Abu Ahmed ist mit seiner Familie vor drei Tagen im Rafah-Flüchtlingslager im Süden des Gazastreifens angekommen. «Die Situation ist schlecht und verschlimmert sich noch. Zwei Leute teilen sich ein Bett, und es gibt nur wenige Decken», sagte der 60-Jährige am Dienstag, der sonst in der Nähe von Beit Lahia im nördlichen Teil des Küstengebietes lebt.
Am Tag ihrer Ankunft habe das Palästinenserhilfswerk UNRWA jedem einen Laib Brot gegeben, eine Box mit Fleisch für zwei Personen und ein Kilo Datteln für zehn Personen. Jetzt sei er auf der Suche nach Brot. Ahmed ist mit fünf seiner Kinder, deren Frauen und 17 seiner Enkel geflohen.
Der Palästinenser ist einer von rund einer Million Menschen, die laut den Vereinten Nationen dem Aufruf Israels zur Evakuierung des nördlichen Gazastreifens gefolgt sind. Seit mehr als einer Woche greift Israels Luftwaffe als Reaktion auf die Terrorattacken der islamistischen Hamas mit mehr als 1400 Toten Ziele im Gazastreifen an. 2750 Palästinenser wurden seitdem nach Angaben des dortigen Gesundheitsministeriums, das der Hamas untersteht, getötet.
Bodenoffensive im Gazastreifen erwartet
Mehrfach hat die Armee die Zivilbevölkerung dazu aufgerufen, vom Norden des schmalen Küstenstreifens in den Süden zu fliehen. Ein entsprechender Fluchtkorridor werde zu bestimmten Zeiten nicht angegriffen, hieß es. Es wird erwartet, dass die Armee in Kürze eine Bodenoffensive im Gazastreifen beginnen wird.
Die Menschen in Rafah stehen in langen Schlangen vor den Bäckereien und vor den Toiletten der Hilfszentren der Vereinten Nationen sowie der Moscheen. Hunderte sitzen auf den Gehwegen der Hauptstraßen und starren auf ihre Telefone, auf der Suche nach Informationen über ihre Familien und ihre Häuser, die sie verlassen haben.
Imad Saidam und seine Familie schlafen derzeit auf dem Boden vor einer überfüllten Schule der UNRWA. Die hygienischen Bedingungen seien schlecht, berichtet Saidam. Es gebe etwa kein Wasser, um nach dem Gang zur Toilette zu spülen. «Wir haben alles zurückgelassen, das Haus und die Erinnerungen», sagt der Palästinenser. «Wir sind dem Tod entkommen, aber wo wir jetzt sind, gibt es auch kein Leben.»
Versorgung abgeschnitten
Der Küstenstreifen, von der Fläche her etwa so groß wie München, ist seit Tagen komplett abgeriegelt. Die Versorgung der mehr als zwei Millionen Einwohner mit Treibstoff, Wasser, Nahrung und Medikamenten ist abgeschnitten. Israels Energieminister Israel Katz kündigte am Sonntag zwar an, Israel werde die Wasserversorgung im Süden des Gazastreifens wiederherstellen. Bis Montagnachmittag kam nach Angaben des Innenministeriums in Gaza allerdings kein Wasser aus den Leitungen. Der Preis für eine Flasche Wasser hat sich Anwohnern zufolge aufgrund der Knappheit bereits verdoppelt.
Die Hamas-Terroristen verstecken sich nach Erkenntnissen der Armee in Tunneln unter Häusern sowie in Gebäuden von Zivilisten. Das Militär wirft der Hamas vor, die Zivilbevölkerung als Schutzschild zu missbrauchen und sie etwa an der Flucht in den Süden des Gazastreifens zu hindern. Augenzeugen zufolge hat die Hamas ihre Versuche, die Menschen aufzuhalten, jedoch schnell wieder aufgegeben.
Terroristen hatten vor zehn Tagen im Auftrag der Hamas ein Massaker unter israelischen Zivilisten in Grenzorten und auf einem Musikfestival angerichtet. Es war das schlimmste Blutbad der israelischen Geschichte. Mehr als 1400 Menschen kamen dabei und in den folgenden Tagen ums Leben. Militante Palästinenser verschleppten an dem Tag zudem mindestens 199 Kinder, Frauen und Männer in den Gazastreifen, wie die israelische Armee mitteilte. Darunter befinden sich auch mindestens zehn deutsche Staatsbürger.