Ein wissenschaftliches Team hat in der Universitätsbibliothek Leipzig eine außergewöhnliche Entdeckung gemacht: Zwei schmale Pergamentstreifen, von denen man annimmt, dass sie die Überreste der nach Angaben der Bibliothek ältesten bekannten Handschrift sind. Es wurde geschrieben vom Missionar und Philosophen Meister Eckhart (ca. 1260-1328). Die Bibliothek gab am Montag bekannt, dass es sich um Fragmente eines mittelalterlichen Buches handele. Die Handschrift entstand um 1300 in Thüringen, als der bedeutende Theologe im Erfurter Dominikanerkloster tätig war (1294–1310).
Solche „Entdeckungen“ seien der Wunschtraum von Forschern und Bibliothekaren, sagt Anne Lipp, Direktorin der Universitätsbibliothek Leipzig. „Wie immer sind sie das Ergebnis einer intensiven Erschließung und wissenschaftlichen Untersuchung bekannter Sammlungen.“
Die Existenz zweier Pergamentstreifen mit deutschen theologischen Mystiktexten ist seit langem bekannt. Doch bis vor Kurzem konnten Manuskriptzentrumsleiter Christoph Mackert und sein Team sie nicht zuordnen. Überliefert ist ein Auszug aus einem weit verbreiteten Text, der neueren Erkenntnissen zufolge auf Eckhart zurückgeht und den Titel „Zwei Wege“ trägt. Auf der ursprünglichen zweiten Seite sind Zeilen aus einem noch nicht näher identifizierten Text zu erkennen – möglicherweise ein bisher unbekannter Eckhart-Text.
„Fachleute können Eckharts Texte als besonders umfangreich und intellektuell provokativ bezeichnen.“ In der Erklärung hieß es, der Text sei wahrscheinlich von „wir würden gerne wissen, wer der Autor war und wie er in der Anfangsphase seiner Verbreitung mehrmals geändert wurde“, heißt es in der Erklärung. Nach Angaben eines Bibliothekssprechers wurden die Texte von professionellen Schreibern verfasst und ihre Urheberschaft lässt sich nicht ermitteln. Möglicherweise jemand aus Eckharts Umfeld.
Meister Eckhart gilt heute als einflussreicher Denker des christlichen Mittelalters und manche bezeichnen ihn als Mystiker. Chor und Klostergebäude der Erfurter Missionskirche sind die einzigen beiden echten Orte in Europa, an denen Meister Eckhart zu Lebzeiten lebte.