Wer glaubt, dass Geschichtsschreibung trocken und langweilig sein muss, dürfte wohl noch nie so falsch gelegen haben. Für den britischen Bestsellerautor Ken Follett ist Geschichte eine Goldgrube. Denn mit seinem neuen Werk kehrt der britische Bestsellerautor zurück an einen der wohl geschichtsträchtigsten Orte Englands – der nicht einmal existiert: Kingsbridge.
Die Stadt erfand Follett für seinen historischen Roman «Die Säulen der Erde», einen Welterfolg, an dem sich seitdem auch der Autor selbst messen lassen muss. «Die Waffen des Lichts» ist der fünfte Roman der Reihe – ein echter Follett mit Schwächen, aber auch neuen Stärken.
Einer der entscheidenden Sätze des Buches fällt fast nebenbei: «Wegen dieses sinnlosen Krieges, dachte Amos, schaffen wir es kaum, unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Und die Arbeiter werden immer verzweifelter.» Das beschreibt die Zeit, in der das neue Buch spielt – der Krieg gegen Napoleon Bonaparte tobt, gleichzeitig nimmt die Industrialisierung Fahrt auf, Adel und reiche Bürger fürchten um ihre Privilegien und die Arbeiter kämpfen um Bildung und das Recht auf eine eigene Meinung.
Der Satz macht aber auch klar, dass der Brite in der Geschichte eine Lektion für die heutige Zeit sieht, in der ein neuer Krieg in Europa wütet, Geldgier und wachsende Armut die Gesellschaft spalten, politische Entscheidungen für viele Menschen nicht nachvollziehbar sind und die Kirchen immer bedeutungsloser werden.
Klassenkampf und Industrialisierung
Follett beschreibt, wie einfache Menschen anfangen sich aufzulehnen, erste Gewerkschaften gründen und sich an einer Regierung abarbeiten, die offensichtlich mit ihrer Gesetzgebung vor allem die Arbeiter klein halten will. Anders als im Klassiker «Die Säulen der Erde» spielt sich das Geschehen im neuen Buch nicht innerhalb eines Menschenlebens, sondern in wenigen Jahren ab, etwa zwischen 1792 und 1815.
Es ist eine Zeit der Klassenkämpfe und der Industrialisierung: Maschinen ersetzen Handarbeit, stürzen Familien ins Elend, während viele Fabrikanten von Verantwortung nichts wissen wollen. Die Spinnerin Sal Clitheroe, ihr Sohn Kit, Tuchhändler Amos Barrowfield und der Weber David Shoveller stemmen sich gegen Unterdrückung und kämpfen darum, auch einfachen Menschen Wissen zu vermitteln.
«Sind wir nicht alle bestürzt, wenn unschuldige Menschen aus idiotischen Gründen getötet werden?», fragte Follett einmal. Denn für arme Menschen geht die Unterdrückung sogar vor Gericht weiter. Doch immer mehr rückt der Krieg, der ganz Europa erfasst, in den Mittelpunkt.
Follett ist immer dann stark, wenn er Geschichten erzählen und Bilder vor dem inneren Auge seiner Leser entstehen lassen kann. Das tägliche Leben der armen Bauern und Textilarbeiter, ihr Elend, der Kampf ums Überleben, aber auch die wirtschaftliche Not kleiner Geschäftsleute oder Fabrikanten, all dies ist so detailliert und farbenreich beschrieben, als hätte Follett die längst vergangene Zeit selbst erlebt. Der Grund: Der historische Roman ist akribisch recherchiert – Follett dankt am Ende nicht ohne Grund seinem Team.
Die Schlacht von Waterloo
Auch ist er fasziniert von speziellen Erfindungen, etwa Spinnmaschinen oder von Dampfmaschinen angetriebene Webstühle. Diese Faszination überträgt sich auf das ganze Buch, wie es sich ähnlich mit der Kathedrale in «Die Säulen der Erde» verhielt. Die Kathedrale selbst aber spielt in dem neuen Buch nur noch eine Nebenrolle.
Inzwischen lässt Follett bei der Figurenzeichnung auch Zwischentöne zu, was in der Vergangenheit nicht immer der Fall war: Der Böse, ein Tuchfabrikant aus Kingsbridge, ist nicht nur böse, sondern in der Liebe zu seinem Enkel ganz und gar menschlich.
Doch zum Ende hin, rund um die Schlacht von Waterloo, wird klar, dass die wahre Geschichte, die doch nur den Rahmen der Handlung bildet, die erfundene Geschichte des Autors zu erdrücken droht. Fasziniert verfolgt Follett den Verlauf der Schlacht, das Hin und Her des Schlachtengetümmels, den Kanonendonner, das Sterben der unzähligen Menschen, das viele vergossene Blut. Zwar versucht er, seine Figuren mit der echten Geschichte zu verweben, doch das gelingt nur mit viel Mühe und wirkt oft gekünstelt. Im Grunde schreibt er hier ein – gut lesbares – Geschichtsbuch.
– Ken Follett: Die Waffen des Lichts. Bastei Lübbe, Köln, 880 Seiten, EUR 36,00, ISBN: 978-3-7577-0006-5.