Der Weg für eine Lieferung von F-16-Kampfjets an die Ukraine scheint endgültig frei. Spätestens um die Jahreswende herum sollen die Streitkräfte des von Russland angegriffenen Landes die ersten Flugzeuge erhalten.
Dutzende weitere werden den Planungen nach folgen. Kontrovers wird nun diskutiert, was die Entwicklungen für die Ukraine und die Nato bedeuten. Fragen und Antworten im Überblick.
Was erhoffen sich die Ukrainer von den Kampfjets?
Sie gehen davon aus, dass sich mit den F-16 die Zahl erfolgreicher russischer Raketen- und Drohnenangriffe deutlich reduzieren lassen könnte. Dazu würden sie zusammen mit bodengestützten Flugabwehrsystemen eingesetzt. Zudem will die Ukraine die mehr als 2000 Stundenkilometer schnellen Mehrzweckkampfflugzeuge, um sie bei Offensiven gegen Russland zur Unterstützung der Bodentruppen einzusetzen.
«F-16 werden es uns ermöglichen, unseren Himmel zu kontrollieren, unsere Truppen zu schützen, ihre Verluste zu reduzieren und die Chancen unserer Piloten zu erhöhen, Luftkämpfe zu überleben», schrieb der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba bereits im Frühjahr in einem Gastbeitrag für das US-Fachmagazin «Foreign Policy».
Eine Lieferung von F-16 könne dadurch auch für ein schnelleres Kriegsende sorgen. Dies werde viele Menschenleben retten, aber auch politische, militärische und wirtschaftliche Ressourcen schonen.
Kann der Ukraine so ein schneller Durchbruch gelingen?
Das wird für sehr unwahrscheinlich gehalten – vor allem, weil die russische Luftwaffe über erhebliche Abwehrkapazitäten verfügt. Ein «Gamechanger» seien die F-16 nicht, sagte der Politologe Maximilian Terhalle der Deutschen Presse-Agentur.
Die Kampfjets seien für Präsident Wolodymyr Selenskyj aber ein wesentliches Element, um «die Motivation der Bevölkerung und der Truppen aufrechtzuerhalten und zu befördern.» Dies gelte umso mehr, weil die aktuelle Gegenoffensive «in der allgemeinen Wahrnehmung noch nicht da ist, wo sie sein sollte», erklärte der Gastprofessor an der London School of Economics.
Warum bekommt die Ukraine F-16 und keine anderen Kampfjets?
Die Jets, die den offiziellen Beinamen «Kämpfender Falke» tragen, gelten als äußerst leistungsfähig und sind weit verbreitet. Weltweit waren nach Angaben des US-Herstellers Lockheed Martin zuletzt noch etwa 3000 Exemplare im Einsatz. Kiew kann deswegen darauf hoffen, größere Stückzahlen und keine großen Probleme bei der Ersatzteilbeschaffung zu bekommen.
Warum werden die ersten Kampfjets erst in ein paar Monaten geliefert?
Grund dafür ist vor allem die notwendige Pilotenausbildung. Nach Angaben von Militärs dauert es vermutlich vier bis neun Monate, auf Sowjetmodellen ausgebildete ukrainische Kampfpiloten im Umgang mit dem westlichen Flugzeugmodell zu schulen. Die komplette Ausbildung eines flugunerfahrenen Soldaten zum Kampfpiloten nimmt in der Regel mindestens vier Jahre in Anspruch.
Welche Länder stellen die F-16 zur Verfügung?
Bislang haben Dänemark und die Niederlande feste Zusagen gegeben. Nach ukrainischen Angaben geht es um 61 Flugzeuge. Aus Dänemark sollen 19 F-16 kommen, die ersten sechs um den Jahreswechsel. Aus den Niederlanden erwartet die Ukraine 42 Flugzeuge. Sowohl in Dänemark und als auch in den Niederlanden werden die F-16-Jets nach und nach durch modernere F-35-Maschinen ersetzt.
Warum liefern die USA als Herstellerland keine F-16?
