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Für weniger gebildete Menschen ist Scham oft ein Hindernis

Millionen Erwachsene in Deutschland haben Lese- und Schreibschwierigkeiten. Hessen hat zudem eine große Bevölkerung mit niedrigen Alphabetisierungsraten. Obwohl es viele Menschen gibt, die bereit sind, zu helfen, sind die Betroffenen oft zu schüchtern, um es anzunehmen.

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Erwachsene mit Lese- und Schreibschwierigkeiten üben die Verwendung farbiger Blätter, auf denen verschiedene Wörter geschrieben sind. Foto.aussiedlerbote.de

Bildung - Für weniger gebildete Menschen ist Scham oft ein Hindernis

Laut der bundesweiten Leo-Studie haben in Deutschland 6,2 Millionen Menschen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren erhebliche Lese- und Schreibschwierigkeiten. Nach konservativen Schätzungen des Kultusministeriums sind in Hessen 630.000 Menschen dieser Altersgruppe von niedrigen Alphabetisierungsraten betroffen. Es ist oft schwierig, sie an grundlegende Bildungsmöglichkeiten heranzuführen. Christoph Köck, Geschäftsführer des Hessischen Verbandes für Erwachsenenbildung, sagte: „Wenn man sich die Anzahl der von uns kontaktierten Personen ansieht und auf uns zukommt und das mit der Anzahl der Betroffenen in Beziehung setzt, ist das absolut ein Tropfen auf den heißen Stein.“

„Wie die Leo-Studie 2018 zeigt, ist die Akzeptanz von Weiterbildungen in Grundbildung und Alphabetisierung generell gering“, erklärte ein Sprecher des Kulturministeriums.Hessen befürwortet verschiedene niedrigschwellige Maßnahmen.

Es gebe eine Vielzahl von Maßnahmen und Experimenten, sagte Coker. Es betrifft nicht nur Sie selbst, sondern auch Ihr familiäres und betriebliches Umfeld. „Das funktioniert bis zu einem gewissen Grad, aber wenn man dieses Thema wirklich erfolgreich systematisch studieren will, braucht man viele personelle Ressourcen.“

Coker betonte das ungenutzte Potenzial von Menschen mit niedrigen Alphabetisierungsraten. Grundsätzlich werden sie als defizitorientiert verstanden, das heißt, sie können wenig oder gar nichts tun. „Es wird unterschätzt, dass die Betroffenen oft noch über andere Fähigkeiten verfügen, wie zum Beispiel, dass sie sich ohne Stadtplanlesen zurechtfinden oder über bestimmte handwerkliche Fähigkeiten verfügen.“

Das betont auch Hans-Friedrich Lammers, Leiter Grundbildung der Regionalen Volkshochschule Kassel. Schätzungsweise 41.000 Menschen in der Stadt und Region Kassel haben eine niedrige Alphabetisierungsrate. „Das geht über alle Ebenen“, sagte Lammers. Um diese Ziele zu erreichen, stehen vor allem persönliche Beratung, barrierearme Angebote und Partner als Multiplikatoren im Fokus. „Dazu gehören verschiedene Ämter, Agenturen für Arbeit, Jobcenter und Beratungsstellen in der Stadt und im Landkreis Kassel.“

Das größte Problem, sagt Kirstin Goldenstein, sei die gesellschaftliche Diskriminierung der Betroffenen. Sie ist Vorstandsmitglied des Selbsthilfedachverbandes Alpha in Ludwigshafen. Der auf Spenden angewiesene Verein möchte Selbsthilfegruppen zu einer zentralen Säule der Alphabetisierung und Grundbildung in Deutschland machen. Die 64-Jährige sagte, Analphabetismus sei nach wie vor ein Tabuthema und sie selbst habe Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung. Während ihrer gesamten Karriere verbarg sie ihre Schwächen.

„Man hat Angst, darüber zu reden, und man hat Angst, um Hilfe zu bitten.“ Zu groß seien die Scham und die Angst vor Stigmatisierung. Dies hält auch viele davon ab, Weiterbildungsmöglichkeiten wahrzunehmen. „Negative Bewertungen ab der frühen Kindheit, gepaart mit der täglichen Herausforderung, Situationen unauffällig zu bewältigen, haben ihre Spuren hinterlassen. Eine erhebliche Zahl von Menschen wird depressiv oder frönt einer Sucht.“ Menschen mit niedrigem Alphabetisierungsgrad sollten nichts tun. „Sie wurden als dumm und faul abgestempelt“, sagte Goldstein. Das fängt schon in der Schule an. „Niemand hat auf ihr Tempo reagiert.“

Goldstein forderte mehr frühe Sprachförderung, Weiterbildungsmöglichkeiten und Sensibilisierungskurse, etwa für Pädagogen. Auch Selbsthilfegruppen sind wichtig, um Betroffenen die Erfahrung zu machen, dass sie nicht allein sind und der Opferrolle entfliehen können. Laut Goldstein gibt es derzeit nur zehn solcher Gruppen im Land.

Zur Bekämpfung des Analphabetismus ist vor allem ein Ansatz der offenen Gesellschaft erforderlich. „Die Gesellschaft muss sich erst öffnen, bevor sich die Betroffenen öffnen können“, betonte Goldstein. Nur dann werden sie den Mut haben, ihr Leben zu ändern und erkennen, wie viel sie erreichen und lernen können.

Der Deutsche Verband für Erwachsenenbildung bietet über das vhs-Lernportal preisgünstige Angebote an. Diese kostenlose digitale Lernplattform wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und umfasst verschiedene Online-Kurse in den Bereichen Alphabetisierung, Grundbildung und Deutsch als Zweitsprache.

Einerseits stellt die zunehmende Digitalisierung des Alltags eine Hürde für weniger gebildete Menschen dar, da viele Prozesse, etwa die Eröffnung eines Online-Kontos oder die Antragstellung bei der Behörde, immer noch textbasiert ablaufen, sagt Projektleiter Michael Thiel. „Andererseits kann es aber auch ein toller Auftakt sein.“ Bei einem Video-Lernportal muss man sich lediglich anmelden und schon können sich die Teilnehmer unbemerkt auf der Plattform bewegen. Das Angebot kam gut an.

„Für Menschen, die kaum oder gar keine Lese- und Schreibfähigkeiten haben, hat die Digitalisierung zwei Seiten“, sagte Goldstein. Einerseits bietet es neue und diskrete Begegnungs- und Lernmöglichkeiten. „Andererseits ist die Hemmschwelle, Computer zu nutzen, sehr hoch.“ Voraussetzung seien gute Lesefähigkeiten. Verträge, Formulare, Passwörter – das sind große Hürden für Betroffene. „Man hat Angst, etwas falsch zu machen. Außerdem haben viele Betroffene nicht die finanziellen Mittel, um sich einen anständigen Laptop oder ein Smartphone zu kaufen“, berichtet sie. Schließlich arbeiten sie oft in schlecht bezahlten Jobs.

Das berichtet auch Carina Lamberti, Leiterin Grundbildung der Frankfurter Volkshochschule. Nicht selten fehlt es den Betroffenen an Zeit und finanziellen Mitteln, um Grundbildungskurse zu besuchen. „Sie müssen oft Familien ernähren.“

Ihrer Erfahrung nach stellt die zunehmend digitale Welt – Jobportale, Online-Banking und Ticketing-Apps – für viele weniger gebildete Menschen eine große Hürde dar. „Deshalb ist es wichtig, dass es neben digitalen Produkten auch simulierte persönliche Angebote gibt, die eine Teilnahme ermöglichen.“

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Quelle: www.stern.de

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