Rund zwei Jahre nach seinem Rücktritt als österreichischer Kanzler muss sich Sebastian Kurz ab heute vor dem Landgericht Wien verantworten. Der 37-Jährige ist wegen des Verdachts der Falschaussage angeklagt.
Er hat nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft im Ibiza-Untersuchungsausschuss des Parlaments gelogen. So soll der Ex-Regierungschef deutlich mehr Einfluss auf die Berufung seines Vertrauten Thomas Schmid zum Chef der Staatsholding Öbag gehabt haben, als er vor dem Ausschuss zugegeben hat. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft, die neben Kurz zwei weitere Verdächtige umfasst, hat 108 Seiten.
Enormes Medien-Interesse
Kurz bestreitet die Vorwürfe vehement. Sein Anwalt spricht von einer «bloßen Anhäufung von Scheinargumenten.» Auf das Delikt stehen bis zu drei Jahre Haft. Der Prozess ist zunächst auf drei Tage anberaumt, dürfte aber deutlich länger dauern. Das Medien-Interesse ist enorm. Rund 100 Journalisten haben sich für den Prozess angemeldet.
Der Ibiza-Untersuchungsausschuss wurde eingerichtet, um möglichen Postenschacher und Korruption in der Regierung Kurz aufzudecken. Im Juni 2020 wurde der damalige Kanzler und ÖVP-Chef Kurz als Auskunftsperson vier Stunden lang befragt. Rund um die Top-Personalie bei der neu aufgestellten Staatsholding Öbag wollten die Abgeordneten wissen, wie sehr Kurz in die Berufung von Schmid zum neuen Öbag-Chef eingebunden war. «Eingebunden im Sinne von informiert, ja», antwortete Kurz an einer Stelle. Die Planung der Personalie sei nicht aktiv von ihm ausgegangen. Die Leitung der Staatsholding, die die milliardenschweren Unternehmensbeteiligungen des Staats managt, ist einer der Top-Jobs in der österreichischen Wirtschaft.
Vorsätzlich oder nur fahrlässig?
Abgeordnete der Opposition sahen in den Äußerungen eine Falschaussage. Deren Anzeige mündete nach langen Ermittlungen in einen Strafantrag. Das Gericht müsste für eine Verurteilung zu dem Schluss kommen, dass Kurz vorsätzlich und nicht nur fahrlässig gelogen hat.
Die Verteidigung hebt darauf ab, dass die Staatsanwaltschaft verschiedene Aussagen von Kurz unzutreffend interpretiert. Den Aussagen werde ein falscher «Bedeutungsgehalt» zugeschrieben, heißt es in einer Gegenäußerung. Insgesamt müsse auch die äußerst aggressive Stimmung während der vierstündigen Befragung im Untersuchungsausschuss im Juni 2020 bedacht werden. «Sebastian Kurz wurde mehr als 30 Mal unterbrochen oder mit Zwischenrufen bei seiner Aussage gestört», so die Verteidigung weiter.
Der Prozess gegen Kurz gehört zur Aufarbeitung der Regierungs-Ära aus konservativer ÖVP und rechter FPÖ von 2017 bis 2019. Die Koalition zerbrach 2019 nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos. In dem heimlich aufgenommenen Zusammenschnitt wirkte der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache anfällig für Korruption. Daraufhin wurde der Ibiza-Untersuchungsausschuss eingerichtet, der Hinweisen auf Postenschacher und Korruption in der Regierung Kurz nachgehen sollte.
Weitere Ermittlungen laufen
Kurz war im Herbst 2021 vom Amt des Kanzlers zurückgetreten und hatte sich wenig später ganz aus der Politik verabschiedet. Er betreibt inzwischen ein Cybersecurity-Unternehmen mit 50 Angestellten in Tel Aviv sowie eine Beratungs- und eine Investmentfirma.
Aktuell ermittelt die Staatsanwaltschaft auch noch wegen der sogenannten Inseratenaffäre. Dabei geht es um den Verdacht der Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit. Geschönte Umfragen sowie Regierungs-Inserate in Boulevard-Zeitungen – beides zum Vorteil für Kurz – sollen mutmaßlich mit Steuergeld bezahlt worden sein. Die Ermittlungen laufen gegen mehrere Verdächtige. Auch hier bestreitet Kurz die Vorwürfe.