Reinhard Houben - Liberaldemokraten verteidigen EU-Vereinbarung zum Lieferkettengesetz: „Ungerechtfertigte Sparmaßnahmen“
Nachdem das Europäische Parlament und der Rat eine grundlegende Einigung erzielt haben, ist das EU-Lieferkettengesetz in die Sprintphase eingetreten. Große Unternehmen müssen künftig ihre Lieferketten kontrollieren und dokumentieren; sie können auch zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren.
Sollte die Richtlinie schließlich von EU-Mitgliedstaaten bestätigt werden, wird sie strenger sein als das bestehende deutsche Lieferkettenrecht: Sie soll für Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und einem weltweiten Umsatz von mehr als 150 Millionen gelten Euro. Diese Pflichten sollen auch für Unternehmen mit 250 oder mehr Mitarbeitern und einem Umsatz von mehr als 40 Millionen Euro in Kraft treten, wenn davon mindestens 20 Millionen Euro aus bestimmten Risikobranchen stammen. Dazu gehören Textilien, Landwirtschaft, Fischerei, Nahrungsmittelproduktion und Bergbau mineralischer Rohstoffe.
Eine zivilrechtliche Haftung ist ebenfalls vorgesehen – das heißt, Geschädigte könnten Unternehmen am Ende europäischer Lieferketten auf Schadensersatz verklagen. Für SPD und Grüne ist das ein Durchbruch – doch die FDP beklagt, dass sie sich bisher gegen solche Richtlinien ausgesprochen habe. Wird die Brüsseler Entscheidung eine weitere Bewährungsprobe für das Berliner Ampelbündnis sein? Reinhard Houben, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, äußerte sich kritisch zum Brüsseler Deal.
Herr Houben, wie haben Sie Brüssel die Einigung zur EU-Lieferkettenrichtlinie angenommen?Wir sind noch mitten im Prozess. Mit dieser Vereinbarung ist nicht alles geregelt.
Die Fairness ist also noch nicht vorbei?Aus meiner Sicht war die FDP bereits in der letzten Legislaturperiode in Opposition zum deutschen Lieferkettengesetz – und zwar grundsätzlich: Sollte es eigentlich eine öffentliche Aufgabe sein, die auf die Privatwirtschaft übertragen werden muss? Ich glaube, dass die Frage, ob Menschenrechte respektiert werden und ob Arbeitsnormen eingehalten werden, vom Land und nicht vom Unternehmen gelöst werden sollte.
Der Staat kann Unternehmensbücher nicht ohne weiteres einsehen.In den Büchern finden Sie keine Informationen darüber, ob jemand die Arbeitsnormen eingehalten hat. Dies kann nur vor Ort genau überprüft werden. In jedem Fall bedeutet die aktuelle Einigung auf EU-Ebene eine Verschärfung der deutschen Lieferkettengesetze, da auch kleinere Unternehmen betroffen sein werden. Ich kann da nicht hingehen. Ich habe das bereits in Deutschland erlebt, wo ich persönlich ein Unternehmen mit weniger als 20 Mitarbeitern geführt habe: Die Frage wurde weitergegeben und wir wurden natürlich von unseren Hauptkunden zu diesem Thema befragt – wir haben also quasi die Arbeitslieferkette kontrolliert. Ich mache mir Sorgen, dass wir eine Art Bestätigungsindustrie haben werden.
Was könnte das sein?So eine große Anwaltskanzlei sagt zu einem Unternehmen: Ich bin auf die Steuerung der Lieferkette bzw. Wertschöpfungskette spezialisiert. Ich habe internationale Büros, die das überprüfen können. Geben Sie mir jetzt 20.000 Euro im Jahr, dann prüfe ich das für Sie und bestätige es.
Sie werden also grundsätzlich mehr unzumutbare Bürokratie in den Unternehmen sehen?Ja. Niemand möchte ein Produkt kaufen, das durch Kinderarbeit oder Zwangsarbeit hergestellt wurde. Nun könnte eine solche Richtlinie einen Mechanismus einführen, der viel Arbeit erledigt, aber das Ziel überhaupt nicht erreicht. Vor ein paar Tagen habe ich gelesen, dass Volkswagen in einer Fabrik in Chinas wichtiger Provinz Xinjiang eine Unschuldsbestätigung erhalten hat. Nun behaupten die Chinesen, alle Berichte über dortige Menschenrechtsverletzungen seien falsch.
Dies ist ein Beispiel. Glauben Sie wirklich, dass es sich Unternehmen generell nicht leisten können, ihren Dokumentationspflichten nachzukommen? Natürlich könnte ein großes Unternehmen wie Volkswagen so etwas tun. Aber ist das Endergebnis das, was wir wirklich wissen wollen? Wird ein solches Ergebnis nicht dazu benutzt, eine Nebelwand zu schaffen, um das eigentliche Problem zu verschleiern?
Also lasst uns den Nebel aufklären. Tatsächlich sollte jedes Unternehmen ein Interesse daran haben, seine Filialen sauber zu halten. Nun ja, an dieser Richtlinie ist eigentlich nichts auszusetzen.Ja, aber der Unterschied besteht darin, dass Sie es beweisen müssen. Unter Androhung von Strafen drohen Unternehmern hohe Geldstrafen. Daher werden große Unternehmen diese Risiken nach unten weitergeben.
Das Bundesamt für Wirtschafts- und Ausfuhrkontrolle (BAFA) erklärt, dass dieser Abwärtstransfermechanismus illegal ist und Sie sich wehren können.Ich habe nicht gelacht. Glauben Sie wirklich, dass ein Unternehmen mit weniger als 20 Mitarbeitern zu seinem größten Kunden sagen würde: Ich übernehme Ihre Dokumentationspflichten nicht?
