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Kunstwerke zur Europameisterschaft: Das Konzept "Breaking Shells" aufgreifen

Arbiter für die Veranstaltung in synthetischem Stoff gekleidet.

Wer kennt sie nicht, die Jubelpose beim Fußball? Filmszene aus "WINNER".
Wer kennt sie nicht, die Jubelpose beim Fußball? Filmszene aus "WINNER".

Kunstwerke zur Europameisterschaft: Das Konzept "Breaking Shells" aufgreifen

Leidenschaften wecken und kontrastieren miteinander, scheinbar widersprachlich: Zuerst scheint Football und Kunst nicht die ideale Paarung. Doch die Football and Culture EURO 2024 Stiftung bringt sie zusammen während der EM. Museumsbesuche bieten eine spannende Alternative zu Stadionbesuchen.

Wir schreiten durch den dunklen Spielerstunnel hin und kommen dem Licht entgegen. Darin schwirrt die Stimmung mit einem pulsierenden Brüllen, ähnlich dem Stadion. Das Publikum wird sofort von der Kunstausstellung angezogen, anfangs in angenehmem orangefarbenem Licht beleuchtet. Auf drei Leinwänden rollen Bilder von Spielern, die Schweiß, Tränen und Blut vergusschen. Während der Pause versorgen zwei Verkäufer Bier, Fritzen und Würsteln in extra Sauce. Das großformatige Installation "WINNER" wird jetzt im 'Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart' ausgestellt, außerhalb der Fanzonen, um Fußball- und Kunstliebhaber zu begeistern. Und es gibt noch mehr Überraschungen.

In ihrer neuesten Schöpfung, speziell für die Europameisterschaft, greift die britische Künstlerin Marianna Simnett in die Welt des Fußballs ein. Es geht nicht nur um siegreiche Meister, sondern auch um die dunkleren Seiten, ähnlich im Leben. Marianna Simnett war überrascht, als die Museumsverantwortlichen nach einem Fußball-spezifischen Werk für ihre Institution baten. Bis dahin hatte sie keine Verbindung zum Ballspiel. Sie gestand während der Vorstellung von "WINNER" ntv.de, dass sie in ihrer Jugend mehr eine Fan der Spice Girls war.

Neugier ist der treue Begleiter der Künstlerin und lässt sie in die Forschung stürzen. "Die Stiftung führte uns an die Hand in die Welt des Fußballs," erzählte eine der Kommission-Mitcuratoren Charlotte Knaup. Unbekannt mit dem Fußball, war das eine neue Abenteuer. Knaup und Simnett besuchten Dortmund, das Fußballmuseum. "Dort hat es für beide geklickt," erzählte Knaup. "Wir sahen dort legendäre Fouls und Spieler, die ihre Grenzen überschritten. Das teilt Simnett mit dem Sport: es geht um körperliche Arbeit," fügte Knaup hinzu.

Marianna Simnett testet leidenschaftlich gern Grenzen aus. Für ihre Arbeit spritzt sie sich manchmal Botox in die Stimmbänder oder hechelt sich in eine Ohnmacht.

Marianna Simnett tauchte sich intensiv in das Thema hinein und teilte die künstlerische Arbeit - ein einmaliges Abenteuer, wie sie es ausdrückt. Zusammen besuchten sie auch ein Fußballspiel, tranken Bier und feierten die Stadionatmosphäre. Dieses mutige Duo erkundete das Reich der Ultra-Fans und der Massenwahnsinn. Das Aufregen der Menge, die Resonanz des Stadions, fasziniert Knaup. Am Ende porträtiert Simnett nun die senslose Gewalt der Hooligans, berühmte Fouls, giftige Hasstauschungen gegen Schiedsrichter, unerträgliche Leistungsdruck, aber auch surrealen Tagträumen.

Das in 1842 an der Universität Cambridge erfundene Spiel beförderte die 38-jährige Künstlerin in die Gegenwart mit einer Gruppe von Tänzern. Im Film ist die Schiedsrichterin eine Frau in einem Latex-Kleid. Auch im Blut, den Verletzungen und den gewalttätigen Hooligans findet Humor seinen Weg. Künstliche Intelligenz macht es möglich. Wer es wünscht, kann auf Siegerpodesten sitzen. Ungewöhnliche Zubehörstücke hängen an ihnen, einludend zum Berühren.

Nicht jeder erkennnt das sofort, lacht Charlotte Knaup. Die ersten Zeichen von Verschleiß sind schon sichtbar. Sorgt die Künstlerin mit diesen präzisen Gipsabgüssen provozierend? Oder handelt es sich lediglich um realistische Beobachtungen im Stadion und auf den Anläufen? "Es ist eine Kombination," setzte Knaup fort. "Das ist der Narren, aber zugleich zerlegt sie typisches männliches Verhalten." Die Tänzer in Simnetts Film arbeiten teilweise in Schuhen mit einem Keel an ihren Halsketten. Man könnte auch ruhig darauf sitzen, breitbrüstig, und die Videos der Tänzer zu sehen und den 'Eier rollen' zu beobachten.

