Sicherheitsversagen öffnet Tür für Remo-Clan
Am 25. November 2019 drangen Mitglieder der Familie Remo in das Dresdner Schloss ein und flüchteten mit Schmuck im Wert von mehreren Hundert Millionen Dollar. Die Täter waren äußerst professionell, doch ohne eine große Lücke im Sicherheitsnetz des Museums wäre dieser spektakuläre Coup wahrscheinlich gescheitert.
Es war der Tag vor vier Jahren, als Wissam Remo und seine Komplizen dem Freistaat Sachsen ins Herz stachen. Am frühen Morgen des 25. November 2019 raste ihr silberner Audi A6 durch das noch schlafende Dresden, überquerte die für den Autoverkehr gesperrte Augustusbrücke und steuerte auf die Autobahn zu. Die jungen Leute hatten es wegen ihrer Ladung so eilig: 21 Schmuckstücke, besetzt mit mehr als 4.300 Diamanten im Brillantschliff. Ebenfalls enthalten ist eine mit 50 Karat Diamanten besetzte Schulterklappe – „Saxon White“. Es war der Schatz Augusts des Starken, den Wissam Remo und seine Komplizen vor wenigen Minuten in die Taschen gesteckt hatten und nun aus der Stadt stürmten.
Die Rede ist vom Einbruch in das Grüne Gewölbe des historischen Residenzschlosses Dresden, dem größten Schmuckdiebstahl der letzten 100 Jahre. Mindestens zwei Männer kletterten durch ein Fenster in den ehemaligen Tresorraum und zertrümmerten mit einer Axt das Sicherheitsglas einer Vitrine, bevor sie mit gestohlenen Waren im Wert von mehreren Millionen Dollar flüchteten.
Es ist bekannt, dass Mitglieder der Familie Arab Remo hinter dem Verbrechen stecken. Soko „Epaulettes“ nahm schnell sechs Verdächtige fest. Fünf von ihnen wurden verurteilt: Wissam, Rabeh und Bashir Remo wurden zu etwa sechs Jahren Gefängnis verurteilt, und die Zwillingsbrüder Mohammed und Abdul Majid wurden zu Jugendstrafen verurteilt. Dank einer gerichtlichen Einigung gelangt ein Teil der Beute nun wieder in die Hände seines rechtmäßigen Eigentümers, der Staatlichen Kunstsammlung Dresden. Von „gut anfangen und gut enden“ kann es aber noch immer nicht kommen. Denn während die Ermittlungen und Schadensbegrenzung im Zusammenhang mit dem Schmuckdiebstahl erfolgreich waren, zeichnen die Details des Falles ein schockierendes Bild der damaligen Sicherheitspraktiken des Museums.
"Kameratechnik Stand 2005"
„Die Sicherheitskultur im Grünen Gewölbe ist eine mittelmäßige Katastrophe“, schlussfolgerte der Journalist und Autor Thomas Heise im Interview mit ntv.de. In dem kürzlich erschienenen Buch „Coup of the Century“ rekonstruieren er und der Journalist Claes Meyer-Heuer das Vorgehen der Täter und einige Sicherheitslücken des Museums präzise. Daher war es für die Täter ein Leichtes, in das Grüne Gewölbe einzubrechen. Das Fenster, durch das sie eintraten, hatte keine Alarmanlage. Die Diebe hatten Tage zuvor unbemerkt das Eisengitter vor der Glasscheibe aufgeschnitten.
Angst vor Überwachungskameras müssen sie den Recherchen des Reporters zufolge auch nicht haben: Die Fenster liegen in den dunklen Ecken. Das Sicherheitskonzept des Schlosses sieht keine Wärmebildkameras vor, die eine Gefahr für das Schloss darstellen könnten. Deshalb bemerkte niemand, wie die Männer mit einer Art Wagenheber das Fenster aufstießen und ins Grüne Gewölbe stiegen.
