Wenn die Ukraine zusammenbricht, sind die Moldauer an der Reihe
Wir sind alle beschäftigt, Jahresende, Weihnachtseinkäufe, Arbeit. Viele andere sind damit beschäftigt, ihr eigenes Leben und das ihrer Kinder zu retten. Unser Autor ist in Chisinau und hilft bei der Durchführung der letztgenannten Aktivität – oft unter gefährlichen Bedingungen.
Am Sonntag, dem 17. Dezember, kam ein Bus mit 54 Frauen und Kindern aus der Ukraine in Chisinau an. Anschließend geht es mit dem Bus weiter nach Deutschland. Kurz vor Weihnachten, am 20. Dezember, sollte er schließlich in München eintreffen. Aber warte, Chisinau? Zugegeben, eine der Fragen bei „Wer wird Millionär“ lautet: Wie heißt die Hauptstadt Moldawiens? Antwort: Charkow? B: Chisinau? C: Chmelnyzki? D: Chromtau? Natürlich B. Die meisten Deutschen, auch ich früher, wissen es immer noch nicht, aber jetzt weiß ich genau, wo Chisinau liegt, weil ich am 4. März 2022 dort angekommen bin. Es ist geplant, ein Wochenende lang zu bleiben, um die hier gestrandeten Ukrainer zu evakuieren. Daraus entwickelte sich ein sechsmonatiger Daueraufenthalt und dann ein Umzug nach Odessa. Nach drei Monaten in Berlin war ich wieder dort – ein Heimspiel sozusagen.
Unter der Leitung eines Teams bestehend aus Magdalena Hatschi, Ole Braga und Hermann Meingast passierten ukrainische Flüchtlinge und nun werden sie alle mit Bussen in die EU gebracht. Warum? Statistisch gesehen ist Moldawien das viertärmste Land Europas und hat zu Beginn des Krieges mehr als 500.000 Menschen aus der Ukraine aufgenommen, obwohl die Bevölkerung weniger als 3,2 Millionen beträgt. Zu Beginn des umfassenden russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine war „Be Angels“ die erste Organisation, die für die Evakuierungsarbeiten vor Ort verantwortlich war. Einen Monat später traf das UN-Flüchtlingshilfswerk in Moldawien ein.
Ahead liegt parallel zur Buslinie
Von März bis Mai 2022 arbeiten wir daran, Ukrainer aus temporären Notlagern mit angemessener Mindestversorgung nach Österreich und Deutschland zu überführen. Später verschwand die Möglichkeit einer Flucht aus der Südukraine nach Moldawien. Wer es sich leisten konnte, war bereits geflohen; zurück blieben Alte, Kranke und vor allem Frauen mit Kindern vom Land, deren Männer an der Front waren. Ausgehend von einer Stadt wie Saporoschje, die laut Google Maps nur zwölf Stunden von Chisinau entfernt ist, beginnt eine Reise ins Unbekannte während des Krieges: Fast 1.000 Kilometer Kampflinien verlaufen parallel zur Route.Wir waren mehrere Male dort und haben bis zu 240 Menschen gleichzeitig evakuiert.
Dort erlebten wir Raketenangriffe aus nächster Nähe und standen auf wackligem Boden. Während wir immer über die Entwicklungen an der Front informiert waren, befanden wir uns einmal in einer Situation, in der wir durch ein stark befestigtes Dorf fuhren und dem direkten Artilleriefeuer nur knapp entkamen.
Überraschenderweise ist dieser Krieg in Moldawien nahezu unsichtbar. Schon vor dem russischen Angriff gehörten Autos mit ukrainischen Nummernschildern zum Alltag in Odessa, einem Wochenendausflugsort der Moldauer. Fast jeder Moldauer spricht fließend Russisch und/oder Ukrainisch. Meist gibt es neben Rumänisch, der Landessprache Moldawiens, noch eine weitere Fremdsprache: Italienisch und oft auch Deutsch.
