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Zweimal wegen derselben Straftat strafrechtlich verfolgt – grundlegende Entscheidungen

Bundesverfassungsgericht:Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Zweimal wegen derselben Straftat strafrechtlich verfolgt – grundlegende Entscheidungen

Nichts stört das Gerechtigkeitsgefühl der Menschen mehr als die Inhaftierung eines unschuldigen Mannes wegen eines schweren Verbrechens. Aber noch beängstigender wäre es, wenn die Person, die am wahrscheinlichsten schuldig ist, nicht ins Gefängnis kommt und mangels Beweisen freigesprochen wird.

Lange Zeit war es praktisch unmöglich, eine solche Person vor Gericht zu bringen, nachdem neue Fakten bekannt wurden. Die Situation änderte sich nach der Gesetzesreform. Vor dem Hintergrund eines aufsehenerregenden Mordfalls in Niedersachsen muss das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entscheiden, ob der Status quo fortgeführt werden soll.

Was ist das für ein Fall?

Vor mehr als 40 Jahren wurde die 17-jährige Studentin Frederike aus Hambühren bei Celle vergewaltigt und erstochen. Ein Verdächtiger wurde festgenommen. Der Mann ging vor Gericht, wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, legte erfolgreich Berufung ein und wurde schließlich 1983 aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

Dann kam es zur Wende: Eine aktuelle Untersuchung von DNA-Spuren ergab, dass rund 30 Jahre später klar war, dass er doch der Täter war. Im Rahmen der Gesetzesreform 2021 wird er erneut festgenommen und ein zweites Mal vor Gericht erscheinen. Der Mann reichte Verfassungsbeschwerde ein. Aufgrund eines Eilantrags ordnete der Oberste Gerichtshof Deutschlands seine Freilassung aus der Untersuchungshaft an.

Was ist das für eine Gesetzesreform?

Eine umstrittene Änderung der Strafprozessordnung wird derzeit geprüft – eine Erweiterung von Paragraph 362, Absatz 5. Die Regelungen treten Ende 2021 in Kraft. Daher sollte es möglich sein, ein Verfahren „zu Ungunsten des Angeklagten“ wieder aufzunehmen, selbst wenn neue Tatsachen oder Beweise darauf hindeuten, dass ein einmal freigesprochener Angeklagter letztendlich schuldig ist.

Kann daher ein rechtskräftig festgestelltes Strafverfahren wieder aufgenommen werden, wenn neue Beweise vorliegen?

Nein. Dies ist nur bei schwersten Verbrechen wie Mord, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen möglich. Ein bereits freigesprochener Angeklagter soll erneut vor Gericht gestellt werden können, wenn klare neue Tatsachen oder eindeutige Beweise gegen ihn auftauchen. Vor Änderungen der Strafprozessordnung war dies nur möglich, wenn schwerwiegende Verfahrensfehler vorlagen oder der Freigesprochene nachträglich ein Geständnis abgelegt hatte.

Was sind die Probleme mit den neuen Regelungen?

Deutschlands oberstes Gericht hat die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfs überprüft. Tatsächlich ist die sogenannte strafrechtliche Doppelverfolgung, bei der dieselbe Straftat zweimal verhandelt wird, durch das Grundgesetz verboten. Die Vorsitzende Richterin des Zweiten Senats, Doris König, erklärte bei einer mündlichen Verhandlung im Mai in Karlsruhe, dass dies mit dem Grundsatz des Grundgesetzes zusammenhänge, dass niemand für dieselbe Straftat mehr als einmal bestraft werden dürfe.

Gibt es eine einheitliche europäische Norm?

Es gibt keine einheitlichen Einschränkungen. Der Grundsatz, dass eine Person für denselben Straffall nicht zweimal vor Gericht gestellt oder bestraft werden kann, ist in verschiedenen europäischen Übereinkommen verankert, beispielsweise in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Allerdings lässt die Formulierung oft Spielraum für Interpretationen oder enthält mögliche Ausnahmen.

Zum Beispiel legt Artikel 4 des Zusatzprotokolls VII zur Europäischen Menschenrechtskonvention fest, dass niemand wegen eines Verhaltens rechtmäßig verurteilt werden darf, für das er nach den Gesetzen eines Staates und dem Recht dieses Staates rechtmäßig verurteilt wurde Strafverfahren begangen hat oder wegen dem er rechtswidrig verurteilt wurde. Der Täter kann in einem Verfahren im selben Staat erneut verfolgt oder bestraft werden. In dem Paragrafen heißt es aber weiter: „Dieser Paragraph schließt die Wiederaufnahme des Verfahrens nach den Gesetzen der Partei und der Strafprozessordnung nicht aus, wenn neue oder neu entdeckte Tatsachen vorliegen oder schwerwiegende Mängel im bisherigen Verfahren vorliegen.“ den Ausgang des Verfahrens beeinflussen.“

Wie gehen andere Länder damit um?

Professorin Tatjana Hörnle, Expertin vom Max-Planck-Institut für Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg, wies in der mündlichen Verhandlung darauf hin, dass viele Länder für den Angeklagten ungünstige Regeln für die Wiederaufnahme von Strafverfahren festgelegt hätten. —Manchmal ist der Wortlaut präziser. Auch in England und Wales ermöglicht der Criminal Justice Act 2003 dies, beispielsweise in Vergewaltigungs- und Entführungsfällen. Beispielsweise wurde am Tag seines Prozesses ein Engländer des Mordes für schuldig befunden, etwa 30 Jahre nach seinem Freispruch.

Quelle: www.bild.de

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