„Man kann die Welt nicht besiegen“
Ein türkischer Karikaturist muss Repressalien abwehren. Ein französischer Kollege will allen Antisemiten und Rechtsextremisten entgegentreten. Ein Mann besuchte den Ort der schlimmsten Gräueltaten. Nach dem Fall der Berliner Mauer erlebte eine junge Frau ungeheure Freiheit. Eines haben die vier Comics gemeinsam: Die Protagonisten versuchen, in einer gewalttätigen Welt zu überleben.
Was kann man mit Satire machen?
Türkiye hat eine lange und erfolgreiche Tradition der Satire. Zeitschriften wie LeMan, Penguen und Uykusuz waren und sind im Land beliebt. Für letztere arbeitete auch Ersin Karabulut, einer der bekanntesten Illustratoren der jüngeren Generation. In der dreibändigen Reihe „Diary of Turmoil“ (Leseprobe) gibt er Einblicke in sein Leben, seine Liebe zu Comics und seine frühe Karriere. Er beschreibt auch die politischen Entwicklungen in der Türkei und den wachsenden Druck, dem das Magazin ausgesetzt ist.
Das Buch besticht durch seinen Humor, die überzeichneten Charaktere und die absurden Szenen, an denen Kara Brutt besonders viel Freude hat. Gleichzeitig war der Illustrator ein aufmerksamer Beobachter gesellschaftlicher Entwicklungen, die er teils subtil, teils sehr offen thematisierte: die chaotischen, gewalttätigen 1970er Jahre (bevor Karabulut 1981 geboren wurde), Militärputsche, Religion, das Anwachsen von Fanatismus und Rechts- Flügelkraft. Flügel-extremistische Schläger und schließlich der Aufstieg der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung und Recep Tayyip Erdogan.
Karabrut gelingt es, witzige und ernste Töne zwischen Privatleben und Politik gegenüberzustellen, da beides als Satiriker ständig miteinander verflochten ist. Er war nicht nur ein begnadeter Zeichner mit perfekter Beherrschung von Mimik und Gestik, sondern auch ein großartiger Humorist. Am Ende des Buches verlässt er das Haus seiner Eltern, um sie vor der wachsenden Bedrohung durch religiöse Kräfte zu schützen. Schauen Sie sich die folgenden Bände an: Erdogans Weg an die Macht und die anhaltende Neuordnung des Landes, zu der auch der wachsende Druck auf die Pressefreiheit gehört.
Deine Gewalt ist nur ein stiller Schrei nach Liebe
Joan Sfar ist einer der berühmtesten Künstler Frankreichs. Der produktive Autor hat zahlreiche Comics, Romane und Filme veröffentlicht. Aber selten ist Sfar so persönlich wie in seinem neuen Buch „Synagogue“ (Leseprobe). Wie Karabrut integrierte er seine autobiografischen Erfahrungen in gesellschaftliche Entwicklungen. In diesem Fall war es der zunehmende Antisemitismus in Frankreich in den 1980er Jahren, der dazu führte, dass Gemeindewächter Synagogen beschützen mussten. Sfar, der aschkenasischer und sephardischer jüdischer Abstammung ist, ist einer von ihnen, weil er nicht an den langweiligen Ritualen der Gemeinde von Nizza teilnehmen muss.
Sfar sagte von Anfang an, dass bei diesen Sicherheitsdiensten nichts passiert sei. Doch ausgehend von dieser Situation erinnert sich Sfar an seine Kindheit, an seinen Vater – ein alleinerziehender Vater, ein erfolgreicher Anwalt, der vor Gericht gegen Neonazis vorging – und an seine eigenen Begegnungen mit Antisemiten und Rechtsextremisten bei der Arbeit mit Molekülen. Die ultimative Frage ist, wie Juden sicher leben können. Was bedeutet es für den nicht-religiösen Sfar, Jude zu sein? Wenn man sich an Nazis und Antisemiten rächen kann, kann man sie besiegen – und als junger Mann erhielt Sfar zusätzlichen Kung-Fu-Unterricht. Auch wenn es hauptsächlich die Geschichte Frankreichs in den 1980er und 1990er Jahren erzählt, erfreut sich Sfars Buch angesichts des zunehmenden Antisemitismus sicherlich großer Beliebtheit. Die grundlegenden Fragen seines Buches bleiben unbeantwortet. Das ist frustrierend.