Von keinem Land anerkannt
Moldawien hat aktuelle Erfahrungen mit dem Russlandkrieg. 1992 brach ein sechsmonatiger Krieg mit Transnistrien aus. Heute ist die Region von Russland besetzt – angeblich „autonom“, aber von keinem Land der Welt anerkannt. Die Grenze zwischen Transnistrien und der Ukraine erstreckt sich über 500 Kilometer. Dieser Teil ist kein Fluchtweg mehr für ukrainische Flüchtlinge. Außerdem gibt es eine knapp 600 Kilometer lange Grenze zwischen Moldawien und der Ukraine zur Einreise.
Vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion war Moldawien ein Touristenziel für Russen, und es gab Berichte darüber, dass sie sich wie Besatzer des Landes verhielten, insbesondere unter älteren Menschen. Dennoch trauern einige von ihnen der Vergangenheit nach. Auch in Transnistrien ist die russische Propagandamaschinerie am Werk, die von rund 15.000 russischen Einwohnern (Putins „importierten“ Unterstützern) und 20.000 Tonnen russischer Waffen als Verhandlungsmasse betrieben wird. Transnistrien ist im wahrsten Sinne des Wortes ein echtes Pulverfass. Russland finanzierte Demonstrationen in der Hauptstadt Moldawiens. Die Landbevölkerung kam mit dem Bus nach Chisinau und ging auf die Straße, um gegen die derzeitige Regierung zu protestieren. Dies führte im Februar 2023 zum Rücktritt von Präsidentin Natalia Gavrilita. Ende 2021 trat erstmals eine liberale, junge und ehrgeizige Koalition in die Regierung Moldawiens ein.
bürokratische Freiwilligenarmee
Auf der einen Seite gibt es also diejenigen, die immer noch glauben, dass sie in der russischen Diktatur Erlösung finden können, und auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die trotz ihrer Armut bereit waren und sind, ukrainische Flüchtlinge in ihrer Heimat willkommen zu heißen. Als ich im Jahr 2022 ankam, war in der Notunterkunft eine Armee von Freiwilligen aktiv, die aus allen Gesellschaftsschichten und Gruppen stammten. Diese Unterstützung ist bis heute ungebrochen. Die Moldauer wissen, dass sie die nächsten sein werden, wenn die Ukraine zusammenbricht.
Für uns von Be an Angel beginnt die Winterplanung mit diesem Bus, der ab kommenden Sonntag nach Deutschland fährt. Zu diesem Zweck verlangen wir von jedem Passagier, dass er der Beförderung zustimmt und die Passagierliste vorab an die ukrainischen Behörden übermittelt. Bei Ihrer Ankunft in Moldawien wird der Grenzschutz benachrichtigt und verfügt über eine Passagierliste. Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen begleitet die Evakuierungsbemühungen in Moldawien.
Jedes Leben ist wichtig
Stewardship ist mittlerweile ein wichtiger Teil unseres Programms. Mit der Dauer des Krieges nahmen die Beobachtungen zur Ukraine deutlich zu, insbesondere hinsichtlich der Möglichkeit, das Land zu verlassen. Das ist völlig verständlich. Für das Be an Angel-Team in Deutschland, Moldawien und der Ukraine bedeutet dies, 12 bis 16 Stunden am Tag zu arbeiten.Menschen, die aus Kriegsgebieten evakuiert werden müssen, benötigen Informationen und haben viele Fragen. Das ist völlig verständlich, da viele von ihnen die Ukraine noch nie in ihrem Leben verlassen haben. Es gibt auch drei verschiedene Länder und ihre Behörden.
Aber nichts davon wird uns davon abhalten, weiterhin Menschen aus Kampfgebieten zu holen, wenn sie dies wünschen. Was mich immer wieder inspiriert: Jedes Teammitglied nimmt sich Zeit – denn jedes Leben zählt. Ohne diese Leidenschaft wäre ich nicht mehr hier.
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Quelle: www.ntv.de