Nach dem ebenso bemerkenswerten wie eigenwilligen Interview-Wumms von Manuel Neuer aus dem Krankenstand wird auf die Konsequenzen der massiv verärgerten Bayern-Bosse gewartet. Kommt es sogar zu einem großen Knall? Vorstandschef Oliver Kahn kündigte nach der Lektüre der Kapitäns-Aussagen via Deutsche Presse-Agentur jedenfalls «deutliche Gespräche» mit dem Kapitän an.
Auch Sportvorstand Hasan Salihamidzic äußerte in der «Bild am Sonntag» sein Missfallen darüber, dass der in Kürze 37 Jahre alte Neuer «seine persönlichen Interessen hier über die Interessen des Clubs gestellt» habe. Schnellschüsse vermieden die Verantwortlichen vor dem wichtigen Bundesligaspiel am Sonntag in Wolfsburg. Das brisante Thema verlangt einen weisen Umgang.
«Wenn es Konsequenzen gibt, werden wir zuerst mit Manuel selbst darüber sprechen», äußerte Salihamidzic zurückhaltend. Wird Neuer bestraft? Wird er als Kapitän abgesetzt und so hierarchisch zurückgestuft? Die mehr als ein Jahrzehnt währende Erfolgsgeschichte zwischen dem FC Bayern und Neuer wird mit einem unrühmlichen Kapitel fortgeschrieben. Das letzte muss es freilich nicht sein.
Wie finden Neuer und der FC Bayern wieder zusammen? Nach den wortgewaltigen Neuer-Aussagen und einer umgehenden Maßregelung durch Kahn ist das die große Zukunftsfrage. Wie die, ob Neuer sich nach seinem Beinbruch überhaupt wieder in Topform zurückmelden kann. Die früheren Bayern-Profis und heutigen TV-Experten Lothar Matthäus, Dietmar Hamann und Stefan Effenberg rüffelten Neuer.
«Er spricht sich von allem frei und geht auf alle anderen los. Das ist nicht der FC Bayern», sagte Rekordnationalspieler Matthäus bei Sky. Die Münchner Bosse würden sich das «nicht bieten lassen – auch wenn es Manuel Neuer ist».
Mit seinen markanten und sehr emotionalen Aussagen in der «Süddeutschen Zeitung» und dem internationalen Sportportal «The Athletic» hatte der Torwart den Verein, die Bosse und Trainer Julian Nagelsmann am Wochenende kalt erwischt.
Neuer-Aussagen zur Unzeit
Kahn führte in seiner Replik Punkte an, die den selbst erklärten «Teamplayer» Neuer in eine Ego-Ecke stellen. Was dieser im Zusammenhang mit der Freistellung von Torwarttrainer Toni Tapalovic gesagt habe, werde «weder ihm als Kapitän noch den Werten des FC Bayern gerecht», sagte Kahn: «Zudem kommen seine Aussagen zur Unzeit, weil wir vor ganz wichtigen Spielen stehen.» In gut einer Woche steht die Champions-League-Kraftprobe mit Lionel Messi und Paris Saint-Germain an.
Bei Neuer löste sich ein Fruststau. Er sagt, was er fühlt. Die vermurkste WM mit der für ihn als Kapitän besonders belastenden Debatte um die «One Love»-Binde, die Kritik auch an seinen Leistungen in Katar, der schwere Ski-Unfall und schließlich die Aussortierung seines langjährigen Torwarttrainers waren in Summe wohl zu viel.
Dass sein Kumpel Tapalovic gehen musste, sei «das Krasseste» gewesen, was er in seiner Karriere erlebt habe, klagte Neuer. «Für mich war das ein Schlag, als ich bereits am Boden lag. Ich hatte das Gefühl, mir wird mein Herz rausgerissen.» Betrieben wurde die Ablösung offenbar maßgeblich von Chefcoach Nagelsmann.
