Künstliche Intelligenz wird in absehbarer Zeit weder Geld noch Mitarbeiter sparen
Die Branche hofft auch auf einen großen Fortschritt bei der generativen künstlichen Intelligenz (KI). Christian Schlögel, Digitalvorstand der Körber AG, ist einer der Befürworter. Im Interview mit ntv.de erklärt er, was beim Einsatz der Technologie in der Old Economy, in der sich Deutschland befindet, zu beachten ist und warum sie seiner Meinung nach unverzichtbar ist. An Schlögel gestellte Fragen wurden mittels ChatGPT ergänzt.
Der internationale Technologiekonzern Körber hat seine Wurzeln im Maschinen- und Anlagenbau. In seinen vier Geschäftsbereichen „Digital, Pharma, Supply Chain und Technologie“ bietet das Hamburger Unternehmen nun auch Software und andere digitale Produkte mit Fokus auf künstliche Intelligenz an. Die Körber AG steht ausschließlich im Eigentum der Körber-Stiftung.
ntv.de: Was denken Sie über das Ultraman-Chaos von OpenAI und die grundlegende Frage, ob künstliche Intelligenz ein Gemeingut zum Wohle der Menschheit sein sollte?
Christian Schlögel: Ich denke, künstliche Intelligenz muss gesunder Menschenverstand sein. Dies ist eine bahnbrechende Technologie, die so viele Veränderungen mit sich bringen wird, dass wir das meiste davon besser allgemein verfügbar machen sollten. Ich denke also, dass die Grundidee von OpenAI richtig ist, aber für ein Unternehmen nicht auf Dauer durchzuhalten ist, da es hohe Investitionen erfordert. Dies erklärt auch vieles, was in den letzten Tagen über OpenAI gelernt wurde.
Sie erwarten auch, dass generative KI erhebliche Veränderungen für die Branche mit sich bringen wird. Was kann es dort tun?
Künstliche Intelligenz wird in der Industrie schon lange in Form von maschinellem Lernen eingesetzt, um Aufgaben mithilfe von Daten zu optimieren. Nun kommt die generative künstliche Intelligenz hinzu, durch die Neues entsteht, die vor allem die geistige Arbeit unterstützt.
Zum Beispiel?
Lassen Sie mich zwei Beispiele aus unserem Unternehmen nennen: In der Papierverarbeitung kann KI aus großen Datenmengen aus der Produktionslinie Empfehlungen für die Anpassung der Maschine generieren, um beispielsweise den Ausstoß zu steigern. Papier ist ein natürliches Material mit vielen Variationen in der Textur. Zur Optimierung der Ergebnisse stehen über 300 Maschinenparameter zur Verfügung. Maschinelles Lernen ist hier besonders nützlich. Es kann nicht nur die Produktion gesteigert, sondern auch der Energieverbrauch gesenkt werden. Eine weitere Anwendung künstlicher Intelligenz nutzen wir in der Pharmaindustrie: Jedes Impfstofffläschchen muss einzeln überprüft werden. Hier können durch Bilderkennung Fehler bei der Flaschenklassifizierung um 90 % reduziert werden. Denn die KI erkennt, dass es sich zum Beispiel nur um einen Kratzer auf dem Glas handelt und nicht um einen Fremdkörper im Impfstoff.
Haben Sie ein weiteres Beispiel für generative KI? Dabei handelt es sich überwiegend um maschinelles Lernen.
Der Einsatz generativer KI steckt noch in den Kinderschuhen. Unternehmen verwenden sie mittlerweile zum Verfassen interner Prüfberichte; sie nennen es AuditGPT, angelehnt an ChatGPT. Das System empfängt den Audit-Kontext, die erwartete Struktur und die Audit-Ergebnisse und erstellt anhand dieser Informationen einen Audit-Bericht. Das alles dauert nur Sekunden statt viele Stunden. Ein weiterer Anwendungsfall kommt aus dem Kundenservice: Kunden melden Probleme oder haben Fragen zu technischen Systemen. Generative KI wird mithilfe einer Datenbank mit vorhandenem Wissen aus Servicetickets, Produktdokumentationen und vergangenen Verarbeitungen trainiert, um auch für komplexe Probleme in Sekundenschnelle passende Lösungsempfehlungen zu generieren.
Auch künstliche Intelligenz in der Industrie kann Ihrer Meinung nach einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Doch wie sieht es mit dem Stromverbrauch und den CO2-Emissionen aus, die die KI selbst allein durch die nötige Rechenleistung verursacht? Wie weit ist der Klimaschutz unter dem Strich noch entfernt?
Wichtig ist, dass die Rechenzentren, in denen KI berechnet wird, mit Ökostrom betrieben werden. Und: Der Nutzen muss die Kosten überwiegen. Um dies zu erreichen, wird intensiv daran geforscht, wie sich die erforderliche Datenmenge soweit reduzieren lässt, dass KI-Modelle in Zukunft sogar auf Smartphones berechnet werden können. In der Pharmaindustrie trainieren wir Modelle in der Cloud und laden sie dann auf Maschinen herunter. Dies ist aus regulatorischen Gründen notwendig, spart aber auch Energie.
