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Emotionale Manipulation durch nostalgische Erinnerungen

Ein Wiedererstarken der Nostalgie ist vorhanden, insbesondere auf Social-Media-Plattformen. Bilder aus einer vergangenen Ära werden oft mehrfach angeklickt. Darüber hinaus werden oft subtil politische Anklänge hinzugefügt.

In der Vergangenheit waren solche idyllischen Szenen auf Social-Media-Plattformen häufig zu finden...
In der Vergangenheit waren solche idyllischen Szenen auf Social-Media-Plattformen häufig zu finden und trugen häufig versteckte politische Untertöne.

- Emotionale Manipulation durch nostalgische Erinnerungen

Hier sind Bilder, die eine scheinbar sorgenfreie Ära zeigen: Touristen am Strand von Rügen, ein Eckladen, lebhafte Cafés in der City - alles deutlich gealtert, vermutlich aus den 1960er oder 1970er Jahren aufgenommen. Die Bildunterschrift lautet: "Ich wünschte, es könnte wieder so sein." Diese Bilder erregen auf Social-Media-Plattformen, insbesondere auf Facebook, großes Aufsehen. Nostalgie scheint zu florieren, besonders bei Älteren.

Viele Kommentare spiegeln die Erinnerungen der Nutzer wider. Erinnerungen an Omas gemütliche Küche mit Kachelofen, den süßeren Geschmack von Fanta in der Kindheit und weniger materielle Besitztümer, aber ein größeres Glück. Es scheint eine idealisierte Darstellung der Vergangenheit zu sein, die bei näherer Betrachtung wenig mit der Realität zu tun hat. Für die Nutzer dient sie als Rückblick in ihre eigene Vergangenheit oder Jugend. Für einige Seitenadministratoren, die diese Bilder posten, scheint es ein Geschäftsvorhaben zu sein. Einige wollen etwas verkaufen, während andere ihre Follower subtil politisch manipulieren.

Nostalgie-Posts auf Facebook: Nostalgie versus Verachtung für die gegenwärtige Gesellschaft

Auf den ersten Blick scheinen die Seiten harmlos zu sein. Namen wie "Alte Erinnerungen", "Gute alte Zeiten" oder "Omas beste Rezepte". Sie wirken wie eine Zeitkapsel aus dem vergangenen Jahrhundert. Szenerien mit karierten Tischdecken, Fleischbällchen auf Gemeinschaftstellern, gelbe Telefonzellen am Straßenrand. Aber ein näherer Blick auf die Kommentare dieser Beiträge weckt Verdacht. Es geht nicht nur darum, Erinnerungen zu teilen, sondern oft auch um eine expression der Verachtung gegenüber der modernen Gesellschaft.

Benjamin Krämer, Professor für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Mediennutzung und Mediengeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), hat Einblicke in dieses Phänomen. In einem Interview mit stern erklärt er: "Es gibt einen Unterschied zwischen der Verklärung der Vergangenheit und der Ableitung politischer Schlüsse daraus. Aber man kann auch diesen Wandel ausnutzen und zum Beispiel die Immigration oder die liberale Sozialpolitik dafür verantwortlich machen, dass man nicht mehr hat, was man angeblich einmal hatte."

Genau das findet in den Kommentarbereichen vieler nostalgischer Beiträge statt. Unter einem Bild einer 1970er-Jahre-Stadtlandschaft schreibt ein Nutzer: "Es war damals sicherer. Alles war noch sauber und die Grenzen waren geschlossen! Heute traut man sich kaum noch raus, wegen all der Eindringlinge." Sein rassistischer Kommentar erhielt zahlreiche Likes. Ähnliche Bemerkungen tauchen unter einem Bild eines Schwimmbads auf, das apparently aus den 1980er Jahren stammt. "Es war damals sicherer, ins öffentliche Schwimmbad zu gehen, ohne Angst vor Übergriffen durch Ausländer." Offenkundig xenophobe Meinungen, die die geschätzten Erinnerungen an die Vergangenheit kontrastieren.

"Damit solche Beiträge wirksam sind, braucht es eine gewisse Vertrautheit. Der Boden muss woanders bereitet worden sein. Die Interpretationen müssen bereits gut etabliert und tief verankert sein, damit solche Aussagen sofort in einer bestimmten Weise interpretiert werden", erklärt Krämer.

