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Warum einige den Angriff auf Israel rechtfertigen

Berlin
In Berlin-Neukölln versammelten sich am Samstagabend etwa 50 Menschen zu einer pro-palästinensischen Demo.

Hassan steht im Eingang eines Handyladens an der Sonnenallee. Ein junger Mann, Airpods in den Ohren. Ob er etwas von der Demonstration mitbekommen hat, bei der am Samstag ein paar Meter die Straße runter der Angriff der Terrorgruppe Hamas auf Israel bejubelt wurde? «Ja klar, ich war da», sagt der junge Mann. «Damit jeder weiß, dass wir hinter unserem Land stehen.» Unser Land: Das ist für ihn Palästina.

Bei vielen hat diese Jubelfeier von etwa 50, 60 Leuten in Berlin-Neukölln am Tag des Angriffs auf Israel Entsetzen ausgelöst. Das anti-israelische Netzwerk Samidoun verteilte süße Backwaren, «zur Feier des Sieges des Widerstands», wie es auf Instagram hieß. Parolen wurden skandiert, ein Stein auf einen Polizeiwagen geworfen. Und das alles, während Terroristen der Hamas in Israel Dutzende Zivilisten entführten und Hunderte umbrachten. Wie kann das sein?

Schweigen auf der Sonnenallee

Fast niemand will am Morgen darüber auf der Sonnenallee. Dönerbuden und Baklava-Bäckereien bieten ihre Waren feil, die meisten Menschen wollen vom blutigen Nahost-Konflikt nichts hören. Doch an einigen Hauswänden kleben Plakate: «Freiheit für Palästina». Vor einem Laden hängen gleich mehrere Palästinenserflaggen. Fragen will aber niemand beantworten. «Wir haben kein Interesse», sagt ein junger Mann.

Nur Hassan wagt sich aus der Deckung, er haut eine krasse These nach der anderen raus. Bloß «weil drei Israelis gestorben sind», seien die Palästinenser jetzt plötzlich Terroristen – das meint der 18-Jährige ernst. Von Hunderten Toten, von Gräueltaten an Zivilisten will er nichts hören. Alles kontert er mit dem Argument, keiner rede darüber, was Israel schon alles getan habe. «Warum sind die nach Palästina gekommen und haben unser Land genommen?»

Er habe kein Problem mit Juden, behauptet der Schüler, dessen Familie aus den Palästinensergebieten nach Syrien floh, von dort in den Libanon und schließlich nach Deutschland. Aber der Kampf gegen die Menschen in Israel werde immer weiter gehen, auch 200, 300 Jahre, bis «wir auf diese Art und Weise Palästina zurückholen».

Existenzrecht Israels ist deutsche Staatsräson

So denkt nicht nur Hassan. Und es macht unruhig in einem Land, das das Existenzrecht Israels zur Staatsräson erhoben hat. Dass Israel ein Recht zu leben und zur Selbstverteidigung hat, das ist das Mindeste, der kleinste gemeinsame Nenner, an dem hier niemand rütteln sollte. Nicht nach den historischen Verbrechen von Deutschen an Juden, von denen in Palästina viele die einzige Zuflucht fanden. Davon gibt es nach dem Holocaust kein Zurück, das ist die deutsche Linie.

«Wir akzeptieren es nicht, wenn hier auf unseren Straßen die abscheulichen Attacken gegen Israel gefeiert werden», bekräftigte Bundeskanzler Olaf Scholz nach den Szenen vom Samstag. Bundesinnenministerin Nancy Faeser brachte Ausweisungen ins Gespräch, wenn Hass und Hetze verbreitet werden. Die Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic forderte, Vereinsverbote zu prüfen. Im Visier sind nun vor allem Organisationen wie Samidoun – die mit den Süßigkeiten auf der Sonnenallee.

Nach Einschätzung von Verfassungsschützern gehört der Verein zur radikalen Palästinenserorganisation PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas) und ist israelfeindlich. Die PFLP selbst propagiert den bewaffneten Kampf gegen Israel, ist aber im Gegensatz zur Hamas nicht religiös geprägt. Die PFLP hat in Deutschland einige Dutzend, vorwiegend ältere Anhänger.

Hunderte Hamas-Unterstützer in Deutschland

Hinter der Hamas, die am Samstag die massiven Angriffe auf Israel startete, stehen nach Schätzungen des Verfassungsschutzes in Deutschland rund 450 Menschen, von denen viele deutsche Staatsbürger sind. Die Verwendung von Kennzeichen der Hamas ist in Deutschland strafbar. «Westliche Staaten wie Deutschland werden von der Hamas als Rückzugsraum betrachtet, in dem die Organisation sich darauf konzentriert, Spenden zu sammeln, neue Anhängerinnen und Anhänger zu rekrutieren und ihre Propaganda zu verbreiten», heißt es im Verfassungsschutzbericht 2022.

Ein Verbot von Samidoun wäre das Mindeste, findet die Amadeu-Antonio-Stiftung. Man müsse «ehrlich fragen, ob wir in den letzten Jahren genug getan haben, um den internationalen Antisemitismus zu bekämpfen», sagte Stiftungs-Geschäftsführer Thiemo Reinfrank der «Rheinischen Post». Dieser beginne oft mit Terrorverherrlichung und kostenlosen Süßigkeiten auf der Sonnenallee, «doch am Ende endet es immer mit toten Jüdinnen und Juden».

Immer wieder Beschimpfungen und Angriffe in Berlin

Tatsächlich kommt es in Berlin immer wieder zu Beschimpfungen und sogar Angriffen auf Menschen, die an als Juden erkennbar sind durch Kleidung, Sprache oder Symbole. Das geschieht Männern, die eine Kippa – die traditionelle jüdische Kopfbedeckung – tragen, ebenso wie Menschen, die auf hebräisch telefonieren oder einen Davidstern an einer Kette zeigen. Wie groß der Anteil arabischstämmiger Täter ist, ist unklar. Weder Polizei noch die Opferhilfsorganisationen erfassen den religiösen oder ethnischen Hintergrund.

Klar ist, dass es in Berlin-Neukölln und anderswo immer wieder anti-israelische Demonstrationen von Palästinensergruppen gibt. Meist nehmen einige hundert Menschen teil, die einen eigenständigen Palästinenserstaat an der Stelle Israels fordern. Auf Transparenten sind dann Landkarten abgebildet, auf denen das Gebiet Israels grün, in der Farbe des Islams gezeichnet ist. «From the River to the Sea, Palestine will be free», lauten dann die Sprechchöre. Also vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer soll der Staat Palästina reichen, dort wo sich jetzt Israel befindet.

Israelfeindliche und antisemitische Parolen

Vergangene Ostern skandierten bei einer palästinensischen Demonstration in Neukölln und Kreuzberg einige Teilnehmer israelfeindliche und antisemitische Parolen. Beobachter berichteten, es seien auch Parolen wie «Tod den Juden, Tod Israel» gerufen worden. Die Polizei ermittelte wegen des Verdachts der Volksverhetzung und wertete Videos aus. In den folgenden Monaten wurden dann einige palästinensische Demonstrationen von der Berliner Polizei verboten.

Israels Botschafter Ron Prosor schrieb vor einiger Zeit, er habe nicht erwartet, «dass die Straßen von Neukölln denen von Gaza derart ähneln». Und: «Diese Terrorpropaganda im Herzen Berlins ist eine Schande.» Er betonte aber auch: «Die Mehrheit der Bevölkerung hier in Neukölln sind gute, anständige Menschen.»

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