Wie und in welchem Umfang wird generative KI bereits in der lokalen Industrieproduktion eingesetzt?
Immer noch sehr wenige. Generative KI leidet immer noch unter der Illusion, dass sie auch Dinge ausgibt, die nicht auf Fakten basieren. Wir sind noch ein paar Schritte entfernt. Einige Unternehmen, wie beispielsweise Mercedes-Benz, nutzen bereits erste Prototypen mit generativer KI, allerdings befindet sich dies noch im Anfangsstadium.
Wie genau nutzen diese Unternehmen generative KI?
Mercedes nutzt künstliche Intelligenz im Qualitätsmanagement. Das System wird auf Qualitätsdaten aus Produktion, Entwicklung und Kundenerfahrung trainiert. Dadurch können Fehler schneller erkannt und behoben werden. Ein weiterer Vorteil dieses Ansatzes besteht darin, dass die Kommunikation durch Konversation und natürliche Sprache erfolgen kann, ohne dass spezielle Kenntnisse oder Programmierkenntnisse erforderlich sind. Darüber hinaus bereitet das System die Daten spezifikationsgerecht auf und ermöglicht so eine schnellere Fehlerbehebung. Dadurch entsteht ein Dialog zwischen dem Techniker bzw. Servicemitarbeiter und dem System für ein besseres und gezielteres Verständnis des Problems.
Woher kommt die Software dahinter, in den USA?
Ja, besonders. Aleph Alpha aus Heidelberg spielt auch in Europa eine Rolle, wo Unternehmen verstärkt auf Datenschutz achten. Aber natürlich setzen auch amerikanische Unternehmen wie Microsoft diese Anforderungen durch. Wenn KI-Erweiterungen für Outlook, Powerpoint oder Teams verfügbar werden, dürfen Benutzerdaten nicht ins Internet gelangen.
Welche Länder sind führend bei der Anwendung generativer KI in der Industrie?
Amerika, Amerika, Amerika und dann kommt irgendwann China, dann Deutschland.
Kann Deutschland aufholen?
Natürlich muss Deutschland diese Chance nutzen. Die letzte 500-Millionen-Dollar-Runde von Aleph Alpha hat Hoffnung geweckt, ist aber immer noch nicht mit den USA vergleichbar. Was wir brauchen, ist eine gemeinsame Anstrengung von Universitäten, Start-ups und der Industrie. Innovative Unternehmen benötigen Anwendungen in der Industrie, aber auch in der öffentlichen Verwaltung, wo die Automatisierung großes Potenzial hat. Deshalb bin ich optimistisch, dass das Land Baden-Württemberg den KI-Verwaltungsassistenten von Aleph Alpha bei der Recherche und Erstellung von Texten einsetzen wird. Welche Probleme bestehen noch bei der Anwendung generativer KI in der Industrie?
Es mangelt noch an Verständnis für Technik. Amerikaner und Chinesen sind technologieoffener, sie probieren es aus, und wenn es nicht funktioniert, nutzen sie ihre Erkenntnisse für andere Zwecke. In Deutschland besteht das Ziel meist darin, von Beginn an eine 100%ige Lösung zu erreichen. Dem Land mangelt es außerdem an Risikokapital, um Unternehmen groß zu machen. Elon Musk hingegen hat Milliarden von Dollar in seine Unternehmen für künstliche Intelligenz investiert.
Wie ist es außerhalb Deutschlands?
Generative KI ist noch eine sehr junge Technologie und ChatGPT hat in kürzester Zeit Durchbrüche erzielt. Denn eine große Hürde wurde beseitigt: Jetzt kann jeder ohne Programmierkenntnisse einfach mit dem System sprechen. Es überraschte auch große Unternehmen wie Google, die ihre Systeme perfektionieren wollten, bevor sie auf den Markt kamen. Doch plötzlich mussten alle nachziehen. Dies ist für Software-Giganten ein Muss, denn es wird alle ihre Produkte dramatisch verändern: Wir werden sehen, wie künstliche Intelligenz als Co-Pilot in allen Anwendungen auftritt.
Welche Regelungen gelten im Land für den Einsatz generativer KI – unter welchen Bedingungen und wie wird sie derzeit von der Industrie eingesetzt?
