An Israels Grenze zum Gazastreifen stehen Panzer und Soldaten für eine mögliche Bodenoffensive in dem Palästinensergebiet bereit. Viele junge Männer rechnen damit, dass sie vielleicht nicht lebend zurückkommen. Auf Videos in sozialen Medien sind betende Soldaten zu sehen. Nach dem schlimmsten Terroranschlag seiner Geschichte, den die im Gazastreifen herrschende islamistische Hamas im Grenzgebiet verübt hatte, geht Israel in die Offensive.
Die Armee hat nach den Gräueltaten der Hamas-Terroristen mit mehr als 1200 Todesopfern, die große Mehrheit davon Zivilisten, rund 300.000 Reservisten für die Operation «Iron Swords» («Eiserne Schwerter») mobilisiert.
Im Gespräch mit Soldaten am Rande des Palästinensergebiets versprach Verteidigungsminister Joav Galant, die Realität in Gaza werde sich «um 180 Grad wenden». Die Hamas werde ihre Taten bedauern. «Wir haben alle Beschränkungen aufgehoben, wir werden jeden auslöschen, der uns bekämpft, und alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen.»
Letzte Bodenoffensive kam zehn Tage nach Beginn der Kämpfe
Die letzte große Bodenoffensive Israels im Gazastreifen hatte am 17. Juli 2014 begonnen – zehn Tage nach Beginn massiver Luftangriffe. Der bewaffnete Konflikt dauerte insgesamt fast zwei Monate. Damals war das Ziel aber nicht die komplette Zerstörung der Hamas, sondern vor allem deren unterirdischen Tunnelsystems, das auch Angriffen auf Israel diente.
Israel hatte sich 2005 aus dem vorher besetzten Gazastreifen zurückgezogen und mehr als 20 israelische Siedlungen in dem schmalen Küstenstreifen geräumt. Doch die erhoffte Beruhigung der Lage blieb aus.
Stattdessen übernahm die Hamas – zweitgrößte Palästinensergruppe nach der Fatah von Präsident Mahmud Abbas – 2007 gewaltsam die alleinige Kontrolle. Seitdem kam es immer wieder zu blutigen bewaffneten Konflikten Israels mit der Hamas. Zehntausende von Raketen flogen auf israelische Städte. Die 1987 gegründete und unter anderem vom Iran unterstützte Gruppe will den jüdischen Staat zerstören und fordert die gewaltsame Errichtung eines islamischen Palästinas vom Mittelmeer bis zum Jordan.
Hat Israel eine andere Wahl, als Bodentruppen nach Gaza zu schicken?
Professor Jonathan Rynhold, Leiter der Politikabteilung der Universität Bar Ilan bei Tel Aviv, sieht keine Alternative zu einer Bodenoffensive gegen die Hamas-Spitze. «Dies ist ein ganz entscheidender Moment für Israels Abschreckung», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. «Und im breiteren Sinne für die Abschreckung des Westens gegen Terrorismus.»
Es sei wichtig, auch dem Erzfeind Iran und der libanesischen Schiitenorganisation Hisbollah zu zeigen, «dass Israel bereit ist, das Leben seiner Soldaten zu riskieren, um die inakzeptable Bedrohung seiner Zivilisten zu beenden». Israel müsse «sehr, sehr hart gegen die Hamas vorgehen – sonst wird es mehr solcher Attacken auf das Land geben, und nicht nur aus Gaza, sondern auch von anderswo».
Israel hatte immer wieder versucht, eine Art Modus Vivendi mit der Hamas zu erreichen, obwohl diese auch von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Gegnern eines unabhängigen palästinensischen Staates in Israel spielte die Rivalität zwischen Fatah und Hamas auch in die Hände. An eine friedliche Lösung des Konflikts glaubt in der Region kaum noch jemand.
Israel habe über die Jahre versucht, den Konflikt mit der Hamas mit der Methode «Zuckerbrot und Peitsche» irgendwie zu beherrschen. Dazu gehörten etwa Geldlieferungen aus Katar, die Öffnung der Grenzen für Arbeitskräfte aus dem Gazastreifen, in der Hoffnung, eine Linderung der wirtschaftlichen Not könne eine Beruhigung erzielen.
