Einfach mit einem Wasserstoffflugzeug von Berlin nach Rom? Wenn es nach der Industrie geht, soll dies innerhalb des nächsten Jahrzehnts möglich sein. Branchenschwergewicht Airbus will bis 2035 ein wasserstoffbetriebenes Verkehrsflugzeug auf den Markt bringen. Aber nicht nur der größte Flugzeughersteller der Welt tüftelt an der Technologie. Neben viel Aufsehen tüftelt das Stuttgarter Start-up H2Fly seit Jahren an Wasserstoffflugzeugen – und will bald als erster zum Branchenführer aufsteigen.
Nach Angaben des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) brachten die Stuttgarter bereits 2016 mit dem viersitzigen Testflugzeug HY4 das seinerzeit größte rein wasserstoffbetriebene Flugzeug in die Lüfte. In zwei Jahren soll sie zehnmal so groß sein: Laut H2Fly-Chef Josef Kallo wird die 40-sitzige Dornier mit einer Reichweite von 2.000 Kilometern ihren ersten reinen Wasserstoffflug absolvieren – und damit den Grundstein für den kommerziellen Einsatz legen.
Die dafür notwendigen Brennstoffzellensysteme werden derzeit zu einem Gesamtsystem kombiniert. Dies wird noch vor Ende des Jahres mit Flüssigwasserstofftanks am Boden kombiniert. „Bis 2024 wird das gesamte System in einem Flugzeug installiert und am Boden getestet“, sagte Kallo. Bis 2025 soll es erstmals im All sein. Der HY4 hat derzeit eine Leistung von 120 bis 150 Kilowatt. Jetzt geht es im nächsten Schritt ans Megawatt. Mit heutiger Technik lassen sich etwa 4 Megawatt erreichen – das reicht in etwa für 60 bis 80 Sitzplätze.
Ein Wasserstoffmotor, ein Kerosinmotor
Um die Entwicklung des Stuttgarter Flughafens zu beschleunigen, entsteht derzeit unter Federführung von H2Fly ein wasserstoffelektrisches Flugzentrum, das an diesem Montag (11:45 Uhr) eingeweiht wird.
Doch nicht nur in Stuttgart wird die Entwicklung des Wasserstoffantriebs in der Luftfahrt vorangetrieben. Das angloamerikanische Unternehmen ZeroAvia beispielsweise startete 2020 zum Erstflug eines sechssitzigen Flugzeugs und brachte im Januar dieses Jahres sogar einen 19-sitzigen in die Luft – allerdings wurde nur eines der beiden Triebwerke durch einen Treibstoff ersetzt Zellenmotor, die anderen mit Kerosin betreiben.
Björn Nagel, Direktor des DLR-Instituts für Luftfahrtsystemarchitektur, erklärte, dass viele Start-ups und etablierte Hersteller das Ziel haben, innerhalb der nächsten fünf Jahre kommerzielle Business Jets mit bis zu 19 Sitzplätzen zu entwickeln. “Innerhalb des nächsten Jahrzehnts könnten Regionaljets mit bis zu 70 Sitzplätzen möglich werden.”
Triebwerkshersteller MTU Aero will beispielsweise Brennstoffzellenantriebe für Flugzeuge liefern, die 50 bis 100 Passagiere über 1.800 Kilometer befördern können. „Das reicht für etwa drei Viertel der europäischen Strecken“, sagte Vorstandschef Lars Wagner kürzlich dem „Münchner Merkur“.
nur bestimmte Wasserstoffrouten
Airbus will bis 2035 ein kommerzielles Verkehrsflugzeug mit Wasserstoffantrieb auf den Markt bringen. Mit 100 bis 200 Sitzplätzen bietet das Modell in etwa die gleiche Kapazität wie aktuelle Mittelklasse-Jets der A320neo-Familie. In jüngerer Zeit hängen die Pläne des Konzerns jedoch vom Ausbau der notwendigen Infrastruktur ab.
Auch Nagel sieht darin eine große Herausforderung – aber er ist optimistisch. Zu Beginn gibt es nur wenige Wasserstoffflugzeuge in der Weltflotte, die sich auf wenige Strecken konzentrieren können. Zunächst benötigen Sie nur an wenigen Flughäfen die Infrastruktur zum Tanken – und können diese dann weiter ausbauen. „Im Prinzip ist es wie eine Ladestation für Elektrofahrzeuge.“
Neben flüssigem Wasserstoff als Energieträger für Brennstoffzellen könnte das Gas auch für die CO2-neutrale Umwandlung in der Luftfahrtindustrie genutzt werden, erklärt Nagel: Aus „grünem“ Wasserstoff und aus der Atmosphäre gewonnenem CO2 lässt sich künstliches Kerosin herstellen. Vorteile: Es kann fast direkt in heutigen Flugzeugen verwendet werden. Seine Herstellung erfordert jedoch viel Energie.
Aktuellen Studien zufolge ist der Gesamtenergiebedarf für den Flüssigwasserstoffflug und die Treibstoffherstellung bei Kurz- und Mittelstreckenflügen geringer. Andererseits hat synthetisches Kerosin auf der Langstrecke Vorteile. Allerdings bleibt noch viel zu entdecken, sodass sich erst in den nächsten Jahren herausstellen wird, welche Energiequelle sich durchsetzen wird.