Wie bei jeder Technologie gilt auch hier das Mitbestimmungsrecht und die Datenschutz-Grundverordnung. Derzeit werden das EU-Künstliche-Intelligenz-Gesetz und das EU-Datengesetz erarbeitet, nach denen Kunden entscheiden können, was mit maschinell erzeugten Daten geschehen soll. Ich sehe keine größeren rechtlichen Hürden. Die Fragen lauten eher: Wie trainiere ich die KI, erhalte die Daten und wie binde ich unternehmensinterne Gruppen wie Betriebsräte ein? Beispielsweise wird die EU auch Ethikregeln einführen, damit Daten, die zum Trainieren von KI-Systemen verwendet werden, keine Verzerrungen enthalten. Allerdings sehe ich dieses Problem selten in technischen Daten von Maschinensteuerungen. Unternehmen wie unser Kunde nehmen dies immer noch sehr ernst und es ist auch wichtig für das Vertrauen der Mitarbeiter.
Glauben Sie immer noch, dass der Einsatz künstlicher Intelligenz in der Industrie Gefahren mit sich bringt?
Ich sehe mehr Möglichkeiten als Gefahren. Das größte Risiko besteht darin, dass die Menschen allzu gerne KI nutzen, um Geschäftsprozesse vollständig zu automatisieren. Sie benötigen mehrere Schleifen, um sicherzustellen, dass die KI die gewünschten Ergebnisse liefert. Ich denke, dass das Co-Pilot-Konzept von Microsoft ein großartiges Konzept ist, das mir hilft, produktiver zu sein. Ich übernehme weiterhin Verantwortung als Mensch.
Was halten Sie von Kritikern, die befürchten, dass künstliche Intelligenz uns dominieren oder sogar auslöschen könnte?
Die Sorge, dass Systeme ihre volle Autonomie erlangen und dann nicht mehr kontrollierbar sind, rührt daher, dass wir noch nicht vollständig verstehen, warum Systeme auf die eine oder andere Weise reagieren. Ich sehe nicht die Gefahr, insbesondere in dieser Branche, wenn wir beim Co-Pilot-Mantra bleiben.
Gibt es bei der Verwendung in der Industrie immer noch ethische Probleme?
Ja, wenn Deepfakes Menschen plötzlich dazu bringen, Dinge zu sagen, die sie nie gesagt haben. Gefälschte E-Mails von Ihrem sogenannten Chef können schnell zu großen Überweisungen führen und sich in Videoanrufe von einem Avatar verwandeln, der wie Ihr eigener Chef aussieht und spricht. Diese Gefahr gilt auch für Industrieunternehmen. Dann müssen Prozesse gefunden werden, die dies verhindern. Auch wenn es um personenbezogene Daten geht, etwa bei der Kontaktaufnahme mit Kunden, muss ich mir der ethischen Rahmenbedingungen bewusst sein.
Welche und wie viele Arbeitsplätze in der Industrie kann generative KI in welchem Zeitraum ersetzen?
Dies ist schwer abzuschätzen, da es von der Entwicklung der Technologie abhängt. Dies ist jedoch für Europa mit seiner alternden Bevölkerung und wechselnden qualifizierten Arbeitskräften vorteilhafter. Denn wir müssen die Produktivität steigern, um den Wohlstand zu sichern. Künstliche Intelligenz wird die Produktivität der Mitarbeiter insbesondere bei mentalen Aufgaben steigern. Das Arbeitsfeld wird sich dadurch verändern, aber das ist immer so: Einige Aufgaben fallen weg und neue kommen hinzu. In der Automobilindustrie ist die Karosserierohbaufertigung mittlerweile zu mehr als 90 % automatisiert. Dies bedeutet nicht, dass Industriearbeiter nicht mehr benötigt werden, sondern dass für den Betrieb solcher Anlagen neue, höherwertige Arbeitsplätze geschaffen werden. Das Gleiche werden wir bei der generativen künstlichen Intelligenz sehen. Wir werden mehr unserer täglichen Aufgaben automatisieren und können unser Humankapital für kreativere Aufgaben nutzen.
Wie viele Menschen und wer werden dadurch ihren Arbeitsplatz verlieren und welche Alternativen stehen den Betroffenen zur Verfügung?
Es fällt mir schwer, das zu quantifizieren, aber ja: Menschen werden ihre aktuellen Jobs verlieren. Dann müssen wir schauen, wie wir diese Leute in andere Jobs bringen können. Dies wird auch ein gesellschaftlicher Auftrag sein. Dazu gehört viel Weiterbildung – KI kann mit personalisierten Trainingsinhalten helfen.
Wie viel Kosten können Industrieunternehmen durch generative künstliche Intelligenz senken?
Es gibt noch keine Möglichkeit, es sicher zu wissen, da wir gerade erst anfangen. Zunächst gilt es zu prüfen, für welche Aufgaben ein KI-System geeignet ist und wo sich die Investition lohnt. Laut einer Forbes-Umfrage vom Frühjahr erwarten die meisten US-Unternehmen in den nächsten zwei Jahren keine wesentlichen Kostenänderungen oder nennenswerten Auswirkungen auf den Personalbestand. Jetzt geht es an die Suche nach Anwendungsgebieten.
Christina Lautner spricht mit Christian Schloegel
Quelle: www.ntv.de