"Diese Art der Kommunikation schürt Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Leben"

Eine Taktik, die die Neue Rechte seit Jahren nutzt: sogenannte "codierte Botschaften". Die explizite Botschaft muss nicht unbedingt ausgesprochen werden, weil alle den darunterliegenden Sinn kennen. Am erfolgreichsten wurde sie mit dem Lied "L'amour Toujours" von Gigi D'Agostino eingesetzt, das die rechtsextreme Szene mit dem Slogan "Deutschland für die Deutschen, Ausländer raus" adaptierte. Heute reicht schon die Melodie des Liedes ohne ihre hassvolle Textzeilen aus, um die Botschaft zu übermitteln.

Aber warum funktioniert eine solche Herangehensweise mit scheinbar harmlosen, nostalgischen Bildern?

Diese Art der Kommunikation, so Krämer, weckt eine Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Leben. "Besonders beliebt bei der Neuen Rechten", sagt er, "dreht es sich häufig um traditionelle Geschlechter- oder Familienwerte. Historische Beispiele werden aus Kunst und Architektur gezogen und suggerieren, dass es einmal eine goldene Ära des Westens gab, die nun im Niedergang begriffen ist."

Allerdings generiere dies alleine kein politisches Kapital, glaubt Krämer. Die Verklärung der Vergangenheit möge ein Gefühl der Euphorie und Zusammengehörigkeit wecken, aber sie inspiriert nicht unbedingt zu politischem Engagement und Stimmabgabe. "Es braucht eine Krise, ein Gefühl der Dringlichkeit, um die Menschen politisch zu motivieren und zur Wahl zu gehen. Es muss eine wahrgenommene Bedrohung geben."

Und diese Wahrnehmung von Bedrohung wird von der rechten Seite seit Jahren konstruiert. Ob es Flüchtlinge, korrupte Eliten oder Wärmpumpen sind. In dieser Erzählung ist klar: Einige versuchen, dem "kleinen Mann" etwas wegzunehmen und ihn zu unterwerfen.

Hinter diesen Ängsten, so Krämer, steckt jedoch eine tiefergehende Sorge: "Schließlich geht es um Recognition. Ist das eigene Leben oder die eigene Identität etwas wert?" Aktuell nutzen Parteien wie die AfD diese Identitätsfragen für ihre Kampagnen. Zum Beispiel, wenn der Thüringer Landeschef Björn Höcke auf einem alten ostdeutschen Motorrad posiert mit dem Slogan "Simson statt Lastenrad".

Aber das ist nichts Neues, betont Krämer: "Man findet ähnliche Recognition-Versprechen in allen Arten von politischen Ideologien. Sogar in früheren sozialdemokratischen oder sozialistischen Politik. Dort ging es darum, eine bessere Gesellschaft zu konstruieren und Recognition für die Identität der Arbeiter und ihren Lebensstil zu geben."

Viele Erinnerungen an die Vergangenheit werden im Nachhinein verklärt und scheinen strahlender als sie tatsächlich waren. Einige Bemerkungen unter Nostalgie-Beiträgen spiegeln diesen Gedanken wider. Einer schrieb: "Immer diese Nostalgie... Du würdest in dieser heutigen Welt keine Minute überleben. Ohne Bleifrei, körperliche Disziplin in der Schule und überhaupt kein Komfort. Die Erinnerungen mögen verführerisch sein. Die Ära war es definitiv nicht."

Nutzer schwelgen oft in Erinnerungen an einfachere Zeiten in ihren Kommentaren, wie etwa den Geschmack von Fanta in der Kindheit oder die gemütliche Küche der Großmutter. Diese nostalgischen Rückblicke dienen vielen Nutzern als Rückzug von den aktuellen gesellschaftlichen Problemen. Einige Kommentare verraten jedoch auch eine Abneigung gegenüber der modernen Gesellschaft und drücken oft den Wunsch nach einer Vergangenheit aus, die nie wirklich existiert hat. So schreibt ein Nutzer etwa: "Es war sicherer damals. Alles war noch sauber und die Grenzen waren geschlossen!"

Die Verklärung der Vergangenheit und ihre Verwendung als Kritik an der Gegenwart ist eine Taktik, die oft von der extremen Rechten eingesetzt wird. Laut dem Kommunikationswissenschaftler Benjamin Krämer stachelt eine solche Kommunikation die Unzufriedenheit mit dem heutigen Leben an und ist besonders bei der Neuen Rechten beliebt, die sich oft um traditionelle Geschlechter- oder Familienwerte dreht. Krämer betont jedoch, dass die Verklärung der Vergangenheit alleine kein politisches Kapital generiert. Es bedarf einer wahrgenommenen Bedrohung, um die Menschen dazu zu bewegen, politisch aktiv zu werden und zu wählen.

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