Um Engpässe bei Arzneimitteln zu vermeiden, wird zuweilen gefordert die Produktion verstärkt zurück nach Deutschland zu holen. Doch die Pharmabranche in Baden-Württemberg reagiert eher zögerlich auf derartige Forderungen. Ein neues Werk zu bauen, dauere drei bis fünf Jahre, sagte ein Sprecher der Verbände der Chemie- und Pharma-Industrie Baden-Württemberg (Chemie.BW) in Baden-Baden. Damit seien Kostensteigerungen verbunden. «Sie investieren aber nur, wenn Sie das Geld hinterher auch wieder reinkriegen.»
Spätestens mit der Corona-Pandemie wurde offenbar, dass ein Großteil der Wirkstoffe im Ausland – vor allem Asien – produziert wird. Gibt es dort Fertigungsprobleme, Verunreinigungen oder stoppt die Produktion, kann das auch Deutschland treffen. In der Folge waren etwa Fiebersäfte, Hustenmittel, Blutdrucksenker, Magensäureblocker oder Brustkrebsmedikamente schwer bis gar nicht zu bekommen.
Generell sei es zu begrüßen, geeignete Produktion nach Deutschland und Baden-Württemberg zurückzuholen beziehungsweise hier zu halten, erklärte das Wirtschaftsministerium in einer Stellungnahme zu einem Antrag der FDP im Stuttgarter Landtag. «Jedoch benötigen solche Prozesse Zeit und werden von Unternehmen nur dann umgesetzt, wenn auch die (regulatorischen) Rahmenbedingungen stimmen.»
Das Ministerium selbst nannte zum Beispiel steuerliche Aspekte, bürokratische Hürden, schnelle Genehmigungsverfahren für klinische Studien, die Anbindung an akademische Spitzenforschung, den Zugang zu Fachkräften und bundeseinheitliche Datenschutzvorgaben als Faktoren. Laut dem Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie Baden-Württemberg, Winfried Golla, spielt Energie angesichts gestiegener Preise neuerdings auch bei Pharmaunternehmen eine Rolle.
Derzeit könnten die Hersteller von Generika – also Nachahmerpräparaten – gerade so kostendeckend produzieren, sagte der Verbändesprecher. Im Juni hatte der Bundestag ein Gesetz beschlossen, wonach unter anderem Hersteller von Kindermedikamenten ihre Abgabepreise einmalig nach bestimmten Vorgaben anheben dürfen. Am Wochenende kündigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bis Ende des Jahres ein neues Gesetz an, das die Erforschung und Produktion von Arzneimitteln und Medizinprodukten in Deutschland fördern soll.
Corona-Krise, Russlands Krieg in der Ukraine sowie die Neuausrichtung der Industriepolitik von USA und China stellen dem Landesministerium zufolge massiv internationale Lieferketten und Versorgungswege der pharmazeutischen Industrie auf den Prüfstand. Baden-Württemberg als traditionell starker Pharmastandort stelle sich diesem Wettbewerb.
«Die pharmazeutische Industrie ist die forschungsintensivste Branche in Deutschland mit überdurchschnittlichen Investitionen in Forschung und Entwicklung, denn sie reinvestiert 13 Prozent ihres Umsatzes», schreibt das Ministerium. Überhaupt komme ihr eine wichtige Rolle innerhalb der Gesundheitsindustrie zu: Im Jahr 2020 forschten, entwickelten und produzierten in Baden-Württemberg demzufolge 92 Pharmaunternehmen mit fast 23.000 Beschäftigten. Die umsatzstärksten Regionen seien Rhein-Neckar, Donau-Iller und Hochrhein-Bodensee.
Im ersten Halbjahr hat die Pharmabranche im Südwesten nach Angaben von Chemie.BW die Produktion um 9,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum erhöht. Die Umsätze seien um 10,6 Prozent gestiegen, die Zahl der Beschäftigten um 9 Prozent.
«Die bislang starke Stellung des Pharmaproduktionsstandortes Baden-Württemberg ist keine Selbstverständlichkeit», schrieb Ministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) in der Stellungnahme. Die Abwanderung der Generikaindustrie nach Asien sei das Ergebnis eines Prozesses der letzten 20 Jahre, durch den zum Beispiel mit Rabattverträgen Einsparungen erzielt werden konnten. Für die Generikaproduktion im Inland sei das aber schlecht gewesen.
Eine solcher Prozess samt Standortverlagerung sei grundsätzlich auch im Bereich etwa von Impfstoffen und Biopharmazeutika möglich. Dies wäre aus Ministeriumssicht umso kontraproduktiver, da im Südwesten Wirkstoffentwicklung und Produktionsaufbau eng verzahnt seien. Ein Ausbau könnte sich daher auf eine vergleichsweise hochinnovative Infrastruktur mit Unikliniken, außeruniversitärer Forschung, Spezialmaschinenbau, Pharmaunternehmen und Biotech-Szene stützen. Der Ausbau von Pharmaproduktion hier sei überaus erfolgversprechend.
Das Ministerium verwies auch auf große Investitionen im höheren Millionenbereich in den vergangenen Jahren, etwa von Pfizer in Freiburg, von Boehringer Ingelheim in Biberach und von Teva in Ulm. Der Chemie.BW-Sprecher sagte: «Die Unternehmen glauben noch an den Standort.» Die Landesregierung habe die Lage verstanden; das zeige sich zum Beispiel im «Pharmadialog» und im «Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg». Sinnvoll sei auch, dass das Regierungspräsidium Tübingen landesweit für die Arzneimittelüberwachung zuständig sei.