Die Digitalisierung macht Analphabeten das Leben schwer
Die Nutzung digitaler Medien hat seit der Pandemie deutlich zugenommen, was für Menschen mit geringen oder keinen Lese- und Schreibkenntnissen zu Problemen führt. „Ob Online-Registrierung oder Online-Banking: Wer nicht richtig lesen und schreiben kann, muss jetzt zusätzliche Hürden überwinden“, sagt Fabian Walpuski vom Thüringer Verband für Erwachsenenbildung. Grundsätzlich wird der Corona-Lockdown diese Gruppen hart treffen, da der Unterricht eingestellt oder unterbrochen wird. Außerdem ist es für einkommensschwache Familien schwieriger, sich digitale Geräte oder einen guten Internetzugang anzuschaffen.
Nach Angaben des Verbandes für Erwachsenenbildung verfügen in Deutschland rund 6,2 Millionen Menschen über keine oder nur sehr eingeschränkte Lese- und Schreibfähigkeiten. Das Bildungsministerium schätzt, dass etwa 12 Prozent aller Erwerbstätigen in Thüringen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren über geringe Lese- und Schreibkenntnisse verfügen.
Trotz vieler Vorschläge hat es sich als schwierig erwiesen, Menschen dazu zu bringen, das Problem zu lösen. Walpski sagte, die Beteiligung an Alphabetisierungskursen in Volkshochschulen sei seit Jahren gering. Bundesweit nutzen jährlich nur etwa 0,7 % der Betroffenen diese Angebote. „Daher ist es eine zentrale Herausforderung, Menschen mit eingeschränkten Schriftsprachkenntnissen zu erreichen und zu beraten.“
„Die Entwicklung von Alphabetisierungsmaßnahmen dauert lange“, sagt Evelyn Sittig, Leiterin der Geschäftsstelle von LOFT, dem Dachverband der Erwachsenenbildungseinrichtungen in Thüringen. Grundsätzlich kann diese Arbeit nur in kleinen Gruppen von bis zu fünf Personen durchgeführt werden . Da dieses Thema stark stigmatisiert ist, sollten sich Betroffene nicht als Analphabeten fühlen.
Doch wie ist es möglich, dass so viele Menschen in Deutschland keinen allgemeinbildenden Schulabschluss erhalten? „Der Abschluss der Schulpflicht sagt nichts über den Lernstand eines einzelnen Schülers aus“, schlussfolgerte Valpski. Beispielsweise werden im Jahr 2021 landesweit rund 47.500 junge Menschen den Mindestabschluss nicht erreichen. Die Ursachen können schulischer, familiärer oder persönlicher Natur sein – zum Beispiel durch Sprachverzögerungen oder Hör- und Sehstörungen.
Sittig ist davon überzeugt, dass aktive Lernmöglichkeiten und Praxisbezug die Grundlage für gutes Lernen sind. „Für ein Schulsystem, das sich über Jahrzehnte kaum verändert hat, ist es schwierig, diesen Bedingungen gerecht zu werden.“ Neben grundlegenden Strukturveränderungen müsse auch ein stärkerer Fokus auf die Fortbildung des Lehrpersonals gelegt werden. Anbieter von Alphabetisierungskursen fordern in erster Linie von der Politik eine verlässliche Finanzierung, und zwar nicht nur für ein Jahr. Auch die Fördermöglichkeiten müssen flexibler werden, um Menschen mit kreativeren Angeboten anlocken zu können.
Um Menschen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten zum Weiterlernen nach der Schule zu motivieren, bietet der Freistaat eine Reihe von Angeboten an. In diesem Bereich engagiert sich die Thüringer Allianz für Alphabetisierung und Grundbildung, bestehend aus 80 Akteuren und Institutionen. Neben Radioprogrammen und Videos im Internet und in den sozialen Medien fährt Alpha-Mobil auch in Thüringen und ist ebenfalls buchbar. Eine weitere spannende Neuerung sei laut Walpski die sogenannte „Lerner-Zeitung“, in der Menschen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten ihre Geschichten erzählen können.
Experten sind sich einig, dass auch die impulsive und aufmerksame Hilfe eines Bekannten, Freundes oder Familienmitglieds entscheidend für das Lesenlernen ist. Auch Mitarbeiter von Sozialberatungsstellen können eine wichtige Rolle spielen, da sie über eine gute Vertrauensbasis verfügen – als gute Basis dafür haben sich sogenannte Büchercafés erwiesen. Weitere Informationen gibt es beim Grundbildungs-Hotline Thüringen, auf der Website www.hier-lerne-ich.de sowie bei 22 Volkshochschulen und 16 freien Erwachsenenbildungseinrichtungen.
Lesen Sie auch:
Quelle: www.dpa.com