Lehrerin Matilda ist fest davon überzeugt, dass ihr Leben akribisch ist. Ihre Fächer Mathematik und Musik waren wie die Eckpfeiler einer Existenz, die ausschließlich auf Vernunft beruhte. Doch eines Tages, als Matildas Mann aus ihrem sehr gepflegten Bauhaus-Bungalow verschwindet, beginnt die Lehrerin zu kämpfen. Und in diesem prekären Moment taucht plötzlich ihr chaotischer, fast vergessener Jugendfreund Bildt auf und wirbelt letztlich alles durcheinander.
Mit ihrem neuen Roman „Der Chor der Erinnyen“ gelingt der preisgekrönten Autorin Marion Poschmann, geboren 1969 in Essen, erneut das Kunststück, feine Linien und Nöte zu kaschieren. Die tragikomische Japanreise „Matsushima“ (2017). Geschichten durchdringen unsere Gegenwart und die Natur um uns herum.
Dieser sorgfältig zusammengestellte Text liegt immer ein wenig über unserer allgemein akzeptierten Realität. Am Ende vieler Kapitel fügt Boschmann lyrische Beschwörungen hinzu, die wie ein Chor das Geschehen begleiten und kommentieren und auf die drei antiken Rachegelehrten der Erinnyen verweisen.
Die aktuelle Situation ist ziemlich banal: Die schlicht aussehende, verlassene Matilda und der Cafébesitzer Birt, der aus Nordfriesland einmarschierte, und die Archäologin Olivia aus einer wohlhabenden Familie als erste … Drei Mitglieder schlossen sich dem an Team. Familie. Diese beiden sehr unterschiedlichen Freunde treffen sich in Olivias Hütte im Wald. Kleinliche Sticheleien und Anfeindungen sorgen für eine angespannte Atmosphäre bei den drei Frauen, die sich nach einer unruhigen Nacht zu Fuß durch einen staubigen, trockenen Wald aufmachen. Der Streit zwischen den Freunden geht weiter, dann trifft das Trio auf zwei fitte Wanderer und der Wald geht plötzlich in Flammen auf. Und diese beiden aggressiven Männer, die behaupten, Retter zu sein, werden das Frauentrio niemals verlassen.
„Flammenblick“ ist eines der zentralen Kapitel dessen, was Marion Poschmann sagt und auch die Schrecken des Klimawandels berührt: „Es war das heißeste Jahr seit Beginn der meteorologischen Aufzeichnungen, es war kein Tiefdruck in Sicht.“ Ein Jahr lang bekam das Tiefdruckgebiet einen weiblichen Namen.“ Dem Geplänkel der Fußgängergruppe folgte eine lyrische, vom Abschiedsschmerz erfüllte Anrufung des Baumes: „Vermisst irgendjemand die Ulmen? Wer kennt noch die Esche, Wer seine Gewohnheiten zu unterscheiden weiß, wer wird noch von den Zapfen der Schwarzerle und den geflügelten Samen des Ahorns sprechen.“ Das Pathos dieser von der klassischen chinesischen Poesie inspirierten Zeilen scheint gerade deshalb real, weil es enger miteinander verbunden ist mit den drei Frauen Der gewöhnliche Alltag bildet einen fast tragikomischen Kontrast.
Matildas Mutter Rosewitha hat die Fähigkeit, Dinge vorherzusagen, und sie schwebt in diesem Roman mit komplexer Sprache über dem weiblichen Dreieck. Sie hat eine unheimliche Verbindung zu Bildt, der sich zunehmend dazu zwingt, einen Platz in Matildas Fantasie einzunehmen.
Nach mehreren Tagen des täglichen Lebens auf dem Campus, wiederholten Überlegungen zu Handschrift und Charakter und der Analyse des Materials von „Schwanensee“ kam es schließlich zu einem Sturm, der den Protagonisten mitnahm. Ihr Mann wird seit acht Tagen vermisst, und Matilda geht in die Natur: „Sie bewegte sich in den dunklen Wolken. Sie trat in die dunklen Wolken, Sturm Matilda.“ Diese wandernde Frau und ihre finstere Begleiterin werden wir Leser so schnell nicht vergessen.
Marion Poschmann, Erinyes Choir, Suhrkamp Verlag, Berlin, 189 Seiten, 23 €, ISBN; 978-3-518-43141-2