Weil dieser Kunde dann zu einem Wettbewerber wechselt?Nein, ich sehe Druck auf die Lieferanten. Je größer der Kunde, desto eher wird sein Wunsch bestätigt. Zara will in Myanmar nicht mehr nähen oder viele Röster wollen in Äthiopien keinen Kaffee mehr kaufen, und das zeigt bereits Wirkung. Warum? Denn es ist schwierig, vor Ort zu überprüfen, ob alles reibungslos läuft.
Dieses Vertragsdokument ist jetzt verfügbar. Welche Anpassungen möchten Sie jetzt vornehmen? An der Ampel müssen sie dann gewinnen, denn sowohl die Sozialdemokraten als auch die Grünen unterstützen die Richtlinie.Nun, sie werden glücklich sein. Jetzt müssen wir das Kleingedruckte besprechen. Ich bin kein großer Fan davon, dass Frankreich den Finanzsektor als Bedingung für seine Zustimmung ausschließt. Das bedeutet, dass die Finanzierung von Fabriken, die gegen Arbeitsnormen verstoßen, weiterhin irrelevant bleibt. Wenn aber jetzt irgendwelche Plastikprodukte in Autos oder Fernseher eingebaut würden, wäre das plötzlich eine Unverschämtheit.
Ich glaube nicht, dass Grüne und SPD Einwände gegen die Einbeziehung des Finanzsektors hätten.Aber dieses Zugeständnis diente nur dazu, Frankreich zum Beitritt zu bewegen.
Das nennt man politischen Kompromiss.Natürlich muss man sich fragen: Sind Sie bereit, diesen Kompromiss zu akzeptieren? Deshalb muss natürlich darüber debattiert werden, wie die Bundesregierung auf dieses Thema reagiert. Das Abkommen bringt einerseits unzumutbare Verschärfungen mit sich, schafft andererseits aber auch blinde Flecken wie den Ausschluss der Finanzindustrie. Ich denke, das ist falsch. Wir haben in Deutschland eine relativ einzigartige Unternehmensstruktur mit einem umfangreichen mittleren Management und einer fünfstelligen Anzahl an Unternehmen. Im Gegensatz dazu nehmen in einigen Ländern der EU nur eine Handvoll Unternehmen teil. Bedeutet das, dass die deutsche Wirtschaft durch die Richtlinie stärker unter die Lupe genommen wird?In der Tat. Im Vergleich zum deutschen Recht reduziert das aktuelle EU-Abkommen die Zahl der Arbeitnehmer in Unternehmen, für die die Richtlinie gilt. In Frankreich wird dies offenbar für den eigenen Markt nicht als wichtig erachtet. Sie haben keine typische Mittelschicht wie wir.
Glauben Sie, dass es Themen gibt, über die Sie gerne verhandeln würden?Ich möchte mich im Moment nicht darauf festlegen. Aber ich denke, es kommt darauf an, ob man seinen Höhepunkt erreicht oder scheitert.
Möchten Sie diese Richtlinie blockieren?Wir werden sehen, was wir tun können. Es sollte vollständig in die Werkstatt zurückgebracht werden.
Wirtschaftsverbände werden den Deal ablehnen.Es ist mir völlig egal, ob Wirtschaftsverbände gegen diese Vereinbarung sind. Als Abgeordneter muss ich diese Frage beantworten: Bringen unsere Lieferkettengesetze vor Ort etwas dazu, die Menschen vor Unterdrückung, schlechten Arbeitsbedingungen und niedrigen Löhnen zu schützen? Mein Eindruck ist, dass wir mit einem solchen Gesetz dieses Ziel einfach nicht erreichen können.
Noch einmal: Warum sollten Unternehmen nicht die Verantwortung haben, für faire Produktionsbedingungen zu sorgen?Denn der Staat überträgt damit seine Aufgaben auf die Privatwirtschaft. Warum ist der deutsche Botschafter in Peking nicht zur chinesischen Regierung gegangen und hat gesagt: Wir haben die Nachricht, dass es in dieser Provinz Menschenrechtsprobleme gibt?
Aus diplomatischen Gründen?Ja, aber warum ein mittelständisches Unternehmen mit 250 Mitarbeitern schicken? Ich denke einfach, dass es falsch ist.
China ist ein klares Beispiel für totalitäre Herrschaft. EU-Richtlinien gelten jedoch auch für Unternehmen in Bereichen, in denen der Staat kaum eingreift. Warum nicht mit Unternehmen zusammenarbeiten, um vor Ort etwas zu erreichen?Ich gehöre einer politischen Partei an, die sich um Fragen der Rechenschaftspflicht kümmert. Ich denke, das liegt als erster Schritt in der Verantwortung des Staates.
Wo beginnt die Verantwortung des Unternehmers?Die Pflichten des Unternehmers beginnen zunächst dort, wo die nationalen Gesetze des jeweiligen Landes gelten. Es ist die Aufgabe der Nationalstaaten, dafür zu sorgen, dass ihre Gesetze vor Ort durchgesetzt werden.
Was bedeutet Ihre kritische Haltung für die Ampel-Allianz? Das Bündnis verlief nicht ohne Konflikte.
Wohin wird dieser Konflikt führen? Wird das Bündnis zusammenbrechen, wenn keine Einigung erzielt wird?Es handelt sich hierbei nicht um ein Thema, das dazu führen würde, dass die FDP die Regierungskoalition verlässt – wie es meiner Meinung nach bei den Grünen oder der SPD der Fall wäre.
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Quelle: www.stern.de