Trotz des streikbedingten Mangels an Stars gibt es bei den diesjährigen Filmfestspielen von Venedig noch viel Gesprächsstoff. Emma Stone und Carey Mulligan werden für ihre Rollen wahrscheinlich für Oscars nominiert. Stone spielte die Hauptrolle in Yorgos Lanthimos‘ „Poor Things“, der zum Kulthit geworden ist.
Das Publikum war schockiert von Zielona granica, einem Film über Flüchtlinge an der polnisch-belarussischen Grenze. Und: Auch der deutsche Wettbewerbsfilm erhielt gute Kritiken – anders als Roman Polanskis neuer Film, der von den Kritikern unerwartet einhellig zerrissen wurde.
Wer gewinnt den Oscar?
Viele der Filme, die später in Venedig gezeigt wurden, hatten gute Chancen, für einen Oscar nominiert zu werden. Am diesjährigen Wettbewerb beteiligten sich insgesamt 23 Einreichungen. Eines hat die Kritiker bislang besonders beeindruckt: „Armes Ding.“ Lanthimos erzählt eine moderne Frankenstein-Geschichte. Emma Stone spielt eine Frau, deren Baby von einem skurrilen Professor (Willem Dafoe) das Gehirn implantiert wird. Sie lernt langsam sprechen und sich bewegen. Stone kann darin ihr ganzes schauspielerisches Talent zur Geltung bringen. Der Film feierte seine Premiere mit den bislang längsten Standing Ovations – zehn Minuten.
Bradley Coopers Netflix-Serie „The Master“ feiert Premiere, über den Musiker Leonard Bernstein (Cooper) und seine Fähre. Die Geschichte von Mrs. Cia Montealegre. Letzterer wird von Carey Mulligan gespielt. Der Brite drückte bestimmt, aber subtil die Verzweiflung und Liebe aus, die Bernsteins Frau in ihrer Ehe empfunden haben muss. Kritiker waren sich einig, dass sie für einen Oscar nominiert werden würde.
„Das ist ein Krieg“: die Auswirkungen des Streiks
Keiner von Stone, Cooper und Mulligan kam wegen des Streiks nach Venedig, wo viele Hollywoodstars oft feiern. Auch Schauspieler wie Michael Fassbender, Benedict Cumberbatch, Tilda Swinton und Willem Dafoe fehlten bei ihren Filmpremieren. Einige Produktionsfirmen haben mit der Screen Actors Guild einen Werbeverzicht ausgehandelt, weshalb Filmfans Adam Driver und Max Mickelson auf dem roten Teppich sehen können.
Die gewerkschaftlich organisierten Drehbuchautoren in den Vereinigten Staaten befinden sich seit Anfang Mai im Streik. Auch Zehntausende Mitglieder der Schauspielergewerkschaft SAG-AFTRA haben seit Mitte Juli ihre Arbeit niedergelegt. Sie fordern eine bessere Bezahlung und Regeln für den Umgang mit künstlicher Intelligenz.
In einem Interview mit Mickelson verzichtete die PR-Agentur darauf, Fragen zum Streik zu stellen. Andere sind gesprächiger. Adam Driver und Regisseur Michael Mann, die auf dem Festival den Film „Ferrari“ drehten, betonten ihre Unterstützung für die Streikenden.
Regisseur Martin McDonagh, eines der diesjährigen Jurymitglieder, sagte gegenüber dpa: „Ich unterstütze sie mit dem ganzen Herzen der Autoren und Schauspieler. Ich denke, diejenigen, denen der Film egal ist, haben Geld.“ Ich versuche, den Filmemachern zu schaden.“ Es sei „ein bisschen traurig“, dass es dieses Jahr so wenige Schauspieler in Venedig gebe. „Aber es ist auch ein Festival für großartige Filme, und diese Filme gibt es immer noch.“
Eine großartige Gelegenheit für Zielona granica
Einer der großartigen Filme stammt von der polnischen Regisseurin Agni Agnieszka Holland . Sie zeigte Zielona Granica, wie es für Flüchtlinge an der polnisch-belarussischen Grenze ist. Das Branchenmagazin „Deadline“ bewertete es als „humanitäre Meisterleistung“. Neben „Poor Thing“ dürfte der Film auch gute Chancen haben, den Hauptpreis des Filmfestivals zu gewinnen. In diesem Schwarz-Weiß-Drama erzählen die Zuschauer vom Schicksal einer Familie aus Syrien, die versucht, über Weißrussland in die Europäische Union zu fliehen. Ihre Erfahrungen beziehen sich auf die Geschichte eines jungen polnischen Grenzbeamten und einer Gruppe polnischer Aktivisten. Im Film ist das Verhalten der Grenzschutzbeamten sehr grausam. Holland erweckt katastrophale Situationen auf eine visuelle Weise zum Leben, die bleibende Resonanz findet.
Die Reaktion auf den deutschen Film „The Theory of Everything“
Auch der Wettbewerbsfilm „The Theory of Everything“ des deutschen Regisseurs Tim Kroger wird in Erinnerung gerufen. Dieser Schwarz-Weiß-Thriller, der in den 1960er Jahren in einem Hotel in den Schweizer Alpen spielt, wurde von vielen für seine außergewöhnlichen Bilder gelobt. Basierend auf dem Film Noir spielt Kröger mit Licht und Schatten und dramatischen grafischen Details. Er integrierte Filmemacher wie Alfred Hitchcock und literarische Anspielungen in seine Filme. Warum ist das in Venedig so beliebt? „Wir scheinen versehentlich in eine solche kulturelle Nische geraten zu sein“, sagte Kroeger der dpa. „The Theory of Everything“ sei ein Film, der „zwischen Kunst und Unterhaltung oszilliert und die Suppe filmischer Erinnerungen rührt“. Festivalleiter Alberto Barbera bezeichnete es als „den neuen deutschen Mythos“.
Roman Polanski bekommt Gegenwind
Denn Roman Polanskis neuesten Film, in dem der deutsche Schauspieler Oliver Masucci die Hauptrolle spielt, wollen viele hingegen so schnell wie möglich vergessen. Die Satire „Der Palast“ spielt in der Silvesternacht des Jahres 2000 in einem Luxushotel in der Schweiz. Verschiedene privilegierte Gruppen treffen aufeinander. Dann passiert die Szene: Ein alternder Millionär (John Cleese) stirbt beim Sex mit seiner um Jahrzehnte jüngeren Frau, die jedoch aufgrund von Krämpfen nicht mehr aus dem Körper herauskommt. Eine wohlhabende Dame (Fanny Aldan) füttert ihren Welpen mit Kaviar. Das Tier hatte Durchfall und da keine anderen Ärzte im Haus waren, musste der Orthopäde den Kot untersuchen.
Das Wirtschaftsmagazin „The Variety“ kam beispielsweise zu dem Schluss, dass „der Film überhaupt nicht lustig ist“. Der britische „Guardian“ beschrieb ihn als „schockierend“, und auch das Portal „Deadline“ schrieb: „ Es ist überhaupt nicht lustig. Wirklich, im Ernst, absolut nicht. „Dieses Ausmaß an negativer Kritik wird bis zum Ende des Festivals am 9. September kaum seinen Höhepunkt erreichen.