Europa-Allee in Frankfurt, ein «Ghost-Bike» erinnert an den Unfalltod eines 34-jährigen Radfahrers, der hier vor vier Jahren von einem Lastwagen beim Rechtsabbiegen erfasst und tödlich verletzt wurde.
Das ausrangierte, weiß gestrichene Fahrrad dient gleichzeitig als Mahnmal. Denn solche schweren Unfälle geschehen immer wieder, bundesweit. Vergangenes Jahr starben dabei nach einer Auswertung des Fahrrad-Verbands ADFC 19 Radfahrerinnen und Radfahrer, in diesem Jahr bis Mitte August 12. Die Zahlen seien zwar zurückgegangen, sie seien aber noch immer unerträglich hoch, kritisiert der Verband.
Assistenzsysteme sollen helfen
Offizielle Statistiken werden zu den Unfällen nicht geführt. Nach einer Auswertung von Polizei- und Pressemeldungen des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) waren die jährlichen Unfallzahlen bis zum Jahr 2020 mit im Schnitt mehr als 30 getöteten Radfahrerinnen und Radfahrern noch viel höher.
Den Rückgang führt der Verband auf die seit April 2020 geltende Pflicht für schwere Kraftfahrzeuge zur Schrittgeschwindigkeit beim Rechtsabbiegen zurück – und auf Abbiegeassistenten, die den Fahrer des Lastwagens warnen, wenn sich neben dem Fahrzeug ein Mensch befindet.
Eine Pflicht zum Einbau dieser Technik ist beschlossen, sie tritt aber nur schrittweise in Kraft. Seit 2022 müssen die Assistenten europaweit in allen neuen Fahrzeugtypen vorhanden sein. Erst ab 7. Juli kommenden Jahres werden alle neu zugelassenen Lastwagen und Busse ab 3,5 Tonnen von der Einbau-Pflicht erfasst.
«Für einen früheren Zeitpunkt gab es auf EU-Ebene keine Mehrheit», teilt eine Sprecherin des Bundesverkehrsministeriums mit. Das Ministerium fördert den freiwilligen Einbau. Bisher seien Gelder für rund 43.500 Assistenzsysteme bewilligt worden. Nach Einschätzung des ADFC sind derzeit maximal zehn Prozent der Lkw mit der Technik ausgestattet, also neun von zehn Lastwagen ohne unterwegs.
Wunsch nach Fördermitteln für mehr Sicherheit
In einem gemeinsamen Appell hatten der Bundesverband Güterverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) und der ADFC vor drei Jahren Politik und Unternehmen aufgefordert, den Umbau von Kreuzungen, getrennte Ampelschaltungen und die Nachrüstung mit dem Abbiegeassistenten voranzutreiben. Mit bisher nicht ausreichendem Ergebnis, wie beide Verbände kritisieren.
Der BGL zeigt zwar Verständnis, dass der aufwendige Umbau von Kreuzungen Zeit brauche. Doch die Forderung nach zeitlich getrennten Ampelschaltungen für geradeaus Radelnde und rechtsabbiegende Lastwagen und Autos wäre laut BGL zeitnah umsetzbar – und werde dennoch ignoriert. Zusätzliche Fördermittel für mehr Sicherheit würde sich der Verband zudem sehr wünschen, wie ein Sprecher mitteilte.
Opfer von Rechtsabbiege-Unfällen werden in der überwiegenden Anzahl Radfahrer, wie der Unfallexperte Siegfried Brockmann sagt. Fußgänger hätten immer die Chance, einen Schritt zurückzutreten. Der Radfahrer sei dagegen mit höherer Geschwindigkeit unterwegs, bei 20 Stundenkilometern betrage sein Bremsweg 10 Meter. «Wir haben hier ein sehr großes Problem, weil der Starke und der Schwache sich unweigerlich begegnen müssen», sagt der Leiter der Unfallforschung der Versicherer.
Bessere Sichtbeziehungen nötig
Lastwagen verursachten fast immer besonders schwere Unfälle, Hauptunfallgegner sei aber das Auto, sagt Brockmann. Die meisten Unfälle geschehen seinen Angaben zufolge dort, wo es keine Ampel gibt, etwa an Ein- und Ausfahrten von Tankstellen, Supermärkten und anderen Grundstücken.
Gegenmittel wären bessere Sichtbeziehungen, also ein direkter Blick auf den Radweg ohne parkende Autos und Hecken. Stoppschilder, Warnschilder und Haltelinien würden die Sicherheit zusätzlich erhöhen. An Kreuzungen wirbt Brockmann für getrennte Ampelschaltungen, doch die Kommunen nutzen die Möglichkeit noch zu wenig: «Da ist noch viel Luft nach oben», sagt Brockmann.
Dass die Pflicht zum Einbau der Abbiegeassistenten bei neuen Fahrzeugen erst im Sommer nächsten Jahres in Kraft tritt, kritisiert auch Brockmann. In der Praxis seien noch ganze Lkw-Flotten ohne unterwegs. Die Förderung des Bundes für deren freiwilligen Einbau reiche nicht aus.
Ohne die Technik seien Lastwagenfahrer auf ihre Spiegel angewiesen – wie den Weitwinkel-Spiegel, in dem ein Radfahrer jedoch sehr klein erscheine, zudem müsse der Fahrer auch nach vorne schauen, sagt der Unfall-Experte. Er selbst sei als Radfahrer an Kreuzungen mit Lastwagen sehr zurückhaltend: «Ich würde immer raten, so langsam vorbei zu fahren, dass man im Zweifel noch anhalten kann.»