"Die Herrschaft nach Hitler": Erstaunt und verwirrt
Das Haus der Geschichte untersucht die Aufarbeitung der NS-Geschichte nach 1945, ein Thema, das in letzter Zeit wieder in den Fokus gerückt ist. Diese Ausstellung präsentiert erstaunliche und schockierende Enthüllungen.
Eines der kleinsten Exponate in der Ausstellung "After Hitler" im Haus der Geschichte ist eine alte Eintrittskarte aus Theresienstadt. Diese Karte ermöglichte es Erna Meintrup, eine jüdische Frau, 1945 nach ihrer Überlebenszeit im Theresienstadt-Ghetto in ihre Heimatstadt Münster zurückzukehren. Museumsdirektor Harald Biermann fragt sich: "Was mochte sie während dieser Reise gefühlt haben? Vielleicht etwas wie: Sind meine Verwandten noch am Leben? Was ist mit meinem Besitz passiert? Wie wird es sein, diejenigen wiederzusehen, die mich seit Jahren nicht mehr begrüßt haben?"
Die Ausstellung mit über 500 Objekten trägt den Untertitel "Deutsche konfrontieren den Nationalsozialismus". Biermann erklärt: "Wir glauben, dass dieses Thema sehr relevant ist, leider sogar noch aktueller in unserer Zeit durch den Anstieg rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien."
Die Ausstellung geht auf das Thema aus der Perspektive aufeinanderfolgender Generationen ein - von der "Erfahrungsgeneration", die die Nazi-Zeit erlebt hat, bis hin zur heutigen Generation unter 30. Die erste Generation soll die NS-Geschichte einfach unterdrückt haben. Das Museumsteam hat eine andere Meinung: "Die Frage, die an deutschen Esszimmertischen in den 50ern gestellt wurde, war 'Wo warst du?'" verrät Biermann. "Und wenn jemand dann 'Ich war in Jugoslawien' sagte, wusste jeder: Das war Partisanenkrieg, der dreckigste Krieg nach dem im Sovietunion. Und daher mussten keine weiteren Fragen gestellt werden - weil jeder bereits wusste."
"Grüße vom Obersalzberg"
Als Bundeskanzler Konrad Adenauer 1952 ein Reparationsabkommen mit Israel unterzeichnete, hielten 44% der Bevölkerung es für unnötig, 24% waren prinzipiell einverstanden, fanden die Entschädigung aber zu hoch, während nur 11% zustimmten. Der Rest war unsicher. Ein merkwürdiges Exponat in der Ausstellung ist eine Postkarte, die 1965 von "Hitler's Berghof 1933-1945" mit verschiedenen Ansichten des Alpenwohnsitzes verschickt wurde. Auf der Rückseite steht: "Herzliche Grüße vom Obersalzberg."
Die 60er Jahre in der Bundesrepublik markierten eine neue Phase der verstärkten Konfrontation. "Jetzt fragten die Kinder ihre Eltern: 'Wo warst du, als die Synagogen brannten?'" erklärt Biermann. Das Wort "Holocaust" wurde in US-Fernsehserien 1979 populär und auch in Deutschland gezeigt, aber erst in der dritten Folge - und nicht vom Bayerischen Rundfunk. Gleichzeitig schwappte eine signifikante "Hitler-Welle" durch die Bundesrepublik - mit den gefälschten Tagebüchern von 1983 als makabrer Höhepunkt.
"Für mich spiegelt sich der Wesenskern dieser Zeit im späteren Buchtitel 'Mein Opa war kein Nazi' wider", sagt Biermann. "Ich meine, dass allgemeine Urteile härter wurden, während persönliche Verflechtungen ignoriert wurden. Schließlich war mein eigener Opa immer nett."
Nach der Wiedervereinigung erweiterten sich die Perspektiven, einschließlich der Sinti und Roma als weitere Opfergruppen. Zunächst entstand jedoch Konkurrenz: "Die ersten homosexuellen Opfergruppen, die eine geschnitzte Fahne in Dachau ausstellen wollten, durften das nicht, weil die etablierten Opfergruppen es verhinderten", berichtet Biermann.
Auschwitz als Weihnachtsdekoration im Fenster
Im letzten Abschnitt der Ausstellung wird der aktuelle Zustand der Rechenschaftspflicht untersucht. Rechtspopulistische Politiker äußern oft Ermüdung über die 'ständige Selbstgeißelung'. Letztes Jahr wurde ein umgebauter Telefonkabinen-Buchladen in der Nähe des Holocaust-Mahnmals in Berlin, 'Gleis 17', von einem 63-jährigen Mann angezündet, der Holocaust-Bücher zerstören wollte.
Das schockierendste Exponat ist ein Weihnachtslichtbogen mit einem Bild des Auschwitz-Vernichtungslagers. 2019 schmückte ein mehrfach vorbestrafter Neonazi aus Chemnitz sein Fenster damit - eine sorgfältig ausgeschnittene Papierraute. Das Amtsgericht verhängte eine Geldstrafe.
"Sicherlich kann eine Korrelation zwischen historischem Bewusstsein und Zugehörigkeit zur Demokratie beobachtet werden", schließt Biermann. "Die Fragen, die diese Ausstellung aufwirft, haben Auswirkungen auf unser Leben."
Die Ausstellung "After Hitler" läuft bis zum 26. Januar 2026 im Haus der Geschichte in Bonn. Geöffnet Dienstag bis Freitag von 9 bis 18 Uhr, Samstag, Sonntag und Feiertage von 10 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.