„Bodenscanner geben nur dann einen Alarm, wenn Menschen den Boden berühren“, erklärt Hayes. Um 4:57 Uhr erschien plötzlich eine Reihe roter Sterne auf dem Bildschirm des Kontrollzentrums. Die Sicherheitsleute bemerkten die Diebe zum ersten Mal – sie starrten misstrauisch auf die Monitore. Doch hier liegt das nächste Problem: „Auf dem Überwachungsbild ist kaum etwas zu erkennen, nur die Umrisse des Täters“, sagte Hayes. Die Kameras sind die gleichen wie 2005 – „sozusagen wie Standard-Definition-Fernsehen.“ Diese anachronistische Technologie ist seit langem bekannt. „Seit fast 15 Jahren wird darüber nachgedacht, ob wir bessere Kameras einbauen sollten.“ Ende 2019 war jedoch klar, dass dies nicht geschehen war.
"Die Sicherheitsleute selbst waren überrascht"
Das Geschehen im Museum findet noch immer in völliger Dunkelheit statt, was auch auf der Leinwand nicht besonders hilfreich ist, um den Tätern auf die Spur zu kommen. Hayes erklärte, dass die Sicherheitskräfte auf Anweisung eigentlich das Licht in dem angegriffenen Raum einschalten sollten, was sie jedoch nicht taten. In dem Buch fasst der Autor das Geschehen wie folgt zusammen: „Genau wie es die Diebe geplant hatten, wurden die Sicherheitsleute in der Leitstelle überfordert.“
Schließlich traf das Sicherheitspersonal noch eine weitere besonders eklatante Fehlentscheidung: Niemand drückte den „Angriffsalarm“. Wenn dieser Knopf gedrückt wird, wird eine Anzeige direkt an die Polizei gesendet. Heise erklärte, dass die Wachen nur 700 Meter entfernt seien. „Sie werden bald da sein.“ Doch das Prozedere im Sicherheitszentrum war anders: Das Personal starrte etwa 40 Sekunden lang „völlig sprachlos“ auf den Bildschirm. „Man hat den Eindruck, dass sie von dem Geschehen überrascht waren“, sagte der Autor. Das Personal kennt sich sehr gut mit Alarmknöpfen und deren Funktionen aus. Einmal umarmte ihn versehentlich ein kleines Mädchen, das das Hauptquartier besuchte. „Innerhalb von Minuten war das Residenzschloss umzingelt.“ Der Autor geht davon aus, dass der Täter gefasst worden wäre, wenn jemand in dieser Nacht den Alarmknopf gedrückt hätte.
Daher beschlossen die Mitarbeiter, die 110 anzurufen. „Ein solcher Anruf dauert natürlich eine Weile“, beklagte Hayes. „Es vergehen kostbare Sekunden, bis jemand sagen kann: ‚Hallo, ich bin Polizist‘ und den Vorfall schildern kann.“ Dies sei jedoch besonders wichtig, wenn es um Einbrüche gehe. Zwischen der ersten Alarmierung der Leitstelle und dem Abzug der beiden Streifen aus dem Polizeibereich vergingen insgesamt 96 Sekunden. Zu viele, wie sich bald herausstellte. Als die Beamten im Grünen Gewölbe eintrafen, lagen die Vitrinen im Schmuckraum in Trümmern. Die Diebe hatten die Juwelen versteckt und waren durch Fenster geflüchtet, indem sie in Autos von Audi, Hayes und Meyer Heuer sprangen, die sie im Buch umgebaut hatten. Ganze 100 Sekunden vermisste die Polizei die Täter des Jahrhundertputsches.
Wächter bleiben passiv
Doch nicht nur das Sicherheitspersonal in der Leitstelle kann verhindern, dass Kriminelle mit Diebesgut fliehen. Der Autor schreibt, dass Sicherheitskräfte vor dem Museum kurz vor dem Vorfall eine Gruppe athletischer junger Männer mit Kapuzen vor der Gebäudewand bemerkten. Der Wachmann zog jedoch keine Schlussfolgerungen. „Wenn man mitten in der Nacht in Sachsens wichtigstem Kulturzentrum jemanden sieht, der sich verdächtig verhält, kann man natürlich auf die Idee kommen, die Polizei zu rufen“, sagte Heiss.
