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„Wenn er dich schlägt, dann liebt er dich.“ - Im Sumpf der häuslichen Gewalt

Im Sumpf der häuslichen Gewalt

Im Februar 2017 verabschiedete das russische Parlament ein Gesetz, in dem einige Formen der häuslichen Gewalt von einer Straftat auf eine Ordnungswidrigkeit heruntergestuft worden sind. Ein Schlag ins Gesicht für alle Opfer, aber auch für alle Aktivistinnen, die sich seit Jahren für einen besseren Schutz der Frauen in Russland einsetzen.

Das Thema der häuslichen Gewalt ist nicht länger eine Angelegenheit innerhalb der eigenen vier Wände. Die Frauen wollen sich nicht mehr einschüchtern lassen: Immer mehr Betroffene gehen mit ihren Geschichten an die Öffentlichkeit. Es sind tragische, aber auch Mut machende Geschichten von starken Frauen, die aus dem Teufelskreis der Gewalt ausbrechen konnten und es wieder auf die Beine schafften. In manchen Fällen sind es nicht mehr die Opfer, die ihre Geschichte erzählen, sondern ihre Angehörigen oder Hinterbliebenen. Als eine Art Warnung und zum Wachrütteln der Gesellschaft, denn für viele Frauen endet ihr Martyrium leider mit dem Tod.

Die Statistiken zeigen ein erschütterndes Bild: Etwa 16 Millionen Frauen in Russland sind häuslicher Gewalt ausgesetzt. Im Jahr 2018 gingen zwei Drittel aller Frauenmorde in Russland auf häusliche Gewalt zurück. Etwa 40 Prozent der Frauen hatten bereits Gewalterfahrungen, lediglich 10 Prozent der Betroffenen wenden sich an die Polizei. Zudem werden immer wieder Fälle bekannt, in denen die Polizei, trotz mehrerer Hilferufe oder sogar Anzeigen, nichts unternommen hatte. Solche Tatsachen entmutigen und lassen die Hoffnung der Frauen schwinden. Den Opfer fehlt es oft an Schutz auf allen Ebenen: In ihrem Umfeld, in der Gesellschaft und im Gesamtsystem.

„Ich wollte nicht sterben“ (russ. Я не хотела умирать): Ein Hashtag mit dem zwei Aktivistinnen aus Russland, Alexandra Mitroschina und Aljona Popova, im Juli 2019 eine Kampagne auf Instagram gestartet haben, um auf das gravierende Problem der häuslichen Gewalt in Russland sowie auf den fehlenden Schutz der Frauen im Rechtssystem und in der Gesellschaft aufmerksam zu machen.

Anwältinnen, Frauenrechtlerinnen und Aktivistinnen in Russland beklagen die Wahrnehmung von häuslicher Gewalt in der Gesellschaft. „Wenn Liebende sich streiten, vergnügen sie sich nur“ – ist ein weiterer Spruch, mit dem die häusliche Gewalt und ihre Konsequenzen verharmlost werden. Streitet sich ein Ehepaar, so soll man das nicht zu ernst nehmen, ein Streit komme schließlich in den besten Familien vor: Die Ignoranz und die Akzeptanz von Gewalt im unmittelbaren Umfeld kann betroffenen Frauen zum Verhängnis werden.

Bringt die Frau ihre Gewalterfahrungen an die Öffentlichkeit, kann sie selbst zur Zielscheibe werden. Schnell kommt es zum sogenannten victim blaming: Die Situation wird umgekehrt und das Opfer beschuldigt, für seine missliche Lage selbst verantwortlich zu sein. Die Frauen fürchten sich oft davor, von der Gemeinschaft, in der sie leben, verurteilt zu werden. Trennen sie sich von ihrem Mann, so gelten sie als die „Zerstörerin der Familie“, werden zudem beschuldigt, den Kindern ihren Vater und die Möglichkeit in einer „richtigen Familie aufzuwachsen“, genommen zu haben.

Nicht weniger problematisch ist die Akzeptanz der eigenen Lage bei den Betroffenen selbst. Für viele Frauen stellt es eine „Normalität“ dar, wenn der Partner handgreiflich wird. Psychischer Terror seitens der gewalttätigen Männer führt dazu, dass Frauen kein Selbstbewusstsein besitzen, um sich gegen die Ungerechtigkeit, die ihnen widerfährt, zu wehren.

Die finanzielle Abhängigkeit vom Partner ist ein weiterer Grund, warum viele Frauen sich nicht trauen, den Schlussstrich zu ziehen. In Russland fehlt es an Strukturen, um Frauen in Trennungssituationen unter die Arme greifen zu können. Kein Geld, kein verfügbarer Wohnraum, keine Unterstützung, die eigene Scham oder die Angst nicht verstanden zu werden, hindern die Frauen daran ihre gewalttätigen Partner zu verlassen.

In großen Städten Russlands existieren mittlerweile Beratungsangebote, Aufnahmeeinrichtungen und Unterstützung unterschiedlicher Art für Frauen mit Gewalterfahrungen. In ländlichen Regionen sind die Optionen eher bescheiden bis gar nicht vorhanden. Dort sind die Frauen der Situation ausgeliefert. Zu groß ist oft auch die Angst vor der möglichen Rache des Tyrannen. Die Gründe, warum die Frauen bei ihren Peinigern bleiben, sind unterschiedlich und individuell. Doch die Gewalt prägt nicht nur das Leben der Frauen, sondern auch der Kinder, für die häusliche Gewalt zu einer Art Selbstverständlichkeit des Lebens wird. Aufgrund der hoffnungslosen Ausgangslage und in ihrer Verzweiflung, glauben die Betroffenen oft nicht mehr daran, dass sie Hilfe bekommen werden und dass es für sie sowie auch für ihre Kinder ein besseres Leben gibt.

In der Gesellschaft scheint das Thema mittlerweile angekommen zu sein. Das Bewusstsein wächst und die Gewalt wird von den Frauen nicht länger hingenommen. Frauenrechtlerinnen, Aktivistinnen und gemeinnützige Initiativen kämpfen für bessere Hilfsangebote für die Betroffenen und fordern den Staat dazu auf, die nötigen Strukturen dafür zu schaffen. Eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von häuslicher Gewalt spielen die Prävention und die Aufklärung: Die russische Frauenrechtlerin Aljona Popova beklagt, dass viele Frauen nach wie vor über ihre eigenen Rechte nicht aufgeklärt sind. Seit Jahren kämpft sie zudem um die Verabschiedung eines Gesetzes gegen häusliche Gewalt – für einen stärkeren Schutz der Opfer und für eine härtere Bestrafung der Täter.

Auch in Deutschland stellt die Gewalt gegen Frauen leider immer noch ein gesellschaftliches Problem dar. Laut Statistiken macht jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens psychische oder körperliche Gewalterfahrungen. Im Unterschied zu Russland, stehen den Betroffenen in Deutschland jedoch viel mehr Möglichkeiten zur Verfügung, um aus dem Teufelskreis der häuslichen Gewalt ausbrechen zu können. Staatliche Institutionen und gemeinnützige Organisationen bieten Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind, eine Reihe von Unterstützungsangeboten.

Zum Beispiel können sich Betroffene über das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ kostenlos und rund um die Uhr in vielen Sprachen anonym und sicher von qualifizierten Mitarbeiterinnen beraten lassen: 08000 116 016.

Mehr Informationen zum Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ gibt es unter.

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