Das ist nicht ganz klar. In Hintergrundgesprächen haben US-Regierungsbeamte in der Vergangenheit mit einem unvorteilhaften Kosten-Nutzen-Verhältnis argumentiert und zur verstehen gegeben, dass sie die Lieferung von anderen Waffensystemen für wichtiger erachten. Sorge bereitet zudem, dass die westlichen Kampfjets entgegen Absprachen für Attacken auf russisches Gebiet eingesetzt werden und Moskau so zur Eskalation des Krieges über die Ukraine hinaus veranlassen könnten.
Wie steht die Bundesregierung zu den Lieferungen?
Wie US-Präsident Joe Biden ist Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) darauf bedacht, das Risiko einer Eskalation zwischen Russland und der Nato möglichst gering zu halten. Entsprechend äußerte er sich in der Vergangenheit zurückhaltend zur Kampfjet-Koalition.
Im Juni sagte Scholz im Bundestag, dass man sich bei den Waffenlieferungen weiterhin auf gepanzerte Gefechtsfahrzeuge, Flugabwehrsysteme, Artillerie und die nötige Munition konzentrieren werde. Damit liefere Deutschland genau das, was die Ukraine bei der Offensive zur Befreiung ihrer Gebiete am dringendsten benötige.
Die Bundesregierung kann sich auch darauf berufen, dass Deutschland keine F-16, sondern nur Eurofighter und Tornados aus europäischer Gemeinschaftsproduktion besitzt. Mit Großbritannien und Frankreich beteiligen sich allerdings auch Nato-Staaten an der Kampfjet-Koalition, die selbst keine F-16 im Einsatz haben. Sie wollen bei der Ausbildung unterstützen.
Hat die Ukraine auch Interesse an der Lieferung deutscher Eurofighter oder Tornados?
Grundsätzlich schon. Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow hatte im Mai Interesse an Eurofightern aus Deutschland und Großbritannien sowie an schwedischen Gripen-Jets bekundet. Für die Bundesregierung ist das aber derzeit kein Thema.
Was bedeutet die F-16-Entscheidung für die deutsche Diskussion über eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern?
Regierungssprecher Steffen Hebestreit sieht keinen Zusammenhang. Die Bundesregierung sehe sich durch die Entscheidung nicht unter Druck gesetzt, sagte er am Montag. Fakt ist allerdings, dass die Taurus-Raketen mit einer Reichweite von 500 Kilometern den ukrainischen Streitkräften wie die Kampfjets dabei helfen könnten, Ziele weit hinter der Frontlinie anzugreifen und damit die Versorgung der russischen Kampftruppen zu stören.
«Wir haben genug Taurus-Marschflugkörper. Wir können einen Teil davon abgeben. Sie sind einsatzbereit», sagte die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann am Montag. Ihre Partei erwartet eine schnelle Entscheidung in dieser Frage. Theoretisch könnte sie bis zur oder bei der Klausurtagung des Bundeskabinetts in der kommenden Woche fallen.
Wie reagiert Russland auf die F-16-Lieferungen?
Russland wirft dem Westen vor, sich immer tiefer in den Krieg hineinziehen zu lassen. Außenminister Sergej Lawrow sagte im Juli sogar, Moskau könne die Kampfjets als nukleare Bedrohung sehen, weil sie mit Atomsprengköpfen bestückbare Raketen tragen könnten. Es werde das Risiko einer direkten militärischen Auseinandersetzung mit Russland geschaffen und die könnte katastrophale Folgen haben, warnte er in einem Interview des russischen Internetportals Lenta.
Wie wird das Eskalationsrisiko in der Brüsseler Nato-Zentrale gesehen?
Offiziell gibt es vom Verteidigungsbündnis keine Antwort auf diese Frage. Stattdessen wird betont, dass die Nato selbst keine Waffen an die Ukraine liefere und Entscheidungen über Waffenlieferungen Sache der Mitgliedstaaten seien. Dass die USA die Lieferung von F-16 erlauben, wird allerdings als klares Zeichen dafür gewertet, dass das Eskalationsrisiko als beherrschbar eingestuft wird. Im Fall eines russischen Angriffs auf einen Nato-Staaten könnte nämlich der Bündnisfall nach Artikel 5 des Nato-Vertrags ausgerufen werden. Dann würde es heißen: «Einer für alle, alle für einen».