Aber warum ist das nicht passiert? Warum hat der Wachmann vor dem Museum nicht aufmerksam reagiert und warum hat der Wachmann in der Leitstelle nicht vorschriftsmäßig gehandelt? „Es muss eine Kombination aus Faulheit, Ignoranz, nächtlicher Faulheit und Kälte gewesen sein“, sagte Hayes über das Verhalten der Wachen vor dem Grünen Gewölbe. Man sollte auch nicht vergessen, dass die Gehälter von Sicherheitskräften nicht besonders hoch sind.
Vor allem beim Sicherheitspersonal in der Leitstelle herrscht eine gewisse Betriebsblindheit. „Wenn man Jahr für Jahr auf diese Monitore schaut, sieht man irgendwann nichts mehr.“ Die Autoren nennen ein Beispiel: „Überwachungskameras haben den Mann festgehalten, der vor dem Einbruch die Museumsmauer erklomm. Die Bilder wurden auch verschickt.“ zum Hauptquartier. Aber niemand hat sie in dieser Nacht gesehen. Oder wollte nicht, dass jemand sie sieht.
"Der Jahrhundertcoup der sächsischen Identität"
Diese Reihe fahrlässiger Entscheidungen des Personals und die marode Sicherheitsstruktur des Museums sind schockierend, nicht zuletzt wegen des enormen Wertes der ausgestellten Schätze. Allein der Versicherungswert des von den Dieben gestohlenen Schmucks belief sich auf 116,8 Millionen Euro. Mindestens genauso wichtig sei jedoch laut Hayes ihr immaterieller Wert. „Dieser Schatz von August dem Starken war für die Sachsen sehr wichtig“, sagte der Autor.
Tatsächlich genoss Dresden vor allem den Ruf einer prachtvollen Barockstadt, vor allem dem ehemaligen Herrscher des Freistaates, der als großzügiger Baumeister und begeisterter Sammler bekannt war. „Als die Diebstähle ans Licht kamen, riefen die Leute die örtlichen Medien an und weinten am Telefon“, fuhr Hayes fort. Der Einbruch ins Grüne Gewölbe sei „definitiv der Jahrhundertcoup für die sächsische Identität“ gewesen.
Es liegt nun in der Verantwortung des Museumsvereins, einen weiteren Angriff auf Dresdens Stolz nach Möglichkeit zu verhindern. Tatsächlich gehen den Kriminellen vier Jahre nach dem historischen Schmuckdiebstahl die großen Löcher aus. Die Nationale Kunstsammlung gibt gegenüber ntv.de ein neues Sicherheitskonzept bekannt. Deshalb wurde unter anderem ein eigener Sicherheitsdienst unter der Leitung eines ehemaligen Bundespolizisten eingerichtet. Zudem seien bauliche und technische Sicherheitsmaßnahmen überarbeitet worden, erklärte der Museumsverein. Auch das Sicherheitspersonal wurde aufgestockt und wird „langfristig“ geschult.
Das verklagte Sicherheitsunternehmen ist immer noch im Einsatz
Allerdings stecken in diesem durchaus neuen Konzept auch alte Freunde. Das Land Sachsen hat das in der Tatnacht tätige Sicherheitsunternehmen wegen unangemessenen Verhaltens seiner Mitarbeiter strafrechtlich verfolgt. Wie sich kürzlich herausstellte, wird das Unternehmen jedoch nicht ersetzt. Grund: Das Unternehmen hat erneut eine europaweite Ausschreibung gewonnen.
Der Museumsverein betonte gegenüber ntv.de, dass der Mitarbeiter des Sicherheitsunternehmens, der beim Einbruch in der Leitstelle Dienst hatte, nicht mehr für das Unternehmen arbeite. Der Museumsverein bestreitet jeglichen verbreiteten Verdacht gegenüber dem Unternehmen. Allerdings sei das Unternehmen „verpflichtet, die Qualität deutlich zu verbessern“.
„Natürlich ist es immer noch ein bisschen seltsam“, wandte Hayes ein. „Man verklagt Unternehmen und stellt sie dann aus bürokratischen Gründen wieder ein. Da schüttelt man nur den Kopf.“
Quelle: www.ntv.de