Pillen, Pudel und pikanter Humor
Pudel in provokanten Posen, riesige Pillen und das Wort AIDS als "grafisches Virus": Die Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Museum begeistert das Publikum mit Werken von General Idea. AA Bronson, der letzte Überlebende des Künstlertrios, trifft ntv.de zum 40. Welt-AIDS-Tag.
Vier Buchstaben, die Angst, Traurigkeit oder Wut auslösen. Vier Buchstaben, die sich wie ein Virus verbreiten. Der Welt-AIDS-Tag am 1. Dezember ist auch ein trauriger Jahrestag: Vor 40 Jahren wurde HIV entdeckt. Weltweit leben mehr als 38 Millionen Menschen mit AIDS. Seit der Pandemie und dem Krieg ist die Zahl der Menschen, die eine HIV-Behandlung benötigen, wieder gestiegen. "AIDS" ist auch der Titel eines weltberühmten Werks der kanadischen Künstlergruppe General Idea. Ihre Ideen können nun in einer retrospektiven Ausstellung von 200 Werken im Martin-Gropius-Bau in Berlin erkundet werden.
"Als wir 1986 nach New York kamen, wurde das Leben plötzlich sehr ernst", erinnert sich AA Bronson in einem Interview mit ntv.de in Berlin. Alles, was einfach war, hatte plötzlich ein Ende. Die AIDS-Epidemie wütete in der Stadt, vor allem in der Kunstwelt. Die Karrieren von Künstlern wie Keith Haring fanden im Alter von 32 Jahren ein jähes Ende. Der gesamte Freundeskreis der coolen Kids schied aufgrund von Immunschwäche aus.
Das Trio von General Idea wohnt direkt neben dem St. Vincent's Hospital in Greenwich Village. Es war die einzige Klinik in der Stadt, in der sich Ärzte um AIDS-Patienten kümmerten, die unter Qualen starben. AA Bronsons Stimme ist immer noch rau, wenn er sich an seine zermürbende Zeit dort erinnert. Freunde begleiteten den Tod eines ihrer besten Freunde. Sie mussten auch selbst seine Laken und Handtücher wechseln, da das Krankenhauspersonal eine Ansteckung befürchtete.
General Idea wurde 1969 gegründet und begann als Wanderfamilie in Toronto mit bis zu acht Mitgliedern. Die Kanadier waren humorvolle Kritiker einer Welt, die bereits mit Bildern überflutet war. Sie persiflierten die Mechanismen des Konsumexzesses und des Kommerzes und führten sie manchmal mit beißender Ironie in Performances vor. Mitte der 1980er Jahre, als die Museen ihre Aufmerksamkeit auf sensationelle Ausstellungen richteten, begannen sie, Kunst über Kunst zu machen. In Anlehnung an das ikonische Werk von Malern wie Piet Mondrian ersetzten sie das Gelb seiner abstrakten Gemälde durch Grün. Offenbar hasste Mondrian die Farbe. "Grün ist auch die Farbe, die alle schwulen Jungs an der Universität freitags tragen", sagte Bronson.
Strategies for keeping quiet .
A0n0m000001
Das Kollektiv, das sich selbst als "Kulturverbrecher und Medienparasiten" bezeichnet, ist seit 1975 ausschließlich als Trio tätig. Mitte der 1980er Jahre wurde ihnen die kanadische Geografie zu eng. Nachdem alle wichtigen Ausstellungsorte durchsucht worden waren, reiste das Trio nach New York. Hier traf sich die internationale Kunstwelt. Kuratoren aus der ganzen Welt kamen hierher, um neue und andere Kunst zu entdecken.
Was sie nicht wussten, war, dass sie nur noch acht Jahre Zeit hatten, um gemeinsam zu arbeiten. AA Bronson ist der einzige Überlebende des Gesamtkonzepts. Jorge Zontal starb 1994 und Felix Partz starb einige Monate später.