Das heißt aber nicht, dass Sfars Buch nicht so lustig ist wie Karabrut, auch wenn es subtiler und satirischer ist. Am wichtigsten ist, dass Sfar seine jugendliche Selbstüberschätzung offenlegt. Seine Begegnungen mit Neonazis endeten nie so heldenhaft, wie er es sich vorgestellt hatte. Insgesamt ist „Synagoge“ ein wilder Ritt (stellenweise zu lang) mit Zeitsprüngen und überlappenden Erinnerungen und Gedanken. Und Fantasie. Deshalb ließ er am Ende den Partisanen Abba Kovner auftreten, der sagte: „Man kann nicht die ganze Welt besiegen, aber nichts kann dich davon abhalten, mit ihr zu reden.“ „Bie’s Cat“ und „Klezmer“ (beide von Avant) haben bereits ihre eigene Sprache gefunden.
Durch die Hölle
„Nekropolis“ – die Stadt der Toten. So nennt der slowenische Autor Boris Pahor sein berühmtestes Buch. Pahor, der als Partisan die Konzentrationslager Dachau, Nazweiler-Stutukhof, Mittelbau-Dora und Bergen-Belsen überlebte, erinnerte sich Jahrzehnte nach der Befreiung an die Schrecken, die er dort erlebte. Jurij Devetak hat das Buch als Comic adaptiert (Leseprobe). Pahor selbst war vor seinem Tod im vergangenen Jahr im Alter von 108 Jahren an dem Projekt beteiligt.
Passend zum Thema ist die Darstellung in reinem Schwarz-Weiß gehalten. Panelstrukturen werden immer wieder in ein- oder doppelseitige Darstellungen zerlegt. Die Gesichter der Menschen waren nicht wiederzuerkennen und manchmal verschwommen. Zu viele Menschen wurden hier getötet, namenlos und ihrer Würde beraubt. Sogar das Gesicht der Hauptfigur ist durch einen flachen Hut und eine Brille verdeckt, sodass sie nicht klar sehen kann.
Diese Passage ist der innere Monolog des Mannes, der dem ursprünglichen Roman entnommen ist und die Schrecken, Erinnerungen oder Brutalität seiner Mitlagerkameraden oder die Brutalität seiner Wachen beschreibt. Manchmal ist es fast unerträglich. Zusammen mit den Zeichnungen entsteht auf fast 160 Seiten ein äußerst verdichteter, fast dokumentarischer Blick auf das Leben im Konzentrationslager. Hier gibt es nichts zu retten, nichts, was von den Schrecken der deutschen Tyrannei ablenken könnte. Ein Schlag in den Magen, um das Vergessen zu verhindern.
Western-Farbe
Wie Sandra Rummler in Seid Befreit (Leseprobe) beschreibt, ist die Welt nicht schwarz und weiß, sondern grau und trist. Der Ort, an dem Xiao Mo lebte, war in den 1980er Jahren Ostberlin. Der Reiz verfallener Häuser und Fahnen – so könnte man es auf den Punkt bringen. Aber für Mo gibt es auch Freuden, wie einen Nachmittag bei ihrer Großmutter oder eine Entdeckung im Hinterhof. Fangen Sie nicht an, den vom System vorgegebenen Weg zu durchbrechen. Bis die Mauern fallen – und die große Freiheit winkt.
Jana Hensel nennt ihren Roman „Zonenkinder“ und erzählt die Geschichte einer Generation, die Kindheit in Ostdeutschland und Jugend im vereinten Deutschland erlebt. Mo ist ein Zonenkind, das trotz Vorurteilen gegenüber Ostdeutschen und Neonazis seine neu gewonnenen Freiheiten, wie zum Beispiel das Leben als Stadtbahnsurferin, voll ausnutzt – dies ist auch das Baseballschläger-Jahr.
Die Spannung im Comic entsteht durch den Kontrast zwischen dem zunächst dunklen und düster getönten Hintergrund und den Charakteren, die bunt und einheitlich, fast schablonenhaft wirken. Erst nach dem Fall der Berliner Mauer bekam die Welt etwas mehr Farbe – als Ausdruck der gewonnenen Möglichkeiten. Gleichzeitig brachten sie auch mehr Unbehagen und Unsicherheit in den Comic, wie es viele Bürger der ehemaligen DDR in den 1990er Jahren erlebten. Aber Moe ließ ihre Kindheit hinter sich, obwohl sie manchmal um den Verlust ihres Elternhauses trauerte.
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Quelle: www.ntv.de