Der direkt betroffene und verstörte Neuer wehrt sich. Dabei trägt der sonst meist diplomatisch und besonnen formulierende Bayern-Anführer teilweise verbal dick auf. «Er ist persönlich betroffen, das muss man ein Stück weit verstehen», sagte Kahn nachsichtig. Zugleich belehrte der ehemalige Nationaltorhüter jedoch Neuer mit dem Verweis auf sein eigenes Verhalten in einer für ihn «ähnlichen Situation».
Als Torwarttrainer Sepp Maier, mit dem Kahn «ein freundschaftliches und vertrauensvolles Verhältnis» pflegte, 2004 beim Nationalteam von Bundestrainer Jürgen Klinsmann abgesetzt wurde, sei er auch «enttäuscht» und «wütend auf den DFB» gewesen, schilderte Kahn: «Aber die gemeinsamen Ziele standen für mich im Vordergrund. Sie waren mir wichtiger als meine persönlichen Gefühle.»
Neuers frühere Schutzpatrone sind weg
Neuers Fußball-Vita rechtfertigt für ihn den Interview-Wumms, den er am Verein vorbei inszenierte. Fakt ist aber auch: Sein aktuelles Bayern-Dilemma hat er selbst heraufbeschworen mit seinem Ski-Unfall. Die Bayern-Bosse mussten unter Zeitdruck in Yann Sommer einen kostspieligen Torwart-Ersatz verpflichten. Die Skitour bei dünner Schneedecke rechtfertigte Neuer als wichtigen Teil der «Regeneration für Körper und Psyche» nach der niederschmetternden Weltmeisterschaft. Gefährlich sei sie nicht gewesen, «eigentlich Kindergeburtstag», versicherte Neuer.
Aus den Weiterungen hat sich eine brisante Gemengelage ergeben. Und Neuer befindet sich im Krankenstand in einer geschwächten Position. Er spürt wohl auch, dass beim FC Bayern frühere Schutzpatrone wie Ex-Präsident Uli Hoeneß, Kahns Vorgänger Karl-Heinz Rummenigge und Ex-Trainer Hansi Flick weg sind. Kahn und Salihamidzic führen anders – auch Nagelsmann ist ein anderer Trainer als Flick.
Das Verhältnis zwischen Neuer und Nagelsmann gilt als professionell, wird aber durch die Causa Tapalovic belastet. Nagelsmann äußerte sich – vor Veröffentlichung des Interviews – in der Pressekonferenz zum Wolfsburg-Spiel zum aktuellen Umgang mit Neuer, der auf dem Vereinsgelände seine Reha absolviert: «Generell ist er jeden Tag hier, wir sehen uns und tauschen uns natürlich auch aus.» Und Nagelsmann versicherte: «Dass ich mir wünsche, dass ein Weltklasse-Torwart wie Manu wieder gesund ist und im Tor steht, das steht, glaube ich, außer Frage.»
Neuer: «Der Beste wird spielen»
Neuers Comeback im Tor – wann und wie wird es dazu kommen? Die Antwort kennt niemand. «Ich muss schauen, wie ich zurückkommen werde. Wenn es so weit ist, dann schaue ich in den Spiegel und sage mir die Wahrheit, so wie immer. Wenn ich nicht performe, werde ich den Posten räumen. Aber rechnen Sie nicht damit!», sagte er kämpferisch den Interviewern von «SZ» und «The Athletic» .
Bis zum 30. Juni 2024 läuft sein Vertrag in München, ein Jahr weniger als beim künftigen Konkurrenten Sommer. Im Sommer 2024 findet auch die Heim-EM statt. «Der Beste wird spielen. Wenn ich spielen will, muss ich der Beste sein», lautet Neuers Sicht der Dinge. Diese sportliche Passage des Interviews offenbarte den Ehrgeiz und die Motivation der ewigen deutschen Nummer 1. Es klang frei nach Uli Hoeneß nach: «Das war’s noch nicht!» Ein Manuel Neuer tritt nicht leise ab.