Christiane Benner ist schon oft vorangegangen. Als erste Frau will sich die 55-Jährige am kommenden Montag (23. Oktober) zur Chefin der IG Metall wählen lassen – Deutschlands größte, mächtigste und männlichste Gewerkschaft, fest verankert in der Automobilindustrie und mit einem Frauenanteil von rund 20 Prozent.
Jahrzehntelang wurde die Organisation geführt von machtbewussten Männern wie Franz Steinkühler, Berthold Huber oder zuletzt Jörg Hofmann, der mit 67 Jahren nicht erneut antritt.
Nun also Christiane Benner, bereits seit acht Jahren Hofmanns Stellvertreterin. Seit ihrem Gewerkschaftseintritt im Jahr 1988 hat die einstige Jugendvertreterin eines Metallbetriebs im südhessischen Bensheim die IG Metall aus vielen Perspektiven kennengelernt – und dabei eine bemerkenswerte Vorliebe für schwierige und zukunftsträchtige Themen entwickelt. Nach einem von der Hans-Böckler-Stiftung finanzierten Soziologie-Studium sowie Stationen in Frankfurt und Hannover wurde sie 2008 Bereichsleiterin beim Vorstand, zuständig unter anderem für IT-Kräfte und «Zielgruppenarbeit».
Informationstechnologie als Treiber
Diese Gruppen waren unter anderem Frauen, Angestellte, Studenten und Ingenieure und damit recht weit entfernt von der prägenden Gruppe der klassischen Facharbeiter. Benner hat bereits scheinselbstständige Click-Worker organisiert sowie über Kreislaufwirtschaft und künstliche Intelligenz nachgedacht, als das für andere noch weit entfernte Zukunftsmusik war. Sie sagt über sich selbst: «Ich habe die Informationstechnologie immer als Treiber begriffen. Wenn ich verstehe, was bei IBM oder SAP geschieht, dann weiß ich, was in den anderen Betrieben drei oder vier Jahre später passiert.»
Aus der nach eigener Einschätzung «leicht nerdigen» Frau für komplexe Zukunftsfragen wurde recht schnell eine Frau mit Zukunft, die 2011 in den Vorstand berufen wurde und 2015 zur Zweiten Vorsitzenden avancierte. Auf dem Gewerkschaftstag in Frankfurt tritt die verheiratete Benner als Teil, aber auch als eindeutige Anführerin eines fünf-köpfigen Kandidaten-Teams für den Vorstand an. Gegenkandidaten sind nicht in Sicht.
Den bevorstehenden Wahlerfolg hat die Sozialdemokratin auch der eigenen Standfestigkeit zu verdanken, als sie sich im vergangenen Jahr nicht an die Spitze des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) wegloben ließ und lieber der IG-BCE-Funktionärin Yasmin Fahimi den Vortritt ließ. Danach scheiterte noch der Versuch baden-württembergischer Seilschaften, in einer neuartigen Doppelspitze neben ihr den Stuttgarter Bezirkschef Roman Zitzelsberger als Co-Vorsitzenden zu installieren.
Sie sei in ihrem Leben immer bereit gewesen, Verantwortung zu übernehmen, sagt die groß gewachsene und sportliche Ex-Handballerin, die bevorzugt am Main joggt. «Ich war auch Schulsprecherin, das hat meine Mutter damals gar nicht so recht mitbekommen.» Der angestrebte Posten an der Gewerkschaftsspitze bedeutet nach den Usancen der IG Metall demnächst auch den Wechsel in den Aufsichtsrat von VW, dem sich die designierte Chefin nicht verschließen wird. «Es gibt eine Erwartungshaltung und es gibt eine Tradition. Und der werde ich selbstverständlich entsprechen.»
Frauenquote und Arbeitszeitverkürzung
In der starken Auto-Fraktion ihres Hauses sieht sich die langjährige BMW- und Continental-Aufseherin bestens vernetzt. Die IG Metall sei aber weit vielfältiger, macht Tarife für Kfz-Mechatroniker ebenso wie für die Textil- und Holzwirtschaft und hat mit dem Maschinenbau und der Metallverarbeitung weitere Schlüsselindustrien in ihrem Organisationsbereich.
Benner ist eine entschiedene Verfechterin der Frauenquote und will in der Arbeitswelt die strukturellen Nachteile abbauen, die dazu führen, dass Frauen nach der Babypause nicht mehr auf den Karrierezug gelassen werden. Eine «kurze Vollzeit» von 32 Stunden für Männer und Frauen gleichermaßen scheint ihr ein richtiges Mittel gegen den Fachkräftemangel zu sein. Diese Forderung nach einer weiteren Arbeitszeitverkürzung, die auf eine Vier-Tage-Woche hinauslaufen könnte, will sie aber zunächst auf die Stahlindustrie beschränkt sehen, die vor einem ökologischen Umbau steht.
Manchmal rutscht der Soziologin noch ein Anglizismus wie «empowern» (befähigen) durch, doch grundsätzlich ist Benner um klare Ansprache nicht verlegen. «Ich muss die Dinge einfach so erklären, dass das ein ganz normaler Mensch auf dem Hallenboden versteht – und kein überkandideltes Zeug.» Ihre Organisation mit gut 2,1 Millionen Mitgliedern will sie künftig deutlich sichtbarer machen, in herkömmlichen wie in den sozialen Medien viel präsenter sein. Ihre Vorgänger bevorzugten eher das politische Hinterzimmer statt das grelle Licht der Talkshows, doch Benner sagt: «Ich scheue überhaupt nicht das Licht der Öffentlichkeit.» Am Montag ist es endgültig so weit.