Klimaaktivisten setzten gestern Abend ihre Kampagne fort, um die Räumung der Braunkohlestadt Lützerath zu verhindern. Wie DPA-Reporter beobachteten, hoben mit Hebebühnen ausgestattete Polizisten ganze 10 Militante aus rund 10 Metern Höhe vom Dach der ehemaligen Landwirtschaftshalle. Andere Truppen lösen einen Militanten, der an einem Autowrack festgeschnallt ist. Die Arbeiten seien noch im Gange, sagte ein Polizeisprecher. Ansonsten hatte die Polizei keine weiteren Pläne für die Nacht.
Am Abend zündeten Aktivisten ein Feuerwerk am Tatort. Mindestens zwei Raketen flogen seitwärts in Richtung des Polizeiautos. Ansonsten bleibt der Protest friedlich. Die Polizei sei natürlich weiterhin vor Ort, sagte eine Sprecherin. Die Leute haben jedoch nicht die Absicht, nachts auf das Haus einzuwirken. Aktivisten leben immer noch in diesen Häusern und in selbstgebauten Baumhäusern. Einzelne Gebäude wurden mit Scheinwerfern angestrahlt, Baumaschinen räumten nachts Barrikaden.
Fridays for Future-Aktivistin Louisa Neubauer nannte das Vorgehen der Polizei „absolut unverständlich“. «Nachts im Dunkeln vertreiben. Es ist gefährlich, provokant und eskaliert. Was ist das, wovor hast du Angst? », fragte sie auf Twitter.
In einem weitgehend friedlichen Protest hat die Polizei gestern (Mittwoch) damit begonnen, die Besetzten zu räumen Bereich des Rheinischen Reviers. Am Nachmittag zeigte sich ein Sprecher „sehr zufrieden“ mit dem Verlauf der Ereignisse: „Bisher läuft alles nach Plan der Polizei.“ Mit massivem Widerstand sei zu rechnen. Beobachter sprachen hingegen von einer teilweise entspannten Atmosphäre.
Der Energiekonzern RWE will die unter der Lützerath liegende Kohle abbauen – dafür wird das kleine Dorf im Gemeindegebiet Erkelenz abgerissen. In Lützerath protestieren Klimaaktivisten seit Monaten in leerstehenden Häusern.
Einige Klimaschützer sind auf Aufforderung der Polizei freiwillig gegangen . Sie wurden vom Veranstaltungsort eskortiert. Doch viele wollen weiter Widerstand leisten. „Die Menschen sind entschlossen, durchzuhalten und Bäume und Gebäude zu schützen“, sagt Mara Sauer, Sprecherin der Initiative „Lützerath lebt“.
Eine andere Sprecherin warf der Polizei vor, zu streng zu sein. Assistenten dürfen nicht passieren. „Gerade wurde einer anderen Aktivistin Schmerzmittel verschrieben“, sagte sie am Nachmittag Sie habe auch schon von Verletzungen gehört.
Reul: „Von Aktionen gewaltbereiter Aktivisten Abstand halten“
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat den Angriff auf die Polizisten am gestrigen Mittag scharf kritisiert. „Ich war wirklich geschockt und habe nicht verstanden, wie Menschen so etwas tun können“, sagte Reul, als er den Beamten in die Richtung warf. Es liegt nun in der Verantwortung aller friedlichen Demonstranten, sich von den Aktionen gewaltbereiter Radikaler zu distanzieren. „Sie können woanders demonstrieren, Sie müssen jetzt nicht dastehen und die Polizei bei der Arbeit stören, um ihnen zu helfen“, sagte er.
Reul sprach von den 350 Menschen, die illegal nach Lützerath eingereist seien und aufgehört hätten Rund 200 Klimaaktivisten verließen nach Angaben des Aachener Polizeipräsidenten Dirk Winspach freiwillig das Gelände. Zwei seiner Beamten erlitten leichte Verletzungen, konnten aber ihre Arbeit fortsetzen.
Gestern Mittag begann die Polizei, die Aktivisten von Bäumen und Plattformen zu holen. Beamte verwenden Hebebühnen an verschiedenen Orten. Am Ortseingang von Lützerath begannen Bagger mit den Abbrucharbeiten. Auch ein Ortsschild in Lützerath wurde am frühen Nachmittag entfernt. Später rissen Beamte die selbstgebauten Hütten auf Stelzen ab und setzten den Abriss fort. Auch Beamte der Hütten- und Baumhauscamps seien von Aktivisten beschimpft worden, berichteten dpa-Reporter. So entfernte die Polizei beispielsweise auch von Aktivisten in der Hütte gelagerte Feuerlöscher.
“Wir haben hier friedliche Proteste erlebt, meist Sitzblockaden, Tripods – auf diese Formen des Protests sind wir bestens vorbereitet”, sagte ein Polizeisprecher am Nachmittag. Wenn Aktivisten sich gehen lassen, ist es immer noch passiver Protest, also im Rahmen.
“Gezielte Kommunikation hilft bei der Deeskalation”
Für die Gewerkschaft der Polizei (DPolG) ist das Konzept der Polizeiaktion zur Säuberung des Dorfes Lützerath bisher aufgegangen. „Gezielte Kommunikation hilft, die Lage zu deeskalieren“, sagte der DPolG-Vorsitzende Rainer Wendt am Mittag. „Erfahrungen aus vergangenen Einsätzen wie 2018 im Hambacher Forst zeigen, dass die Polizei mit erheblichem Widerstand bis hin zum Stellen von Fallen zu kämpfen hat.“
Klimaaktivistin Greta Thunberg will zum Protest nach Lützerath kommen. Die Schwedin kündigte auf Twitter an, am Samstag an der Demonstration gegen die Evakuierung einer von Klimaaktivisten besetzten Stadt teilnehmen zu wollen. „Die Wissenschaft und die Betroffenen sind sich einig: Schluss mit fossilen Brennstoffen!“, schrieb sie. Thunberg war bereits im September 2021 nach Lützerath gereist, um gegen den Kohleabbau und die Einhaltung des 1,5-Grad-Klimaziels zu demonstrieren – einen Tag vor der Bundestagswahl.
Der Aachener Bischof Helmut rief alle Konfliktparteien auf, wegen der Räumung des Braunkohlendorfes keine Eskalation der Gewalt einzuleiten. „Friedlicher Protest ist ein zentraler Bestandteil einer lebendigen Demokratie“, sagte er laut Aussage des stellvertretenden Bürgermeisters, „zu einem glaubwürdigen Rechtsstaat gehört aber auch, sich an Regeln und Vereinbarungen zu halten.“