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„Und das darf nie wieder passieren.“

Holocaust-Überlebende Amy Abel

Mit ihrer Tochter und Barbara Yelin arbeitet Emmie Arbel an ihrem Stammbaum..aussiedlerbote.de
Mit ihrer Tochter und Barbara Yelin arbeitet Emmie Arbel an ihrem Stammbaum..aussiedlerbote.de

„Und das darf nie wieder passieren.“

Sie wurde als Kind von den Deutschen deportiert. Sie überlebte mehrere Konzentrationslager. Sie wurde von ihrem jüdischen Adoptivvater misshandelt. Schließlich brach sie zusammen. Barbara Yellin erzählt die Lebensgeschichte von Amy Abell – und schlägt eine Brücke in die Gegenwart.

Emmie Arbel sitzt an ihrem Küchentisch in der israelischen Stadt Kirjat Tiv'on und sortiert ihren Stammbaum. Eltern und Großeltern – ermordet im Holocaust. Die Brüder Menachem und Rudy überlebten mehrere Konzentrationslager. Kinder und Enkel, Nichten und Neffen – lebend in Israel, den USA oder Deutschland.

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vereinen sich in dieser Szene aus Babara Yelins Graphic Novel Emmie Arbel. The Color of Memory, erschienen bei Reprodukt (Leseprobe). Stammbäume erzählen die Geschichte einer Familie mit all ihren Zweigen, all ihren Brüchen, all ihrem Schmerz.

Die Farbe der Erinnerung - das ist für Emmie Arbel Schwarz.

Für Amy Abel gab es Zeiten, in denen es keine Zukunft gab. 1937 in Den Haag geboren, wurde sie 1942 zusammen mit ihrer Familie deportiert. Als Kind überlebte sie das Übergangslager Westerbork, das Konzentrationslager Ravensbrück und das Konzentrationslager Bergen-Belsen. In Ravensbrück erkrankte sie an Typhus und wurde in die Krankenstation gebracht, wo sie zwischen Lebenden und Toten lag. „Ich wusste, dass ich sterben würde“, sagte sie.

Doch Abel überlebte den Holocaust und kam nach dem Krieg nach Schweden, dann in die Niederlande und emigrierte schließlich nach Israel, wo er noch heute lebt. Dass Ye Lin nun ihre Geschichte erzählt, oder besser gesagt: zeichnet, ist ein Segen. Und nicht nur, dass Abel dem Medium Comic zunächst skeptisch gegenüberstand. Aber am wichtigsten ist, dass sie noch einen langen Weg vor sich hat, um ihre ganze Geschichte zu erzählen.

Zusammenbruch 30 Jahre nach dem Krieg

2019 trafen sich Abel und Ye Lin zum ersten Mal in der Gedenkhalle Ravensbrück.

Deshalb beginnt das Buch mit einem völligen Zusammenbruch. 1977, mehr als 30 Jahre nach Kriegsende, war Abel dazu nicht mehr in der Lage. Lange unterdrückte Erinnerungen kommen zurück. Nicht nur der Holocaust, in dem sie sah, wie ihre Mutter verkümmerte und schließlich starb, sondern auch das anschließende Trauma, als sie jahrelang von ihrem jüdischen Adoptivvater misshandelt wurde. Sie sucht Hilfe und verarbeitet langsam die Schrecken ihrer Kindheit und Jugend.

Ye Lin erzählt die Geschichte nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern assoziativ aus dem Gedächtnis. Die Handlung springt hin und her zwischen der Kindheit im Konzentrationslager, der Jugend in den Niederlanden, dem Aufwachsen in Israel und der Gegenwart – Abel ist immer von Unbehagen begleitet und Yelin zeichnet sie oft mit einer Zigarette in der Hand. „Ich bleibe nirgendwo“, sagte Abel. Comics hinterlassen Lücken, in denen Erinnerungen verblassen, auftauchen und verschwinden. „Ich erinnere mich nicht“, sagte Abel immer wieder.

Zusammengehalten wird die Geschichte von der Hauptfigur, die trotz aller Schrecken, die sie durchlebt, niemals aufgibt, ihr Leben selbst in die Hand nimmt, eine Familie gründet und schließlich die Kraft findet, in ihrer Schulklasse darüber zu sprechen. Und schließlich auch Barbara Yellin. Der preisgekrönte Comiczeichner verwendete ein Farbschema als Leitidee: irgendwo zwischen den dunklen, fast schwarzen Blautönen, die die Schrecken der Vergangenheit darstellen, und den sonnendurchfluteten Gelb- und Grüntönen des heutigen Israel. Die Form der Komödie kann Gegensätze vereinen, zusammenbringen oder ineinander übergehen lassen.

Yelin hat in ihren Comics bereits eine nationalsozialistische Frau in den Mittelpunkt gestellt: In „Ilmina“ erzählt sie die Geschichte einer nationalsozialistischen Mitreisenden, inspiriert von ihrer eigenen Familiengeschichte. Diesmal verzichtete Ye Lin auf die Fiktion und wählte stattdessen die Form der Comic-Reportage, in der der Illustrator selbst auftritt. Dieser Ansatz, den Abel in seinem täglichen Leben immer wieder unter Beweis gestellt hat, ermöglicht eine intensivere Herangehensweise. Erinnerung ist hier kein Rückblick oder eine Geschichte, sondern ein permanenter Zustand. Abels Vergangenheit umgibt sie und sie kann ihr nicht entkommen – sie trägt oft blaue Kleidung, die die Farbgebung der dunkleren Momente widerspiegelt.

Zuhause ist nicht mehr sicher

Ein Teil von Abels Geschichte ist in der Anthologie „But I'm Still Alive – Four Children Survived the Holocaust“ (Baker) erschienen. Dies ist die Geschichte der letzten Generation zeitgenössischer Zeitzeugen, die als Kinder den Holocaust überlebt haben und von ihrem Schicksal berichten können. „Ich hatte das Gefühl, dass niemand verstehen konnte, wie ich mich fühlte“, sagte Abel in „Die Farbe der Erinnerung“. „Aber wenn ich nicht darüber rede, können andere es nicht verstehen. Sie können nicht verstehen, was passiert ist. Und es wird nicht wieder passieren.“

In ihrem neuen Buch geht Ye Lin über die Erinnerung an den Holocaust hinaus. Das Tolle an diesem Buch ist, dass es die gesamte Geschichte von Abel erzählt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ging das Leben für diejenigen, die vor den Schrecken des Holocaust flohen, schließlich weiter. Viele von ihnen stehen vor einer schwierigen Reise, denn wo sind sie willkommen und sicher? Wie sollen sie mit dem Erlebten umgehen? Als Abel in einem israelischen Kibbuz lebte, interessierte sich dort niemand für die Ereignisse in den Konzentrationslagern. „Ich schämte mich, dass ich in einem Flüchtlingslager gewesen war“, sagte Abel. Also schwieg sie, bis sie schließlich zusammenbrach.

Die Suche nach einem sicheren Hafen stellt auch eine Brücke zur aktuellen Situation dar, in der Israel Opfer eines massiven Terroranschlags wurde und darum kämpft, sich zu verteidigen. Abel war während der Terroranschläge der Hamas in Europa und arbeitete an ihrem Denkmal in Ravensbrück. „Sie vermisst ihr Zuhause“, sagte Yelin kürzlich gegenüber der Süddeutschen Zeitung. „Die Tatsache, dass es kein sicheres Zuhause mehr war, störte sie wirklich.“

Quelle: www.ntv.de

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