Schuldnerländer werden zu Favoriten
Griechenland und andere Länder sind Profiteure der Berliner Haushaltskrise: Während Deutschland gelähmt ist, entwickeln sich die ehemaligen „Peripherieländer“ der Eurozone zu neuen Investorenstars. Denn dort geht es mittlerweile viel besser als in den „Kernstaaten“.
Rund ein Jahrzehnt nach Beginn der Eurokrise kehrt sich die Rolle der Anleihemärkte allmählich um. Dank der jahrelangen Sparmaßnahmen sind viele der ehemaligen Sorgenkinder der Gemeinschaftswährung inzwischen zu Musterschülern geworden. Allerdings sind die Aussichten für bisherige Stabilitätssäulen wie Deutschland und Frankreich aufgrund selbstverschuldeten Wachstums und Haushaltskrisen düster. Dadurch übertreffen Griechenland, Portugal und Spanien an den Anleihemärkten zunehmend die Kernländer der Eurozone.
Fondsmanager von JPMorgan Chase & Co. und Neuberger Berman horten zunehmend Schuldtitel in Spanien, Portugal und Griechenland, berichtete das Finanzinstitut Bloomberg. Analysten erwarten, dass die Peripherieländer auch im kommenden Jahr besser abschneiden als die Gründungsmitglieder des gemeinsamen Währungszentrums.
Die Welt der professionellen Anleger gerät zunehmend aus den Fugen: Lange galt der „Kern“ der Eurozone als verlässlich und stabil, während die Währungsunion am Rande stand. Doch das kehrt sich immer mehr um. Ehemalige Schuldensünder im Süden mussten sich nicht wehren. Dies behindert jedoch das Wachstum in den Geberländern.
Vom stabilen Anker zur Wachstumsbremse
Vor allem in Deutschland: Hier sind die Aussichten so schlecht wie schon lange nicht mehr – und fast nirgendwo sonst auf dem Kontinent. Die Wirtschaft geriet im dritten Quartal in eine Rezession und die Europäische Kommission erwartet für das Gesamtjahr einen Rückgang der Wirtschaft um 0,3 %. Nur Österreich, Schweden, Ungarn, Irland und die baltischen Staaten dürften eine tiefere Rezession erleben. Mit dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts hat sich Berlin selbst ins Bein geschossen.
In den ehemaligen Schuldnerländern läuft es jedoch gut: Spanien und Griechenland dürften in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von 2,4 % verzeichnen, Portugal um 2,2 % und sogar Italien um 0,7 %. Während die Europäische Kommission bei ihrer jährlichen Haushaltsüberprüfung für das kommende Jahr grünes Licht für die Haushaltspläne Griechenlands, Irlands und Spaniens gab, scheiterten Deutschland und Frankreich. Paris wurde diesen Sommer sogar ausdrücklich dafür gerügt, dass es im nächsten Jahr bis zu 2,3 % mehr ausgeben werde als in diesem Jahr, was Macrons Regierung bisher geflissentlich ignoriert hat.
Die Verschiebung des Marktes lässt sich größtenteils an den Renditen zuvor instabiler Kandidaten ablesen. Der Abstand zwischen deutschen und griechischen zehnjährigen Anleihen beträgt heute nur noch 1,2 %, verglichen mit mehr als 10 % auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise. In Spanien liegt der Zuschlag bei knapp 1 % und in Portugal bei lediglich 0,6 %. Bloomberg zitierte Analysten der Societe Generale mit den Worten: „Die Haushaltsdaten kleinerer Länder der Eurozone haben sich deutlich verbessert, und ihre positiven Aussichten spiegeln sich auch in den europäischen Anleihemärkten wider.“
Die Eurobond-Schublade gibt es nicht mehr
Für die Commerzbank beispielsweise sind die Veränderungen so gravierend und nachhaltig, dass das alte Rasterdenken der Eurozone obsolet geworden ist. „Traditionelle Länderklassifizierungen auf dem Markt wurden aufgelöst“, zitierte Bloomberg den Coba-Zinsstrategen Michael Lester. „Grundlegende Gründe rechtfertigen nicht mehr die seit langem bestehende Unterscheidung zwischen Kern-, Halbperipherie- und Peripherieländern.“
Natürlich wird sich durch die Konvergenz der Renditeabschläge vorerst nichts an der strukturellen Verschuldung und damit an den langfristigen Risiken ändern. Während die Schuldenquote Athens derzeit am schnellsten in der gesamten Eurozone sinkt, häufen sich die Schulden Griechenlands und liegen bei 161 % der Wirtschaftsleistung. In Deutschland beträgt dieser Anteil jedoch nur etwa 65 %.
Allerdings könnten laufende Veränderungen die Kalkulationen vieler Anleger verändern. Denn drei Viertel der griechischen Staatsschulden werden vom EU-Rettungsprogramm gehalten. Damit ist es mittlerweile fast so sicher wie eine Bank in Deutschland. Solange die ehemaligen Peripherieländer ihren Reform- und Wachstumskurs fortsetzen, wird das Interesse der Anleger an ihren Anleihen voraussichtlich nicht nachlassen. Offensichtlich geben sie gerne alte Denkweisen auf, um mehr für ihr Geld zu bekommen.
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Quelle: www.ntv.de