Vor 55 Jahren war es - Woodstock: Zehn Mythen über Liebe und Frieden
Es war eine Ära, in der alles möglich zu sein schien: Am 20. Juli 1969 setzte ein Mensch erstmals seinen Fuß auf den Mond. Knapp vier Wochen später erreichten Bilder die Öffentlichkeit, die wie von einem anderen Planeten zu stammen schienen - oder zumindest die Gründung einer neuen Nation ankündigten: die Woodstock Nation. Der politische Aktivist Abbie Hoffman prägte diesen Begriff mit seinem gleichnamigen Buch und verknüpfte ihn mit der Hoffnung auf ein neues, friedliches Zeitalter in der Menschheitsgeschichte. Der renommierte Dichter Allen Ginsberg sprach sogar von einem "großen planetarischen Ereignis".
Während die großen Erwartungen einer Erneuerung der Menschheit nicht erfüllt wurden, warf Woodstock kurzzeitig ein Licht auf das, was gesellschaftlich möglich war. Hier kamen viele Dinge zum Vorschein, die später fixe Bestandteile der alternativen Kultur in den 70ern und 80ern werden sollten - vom Hautbad bis zum Verzehr von Müsli zu östlichen Entspannungstechniken. Das "Time"-Magazin nannte dies den "langen Weg von Janis Joplin zu Claudia Roth".
Auch heute noch gibt es viel Idealismus, wenn von Woodstock die Rede ist - zahlreiche Mythen haben sich gehalten. Die zehn größten Mythen.
1. Das Festival fand in Woodstock statt
Ursprünglich sollte das Festival tatsächlich direkt in Woodstock, einer Stadt im Bundesstaat New York, stattfinden. Doch nach Protesten der ortsansässigen Bevölkerung mussten die Organisatoren einen neuen Standort finden - und sie fanden ihn in Wallkill, 30 Kilometer südlich von Woodstock. Doch auch hier wehrten sich die Bewohner erfolgreich - sodass sie schließlich in der Gemeinde White Lake, Bethel, 76 Kilometer entfernt, landeten. Dort mieteten die Organisatoren ein Stück Land vom Farmer Max Yasgur für 50.000 Dollar. Auch hier waren die Bewohner alles andere als begeistert von dem erwarteten Ansturm von Hippies - einige Bürger riefen sogar einen Boykott der Milch von Max Yasgur aus. Letztendlich gab die Verwaltung der Stadt mit 2.366 Einwohnern grünes Licht.
2. Die größten Stars der 60er spielten bei Woodstock
Die wahren Top-Stars der Ära blieben zu Hause: Die Beatles gaben keine öffentlichen Konzerte mehr, Bob Dylan wollte nicht, und auch nicht die Rolling Stones, Pink Floyd, The Beach Boys, The Doors oder Elvis. Sogar Led Zeppelin, die gerade ihre Weltkarriere starteten, lehnten ab. Die größten Stars bei Woodstock waren Jimi Hendrix und The Who. Für Santana war der Auftritt der Startschuss für eine Karriere, die bis heute andauert.
3. Jimi Hendrix' Auftritt war der stürmisch gefeierte Höhepunkt des Festivals
Das Beste zum Schluss: Jimi Hendrix hatte vertraglich vereinbart, als Headliner des Festivals als Letzter aufzutreten. Doch das Programm verzögerte sich aufgrund des Sturms, sodass Hendrix' Auftritt immer weiter nach hinten verschoben wurde. Als er schließlich auf die Bühne trat, war es bereits Tageslicht. Montagmorgen, 8:30 Uhr. Nur noch ein Bruchteil des Publikums war noch da - geschätzt 40.000 von den ursprünglichen 500.000 Festivalbesuchern.
4. Es herrschte ein unkommerzieller Geist
Schon damals war ein Festival vor allem ein gigantisches wirtschaftliches Unterfangen. Die meisten der bekannteren Musiker traten für eine - für die Zeit - großzügige Gage auf. Einige Künstler machten auch keinen Hehl daraus, dass sie nur aus kommerziellen Gründen da waren. Der Auftritt von The Who stand kurz vorm Ausfall, weil der Organisator nicht genug Bargeld hatte. Die britische Band wollte nur gegen Vorauszahlung spielen - mit großer Mühe und dem Einsatz eines Hubschraubers gelang es den Organisatoren, das Geld an einem Samstagabend zu beschaffen.
5. Woodstock war musikalisch bedeutend
Das ist natürlich Geschmackssache. Fakt ist jedoch, dass das Monterey Pop Festival von 1967 für die musikalische Entwicklung der 60er weitaus einflussreicher war. Die britische Band The Who feierte hier ihren triumphalen Durchbruch in den USA, und die Sternstunden von Jimi Hendrix und Janis Joplin gingen hier ebenfalls auf. Gleichzeitig war Monterey ein beeindruckender Schaufenster für den West Coast Sound: Mit Country Joe and the Fish, Quicksilver Messenger Service, Moby Grape, The Byrds, Jefferson Airplane, Buffalo Springfield, Grateful Dead, Scott McKenzie und The Mamas and the Papas waren fast alle prominenten kalifornischen Bands vertreten. Aus New York kamen Laura Nyro und Simon & Garfunkel. Und sogar die schwarze Musikszene war vertreten: Mit Booker T. & the M.G.'s, Otis Redding und Lou Rawls waren einige vielversprechende Soul-Musiker dabei.