Alle Versuche, sich mit der Hamas zu arrangieren, seien jedoch nun gescheitert, sagte Rynhold. «Israel muss da reingehen und der Hamas und ihrer Infrastruktur sowie ihrer Fähigkeit zu herrschen maximalen Schaden zufügen.»
Welche Gefahren lauern in dem dicht besiedelten Gebiet
Doch jeder Bodeneinsatz in dem dicht besiedelten Gebiet gilt als extrem riskant. Die Hamas verfügte nach israelischen Schätzungen vor dem Terroranschlag auf Israel über rund 30.000 Kämpfer. Rund 1500 Mitglieder der sogenannten Nakba-Einheit sind nach israelischen Angaben bei der Attacke in Israel getötet worden, Hunderte weitere in Gefangenschaft.
Israel hat eine viel größere Armee, doch die Hamas-Kämpfer kennen sich in dem Küstengebieten besser aus – vor allem in dem unterirdischen Tunnelsystem und den verwinkelten Gassen haben sie einen Vorteil. Bei Straßenkämpfen riskiert Israel hohe Verluste. Dies ist in dem kleinen Land mit rund zehn Millionen Einwohnern und einer Volksarmee ein besonders wunder Punkt. Die Hamas könnte während der Kämpfe weitere Soldaten entführen, um diese bei künftigen Verhandlungen über einen Gefangenenaustausch als Druckmittel zu verwenden.
Gefahr für die in den Gazastreifen verschleppten Geiseln
Es wird davon ausgegangen, dass die mehr als 150 Menschen, die am Samstag in den Gazastreifen verschleppt wurden, dort an verschiedenen Orten festgehalten werden. Darunter sind auch Frauen, Kinder und alte Menschen. Auch fünf deutsche Staatsbürger zählen dazu.
Die israelischen Luftangriffe gefährden die Geiseln bereits, eine Bodenoffensive könnte dies verschlimmern. Ein Sprecher des bewaffneten Hamas-Arms hatte bereits mit der Hinrichtung der Gefangenen gedroht, sollte die Angriffe andauern.
Palästinensische Bevölkerung zahlt den Preis
Es ist wieder die Bevölkerung im Gazastreifen, die den Preis für die neue Gewaltrunde zahlt. Mehr als 260.000 Menschen sind nach UN-Angaben innerhalb des nur 40 Kilometer langen und zwischen sechs und zwölf Kilometer breiten Gebiets auf der Flucht. Viele suchten Schutz in UN-Schulen. Nach der von Israel verhängten kompletten Abriegelung des Gebiets droht neben einem Mangel an Strom und Wasser auch eine Lebensmittelknappheit.
Die Zahl der Toten bei den israelischen Luftangriffen schnellt immer weiter in die Höhe, sie hat bereits die 1000 überschritten. Darunter sind auch Frauen und Minderjährige.
Was könnte nach der Hamas kommen?
Sollte es Israel tatsächlich gelingen, die Hamas zu zerschlagen, würde im Gazastreifen ein Machtvakuum entstehen. «Andere Kriegsherren könnten die Kontrolle übernehmen, vielleicht noch schlimmer als die Hamas, falls das überhaupt möglich ist», meinte Rynhold.
Eine andere Möglichkeit wäre es, dass die palästinensische Autonomiebehörde wieder die Kontrolle über den Küstenstreifen übernimmt. Sie könnten dann allerdings von der Bevölkerung, die nach Meinungsumfragen mehrheitlich für die Hamas ist, als Verräter und Kollaborateure mit Israel gesehen werden. «Die palästinensische Autonomiebehörde ist so korrupt, autoritär und gleichzeitig schwach, dass die Chancen dafür sehr gering sind», sagte Rynhold. Auch eine neue dauerhafte israelische Besatzung hätte einen zu hohen Preis.
Der Einsatz einer internationalen Friedenstruppe hätte seiner Ansicht nach aber auch wenig Aussicht auf Erfolg. Ohne robustes Mandat hätten sie keine Chance, die Lage zu stabilisieren, meinte er. «Niemand will seine Truppen hierher schicken.»