht genug Platz für einen Laufstall. Bei einer Umstellung müssten sie die Anzahl der Tiere reduzieren und sich dann fragen, ob das noch wirtschaftlich ist. Solche Kleinbetriebe machen einen großen Teil der Milchviehbetriebe in den Alpen aus: „Sie haben einen sehr starken Einfluss auf die gesamte Region, auf die Agrar- und Kulturlandschaft. Wenn es sie nicht mehr gibt, wird es irgendwann auch die offenen Weiden nicht mehr geben.“ . existiert“, sagte Fadel.
Co-Zucht ist eine Kompromisslösung: Kühe können im Stall angebunden bleiben, müssen aber mindestens 90 Tage lang frei herumlaufen dürfen. Ernest Schäffer, Vorstand des Bayerischen Ring Tierverarbeitender Betriebe (LKV), sagt, wenn ein Betrieb in einem dicht besiedelten, stark frequentierten Gebiet liegt, sei es für die Kühe schwierig, sich zu bewegen. Aber der kombinierten Landwirtschaft gehört die Zukunft, und die ganzjährige Anbindung sei „ein Auslaufmodell“.
Kostenänderungen
Der Allgäuer Landwirt Thomas Kögel hält 90 Kühe, davon 35 angebunden im Stall. Vor zwei Jahren investierte er rund 80.000 Euro in den Bau eines Laufstalls für seine kleinen Tiere. Schwieriger sei die Transformation erwachsener Tiere, die ihn bis zu einer Million Euro kosten könne: „Realistisch gesehen ist das in einer Generation nicht zu schaffen“, sagt Kogel.
Schäffer, Geschäftsführer des LKV, rechnet wie folgt vor: „Lagen die Baukosten für einen Milchstall früher bei 10.000 oder 12.000 Euro pro Kuh, sind es heute 14.000 bis 20.000 Euro, um Tierwohl und Arbeitsablauf sicherzustellen.“ Für einen landwirtschaftlichen Betrieb mit 70 und mehr Kühen Diese Arbeit kann für große Betriebe mit Milchkühen noch erschwinglich sein, für kleinere Betriebe jedoch nicht. Auch „Naturland“-Sprecher Fadel sagte: „Für Kleinbetriebe lohnt es sich nicht, in Laufställe zu investieren und dann schließen sie, weil es sich nicht lohnt.“
Kogel erbte den Hof von seinem Vater. „Im Grunde ist das mein Traum, mein Leben. Ich kenne nichts anderes“, sagte er. Die ganze Familie hilft auf dem Bauernhof, sein Bruder ist Besamungstechniker. „Ich habe jetzt das Glück, zwei Kinder im Alter von 12 und 10 Jahren zu haben, die total begeistert sind und es leben wollen“, sagt er stolz. Doch die Gesamtlage der Landwirtschaft setze ihn enorm unter Druck: „Im Moment bin ich unschlüssig, ob ich weitermachen soll.“
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Ich will einen Kompromiss, der unsere landwirtschaftlichen Interessen mit denen des Natur- und Tierschutzes in Einklang bringt.“ Aber die Landwirtschaft müsse einbezogen werden. „Wer so tut, als gäbe es keinen Druck, ignoriert die Tatsache, dass der Handel die Wünsche der Verbraucher nach mehr Tierschutz zunehmend umsetzt.“
Ob die Verbraucher bereit sind, dafür zu zahlen, ist eine andere Frage. Laut einer aktuellen Umfrage von Deloitte kaufen immer noch weniger als die Hälfte der Deutschen nachhaltige, biologische und umweltfreundliche Produkte. Der Hauptgrund ist der starke Anstieg der Lebenshaltungskosten.
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Quelle: www.stern.de