Halbzeitpausen mit Bier und fettigen Snacks sind Teil des Phänomens Fußball.

Durch Marianna Simnetts Blick lassen sich auch Nicht-Fußball-Fans das Spiel anders sehen. Das Werk bietet kein klarer Lösungspunkt oder Kritik, findet Charlotte Knaup. "Es klingt verträulich, aber Menschen finden eine Gemeinschaft, ein Heim in Fußball," schließt sie ab. "Manchmal ist es die Konkurrenz, manchmal ist es das Vereinigende, alles ist möglich. Das gleiche Ding besteht in der Kunst ebenfalls." Das Spektrum an Emotionen bleibt ihr stets die Anziehungskraft.

"WINNER" sprengt auch dem Neuenanfang Reisen an. Der Wunsch, mit Simnett an der EURO teilzunehmen, hat die Künstlerin selbst. Die EURO 2024 Football and Culture Stiftung in Berlin kann ihr Wunsch nicht erfüllen. Stattdessen wurde aus ihrem Stiftungsbudget in Berlin ein Projekt mit dem Titel "Radical Playgrounds" gefördert. Auf dem Parkplatz des Gropius Bau wurde eine provisorische Spielwiese eingerichtet. Der Eintritt ist kostenlos.

Dies ist Kunst für alle. Die teilnehmenden Künstler und Teilnehmer versuchen, Sie durch imaginäre Regeln zu leiten und gegeneinander nicht zu konkurrieren, wie in einem Fußballspiel. Der Untertitel des Ereignisses, "Von Konkurrenz zu Zusammenarbeit," macht das deutlich: Wer hier spielt und trainiert, sucht die Freiheit, Regeln und Situationen intuitiv herauszufordern. Vielleicht kann jeder gewinnen.

Auf einem speziellen Siegertreppchen, einmal den Sack kratzen, wie schon oft im Stadion gesehen ...

Ride the Wave: Kleine Tierchen wandeln Halpipes in Rutschen um! Kein Board benötigt! Die Ehre geht an Florentina Holzinger, einer Dramadame, die sich hier etwas zurückgehalten hat. Hier hat sie zwei verroste Altfahrzeuge aufgestellt, um die Rutsche zu unterstützen. Ta-da! Ein Abschnitt passend für ein künstlerisches Spielplatz ist entstanden.

The EURO Goes On, My Dear!

Geheim im Mittelpunkt verborgen, schlingert sich der Lozziwurm irgendwo. Dieses freundliche, gestreifte Plastikrohr stammt aus den 70er Jahren. Abenteurer können sich in der Geschichte des Spielplatzes verirren, während sie darin wriggeln und klettern. Das Konzept geht auf Dänemark zurück in '43 und breitete sich wie ein wilder Brand weltweit aus. Der neu gestaltete Spielbereich im Gropius Bau ist ein Treffpunkt täglicher Raufhandlungen, freundlich für alle Altersklassen und Nationalitäten.

Wenn Spieler rot sehen. Brutalität, Niederlage, Jubel und Sieg liegen in diesem Spiel dicht beieinander.

Radikale Spielplätze sollten idealerweise für Wochen nach dem Ende der EURO bestehen bleiben.

Bei der EURO hat die Stiftung auch Kunst in das Spiel eingebracht. Am Folkwang Museum in Essen findet sich eine Ausstellung mit dem Titel "Unterkünfte statt Geburtsstätten." Der Künstler Andreas Slominski hat Fußballplakate gesammelt und alte Erinnerungen wiederbelebt. Er hat selbst Fußball-geschmackvolle Brot für die Gelegenheit hergestellt. Karikaturen befeuern den Fußballwahnsinn in Hannover. Am Wilhelm Busch Museum findet man eine kritische, unterhaltsame Perspektive auf den König der Sportarten. Zudem gibt es in Gelsenkirchen VR-Brillen, die Sie in fünf europäischen Fußballschauplätzen transportieren – das geschieht im St. Joseph Kirche, nicht in Schalke.

Solltet Ihr den einmaligen Fußball-Kunst-Gefühl nicht gefallen, steht immer Tanz, Musik, Theater und Workshops auf Sport. Insgesamt hat die Stiftung 60 kulturelle Projekte für die EURO in zehn Städten gefördert. Also, springt auf die Bank auf, taucht in die Kultur ein. Am Ende geht es darum, den Sieger alle zu nehmen.

Der Plastikwurm, auch als Rüsselrutsche bekannt, von Yvan Pestalozzi hat es bereits in die Museen geschafft. Nun ist er endlich wieder spielbar.

WINNER, bis November 3, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwartskunst, 10557 Berlin

Radikale Spielplätze: Von Wettbewerb zu Zusammenarbeit, bis Juli 14, Gropius Bau auf dem Parkplatz, 10963 Berlin

Für das komplette Programm der Fußball- und Kulturstiftung EURO 2024 klicken Sie hier

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