Im Vergleich dazu hatte Woodstock - neben einigen musikalischen Highlights - zahlreiche Enttäuschungen: Musiker wie Tim Hardin oder John Sebastian hatten sich auf LSD oder andere Drogen eingelassen, die Grateful Dead spielten, was sie für ihren schlechtesten Auftritt hielten. Janis Joplin
7. Die Organisatoren machten ein Vermögen mit Woodstock
Zunächst sah es so aus, als würde das Festival ein totaler finanzieller Reinfall für die Organisatoren werden. Einnahmen von 1,4 Millionen Dollar standen gegenüber Ausgaben von 2,7 Millionen Dollar, was Woodstock Ventures Inc. mit einer Schuld von 1,3 Millionen Dollar zurückließ. Erst 1980 gelang es dem Unternehmen, aus den roten Zahlen zu kommen, da Woodstock Ventures nur minimal an den Tantiemen für den Film und die Alben beteiligt war. Andere machten das große Geld: Der "Woodstock"-Film brachte Warner Brothers in nur wenigen Wochen über fünf Millionen Dollar ein - bis 1999 hatte sich dieser Betrag auf über 100 Millionen Dollar erhöht. Hinzu kamen sechs Millionen verkaufte Alben, die weitere 100 Millionen Dollar einbrachten.
8. Die Festivalbesucher hatten eine lockere Einstellung gegenüber ihrem Körper und Nacktheit
Bekannt für seine Musik, wird Woodstock auch für seine Badeszzenen in Erinnerung bleiben: Hunderte Hippies sprangen nackt in den See. Dies vermittelte den Eindruck, dass die Besucher eine sehr entspannte Haltung gegenüber ihren nackten Körpern hatten. Allerdings muss das Schamgefühl sehr stark gewesen sein. Erst durch die Initiative eines Einzelnen überwanden die Menschen ihre Hemmungen. Fotograf Barry Levine erinnert sich: "Es war unglaublich heiß und Menschen scharten sich um den Teich. Alle warteten, man konnte spüren, dass sie reinwollten, aber nicht wagten - was tut man, wenn so viele Menschen da sind? David und ich zogen unsere Hosen aus und sprangen hinein. Wir dachten uns nichts dabei. Das war die offizielle Erlaubnis für alle, sich auszuziehen und ins Wasser zu springen."
9. Das Woodstock-Festival war ein politisches Ereignis
"3 Tage Frieden & Musik" war das Motto des Woodstock-Festivals - und genau das sollte es sein: die friedliche Zusammenkunft einer riesigen Anzahl von Menschen, begleitet von schöner Musik. Nichts mehr, nichts weniger. Natürlich waren die meisten Menschen kritisch gegenüber der US-Establishment und gegen den Krieg eingestellt. Allerdings gab es keinen Raum für politische Agitation bei Woodstock. Dies zeigt ein Vorfall während des Auftritts von The Who: Während die Band spielte, drängte sich der politische Aktivist Abbie Hoffman zur Bühne vor und beschwerte sich über die Festnahme seines Freundes, des Anarchisten John Sinclair. Mit den Worten "Verschwinde von meiner Bühne" schlug Who-Gitarrist Pete Townshend den Lautsprecher mit seiner Gitarre und schubste ihn von der Bühne - unter dem johlenden Beifall des Publikums. Townshend wies auch die Idee zurück, dass Woodstock die Geburt einer alternativen Lebensweise sei: "All diese Hippies, die dachten, die Welt würde sich heute verändern. (...) Was sie für eine alternative Gesellschaft hielten, war im Grunde genommen nur ein Feld, auf dem man knietief im Schlamm steckte und alle LSD nahmen. Wenn das die Welt war, in der sie leben wollten, konnten sie mich mal", sagte der Musiker später. Das US-Magazin "Newsweek" fasste am 25. August 1969 zusammen: "Für politische Aktivisten war das Festival eine Enttäuschung (...). Woodstock kann in eine andere, parallele Tradition gestellt werden, die sich 1967 auf dem Monterey Pop Festival in San Francisco entwickelt hatte (...). Woodstock steht für (...) den Rückzug der Jugend aus der Welt der Politik in den Schutz ihrer Jugend und ihrer Sinne." Und Bob Dylan, der damals in Woodstock lebte, fasste zusammen: "Die Generation der Blumenkinder - war das alles? Ich hatte damit nichts zu tun. Für mich waren sie nur eine Gruppe von Kids mit Blumen im Haar, die eine Menge Acid nahmen. Was soll man davon halten?"**
10. Das gesamte Festival verlief completely peaceful
Dass bei einem halben Millionen Menschen, die drei Tage auf engstem Raum verbrachten, so wenig passierte, ist bemerkenswert. Allerdings lief nicht alles glatt - es gab sogar Todesfälle. Am Samstagmorgen wurde ein 17-jähriger Besucher von einem Traktor mit einem Abwassertankwagen überrollt, während er in seinem Schlafsack schlief. Es kam auch zu Gewaltausbrüchen: Der Musikwissenschaftler und Radioredakteur Volkmar Kramarz, der damals 15 Jahre alt war und das Festival besuchte, erinnert sich in einem Interview mit der "Kölnischen Rundschau": "Es kam zu heftigen Konfrontationen zwischen Hippies und Vietnam-Veteranen. Es kam zu Prügeleien." Nichts davon spiegelt sich im Woodstock-Film wider - und so ist Woodstock in die Geschichte als friedliches Ereignis eingegangen.
Obwohl Frieden und Harmonie oft mit Woodstock assoziiert werden, gab es Momente der Spannung zwischen den Teilnehmern. So erinnerte sich der Musikwissenschaftler Volkmar Kramarz, der damals 15 Jahre alt war, an heftige Konfrontationen zwischen Hippies und Vietnam-Veteranen, die zu körperlichen Kämpfen führten. Im Gegensatz dazu gewann der legendäre Musiker Santana durch seinen Auftritt beim Festival enorm an Schwung und markierte damit den Beginn einer langen und erfolgreichen Karriere.