Die US-Regierung hat eine lange Strategie des Schweigens verfolgt, wenn es um AIDS ging. Schließlich galt die Seuche als Krankheit von Homosexuellen, Drogensüchtigen und Prostituierten. Das Virus wurde nicht nur durch Sperma und Vaginalsekrete, sondern auch durch Blut übertragen. Es gab keine Aufklärung, keine Prävention, geschweige denn Kampagnen zur Bekämpfung von AIDS oder Safer Sex. Aufgrund der Angst vor einer Übertragung werden Menschen mit Immunschwäche-Infektionen von der Mehrheit der Gesellschaft als Bedrohung angesehen und stigmatisiert.
Die gesellschaftliche Abwertung und Ausgrenzung von Homosexuellen hat zu einer übergreifenden Philosophie beigetragen, die ihre eigene Sexualität und AIDS in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellt. Die Hälfte der Kunstwerke, Installationen und Skulpturen im Gropius-Bau stand im Zusammenhang mit der Gesundheitskatastrophe. Diese Künstler stehen für eine Art von AIDS-Radikalismus, der trotz seiner Farbigkeit und seines unbeschwerten Humors einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt. Bronson sagt, Kunst sei ein mächtiges Instrument, das das Bewusstsein für ein Thema auf vielerlei Weise schärfen kann.
AIDS als Ware?
Ihr größter Trick: Sie ersetzten die ikonische Skulptur "LOVE" des amerikanischen Popkünstlers Robert Indiana durch das Wort "AIDS". Acht Monate vor ihrem Tod zogen die Männer zurück nach Toronto. "Kanada hat ein großartiges Gesundheitssystem. Wenn Jorge und Felix in die Klinik mussten, wussten wir, dass wir zurückgehen würden", erinnert sich AA Bronson. Das Pflegepersonal und die Ärzte kamen zu ihnen nach Hause, zunächst einmal pro Woche, dann einmal am Tag, dann zweimal am Tag.
Sie fanden einen Weg, effizient zu arbeiten. Kunst und gemeinsames Wohnen verschmolzen wieder miteinander. "In weniger als einem Jahr haben wir so viel gearbeitet wie in zehn Jahren. Wir reden endlos, trinken Kaffee, diskutieren über unsere Traumprojekte und dokumentieren alles. Wir wissen, dass viele Dinge erst später realisiert werden können. Die beiden Assistenten begleiteten die Künstler und arbeiteten fleißig an dem Kunstwerk.
Es ist unmöglich für Menschen mit AIDS, ohne Medikamente zu leben.
Museumsbesucher können sich sofort mit den politischen Themen, den Wortspielen und den kunsthistorischen Spielen von General Idea vertraut machen. Das erste HIV-Medikament wurde 1987 auf den Markt gebracht. Neun Jahre später konnten die Wirkstoffe zusammenwirken, um das Virus im Körper zu unterdrücken, und AIDS brach nicht mehr aus. Diese lebensrettende antiretrovirale Therapie ist teuer und in vielen Ländern, in denen sie dringend benötigt wird, nicht verfügbar. Die 150 riesigen Pillen, die an der Wand der Berliner Ausstellungshalle hängen, erinnern an die Anzahl der Pillen, die Felix Partz Monat für Monat einnimmt. Mehr als 40 Millionen Menschen sind an dem Virus gestorben. Die drei überdimensionalen Pillen-Skulpturen zeigen, dass das Leben mit AIDS auch ohne tägliche Medikamente nicht normal ist.
A0n0m000004 Die "Allgemeine Idee" findet am 14. Januar im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin, statt.
Der Gropius-Bau und die Kunstplattform CIRCA präsentieren bis zum 3. Dezember die dreiminütige Intervention "VideoVirus". Immer 23 Minuten nach der vollen Stunde. Ziel ist es, auf die aktuelle Krise aufmerksam zu machen. Kurfürstendamm, Ecke Joachimsthaler Straße in Berlin, und eine Kurzversion auf 100 Bildschirmen in der Stadt.Das Video hier ansehen
Quelle: www.ntv.de