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Beilagen sind nur noch eine Option und kein Muss

Ausdruck der Persönlichkeit

Fleisch, Kartoffeln, Gemüse und Soße - das gibt es immer noch, aber es ändert sich.
Fleisch, Kartoffeln, Gemüse und Soße - das gibt es immer noch, aber es ändert sich.

Beilagen sind nur noch eine Option und kein Muss

In den 80er Jahren war es undenkbar, in einem Restaurant auszusagen, was man auslassen oder hinzufügen wollte an einem Gericht. Heute ist das Normalität. Die deutsche Kulinarische Kultur hat sich geändert, und damit auch die Bedeutung der Beilagen.

Einst in Deutschland: Schnitzel, Spargel, Bratkartoffeln. Oder: Kasseler, Grünkohl, Salzkartoffeln. Das bedeutet also unter einem regulären, typisch deutschen warmen Gericht, dass eine dreiteilige Speise verstanden wurde. D.h. Fleisch/Fisch, Gemüsebeilage, (stärkebasierte) Füllbeilage. Ist diese letzte eine aussterbend? Ist sie auf Abschied?

Sicher, die Kulinarische Kultur - und das Verhalten bei (scheinbar immer teureren) Mittagstischen - ist sich ändernd. Und sie änderte sich in vielfältigen Weisen. Eine jüngste repräsentative Umfrage der Plattform Civey enthüllte, dass nahezu die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland ausgangsreicher sind - "seit der Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie auf 19%."

Wer das Menü in modernen Etablissements im Jahr 2024 liest, wird oft feststellen, dass es normal wird, dass etwa jeder Gericht, wie z.B. ein Rinderfilet, keine Beilagen mehr enthält, wie in teuren Restaurants in den USA. Sie werden oft unter dem Titel "Sides" untergebracht, unter denen dann Kohlenhydrate wie Pommes Frites oder Kartoffelpüree mit Gravy oder Gemüse wie grilliertes grünes Spargel stehen. Was bedeutet es kulturell, wenn die früher selbstverständliche Beilage jetzt nur eine Option und nicht ein "muss" ist?

Ganz sicher, Millionen von Menschen essen noch Gerichte wie Schweinshaxe mit Rotkraut. Viele Kantinen, Messeköche und Krankenhäuser nutzen noch Porzellan-Divisionsplatten mit einer dreiteiligen Aufteilung im Einsatz. Jüngere Menschen haben jedoch lange andere Vorlieben. Im modernen Essgewohnheiten sind alle-in-ein-Gerichte aus tiefen Tellern anstelle flacher Teller beliebt. Denken Sie an Trends wie Bowls, arabische Küche, asiatische Essen. Und Pizza, Pasta, Burger, Doner sind schon anders als Schweinshaxe mit Sauerkraut.

"Die etablierte dreiteilige Mahlzeit wird heute von vielen als veraltet und von vielen als väterlich empfunden," sagt der Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder von der Universität Regensburg. "Festgelegte dreikursige Mahlzeiten sind nahezu so aus wie die krisebelasteten Kaufhäuser à la Karstadt." Leute wollen heute eine große Auswahl und Erlebnis haben. Und genauso wie sie enttäuscht werden können, wenn im Kaufhaus nur zwei Regale mit Jeans statt vielen Dutzenden Modellen stehen, so kann Enttäuschung ausbreiten, wenn das Menü zu starre ist.

"Die junge Generation findet es oft seltsam, dass jeder an dem Tisch dasselbe essen muss. Essen hat sich zur Ausdrucksform der persönlichen Identität gewandelt," sagt Hirschfelder. "Wir leben heute in pseudo-individualisierten Essstilen." In der Regel ist es eine Vene. Am Ende ist es vollkommen irgendwie, ob ich Reis oder Nudeln nehme.

In den 80er Jahren gab es im mittleren Bürgertum oder bei den Griechen keine lange Diskussion darüber, was man auslassen oder hinzufügen wollte, oder was man nicht mag. Zudem bestand eine soziale Tendenz, die Kinder und Jugendlichen 'Du essen was auf dem Tisch steht.' Ein Restaurantbesuch war an sich genießbar, und Kinder hatten Schnitzel mit Pommes Frites mit sich mitnehmen - und das war gut. "Das wäre heute als Diktatur betrachtet."

Hirschfelder erhellt das frühere Essgewohnheiten in Deutschland. Nach dem skandalösen Zweiten Weltkrieg bestand eine "gleichschaltete Mittelstandgesellschaft," wie der Soziologe Helmut Schelsky einmal beschrieben hat. "Sozial, waren wir alle in derselben Boote, symbolisch auch am Tisch, sorgten wir für unsere Ernährung innerhalb wirtschaftlicher Möglichkeiten, und es war ungunstig, extravagante Geschmacksvorlieben zu haben. Kartoffeln als Beilage waren symbolisch belastet."

Mehr wichtig als was auf dem Tisch standen, insgesamt, waren, überhaupt, materielle Verbrauchsgüter. Reisen und Wohnraum waren jedoch ebenfalls bedeutsam im Vergleich zur Nahrungsaufnahme. Das hat sich erst nach dem Ende der DDR und des alten FRG geändert, laut Hirschfelder.

In den letzten Jahrzehnten sind neue Weltanschauungen in der wohlhabenden Gesellschaft nach dem Kalten Krieg aufgekammt - oft entlang der Erzählung "Ich bin, was ich esse." "In einer globalisierten Welt ist die Ernährung eine Reduktion der Komplexität, sodass viele sie sehr ernst nehmen."

Derzeit beobachtet man eine Rückkehr politischer Ideologien, aber der Überwertung von Essen im Alltag persistiert weiter, laut der Kulturwissenschaftler. Es ist noch wichtig, was man isst und was man nicht isst, z.B. vegane Lebensstile, low carb, oder so exotisch wie möglich Essen. "Der Slogan scheint zu sein: Wenn ich die Welt nicht verändern kann, so kann ich zumindest was auf meinem Tisch ändern."

Food und Kochen sind in einem internationalen Maßstab geworden, wobei viele Restaurants eine Vielfalt an Gerichten aus verschiedenen Ländern angeboten. Dieser Wandel in der Küchenkultur lässt sich in den Speisekarten von Modeestablishments erkennen, wo Gerichte oft ohne die traditionellen Beilagen ausgestattet sind, die einmal als 'Muss' im Deutschen Küchenkultur galten. Zum Beispiel kann eine Rindersteak ohne Pommes frites oder Erdapfelpurée, sondern mit grillierten grünen Spargel als optionaler Beilage serviert werden. Diese Internationalisierung der Essensvielfalt ist ein Spiegel der wandelnden Werte und Vorlieben jüngerer Generationen, die Essen als Ausdruck ihrer Persönlichkeiten sehen und mehr Vielfalt in ihren Mahlzeiten wünschen.

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