Mehr als 50 Jahre nach dem Beschluss des Radikalenerlasses hat sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit Betroffenen zum Gespräch getroffen. «Diesen Menschen ist Ungerechtigkeit erfahren, man hat pauschal alle unter einen Generalverdacht gestellt», sagte der Grüne am Mittwoch nach dem Gespräch im Staatsministerium in Stuttgart.
Mit dem Radikalenerlass aus dem Jahr 1972 sollte eine Unterwanderung des Staates verhindert werden. Die Gefahr von Links beunruhigte die damals noch junge Bundesrepublik. Heute ist klar, dass viele auch zu Unrecht verdächtigt wurden. Der Radikalenerlass zerstörte viele Karrieren. Der Beschluss des ersten sozialdemokratischen Kanzlers Willy Brandt und der Ministerpräsidenten der Länder sah unter anderem vor, dass vor jeder Einstellung in den öffentlichen Dienst eine Anfrage beim Verfassungsschutz gestellt werden muss. So sollte der Staatsapparat vor möglichen Verfassungsfeinden geschützt werden.
Bereits im Januar hatte Kretschmann in einem Brief an die zu Unrecht Betroffenen sein Bedauern geäußert – eine Rehabilitierung oder Entschädigung ist aber auch nach dem Gespräch nicht geplant. Für die Betroffenen sei dies eine große Enttäuschung, sagte Andreas Salomon von der Initiative der Betroffenen. Kretschmann sei nicht bereit gewesen, auf die drei Forderungen «nach einer Entschuldigung, nach einer Rehabilitierung und nach der Einrichtung eines Fonds einzugehen.»
Er könne aber nicht pauschal entschädigen, jeder Einzelfall müsse geprüft werden, sagte Kretschmann. «Und dafür gibt es im Rechtsstaat Gerichte, da muss man sich sein Recht erstreiten.» Das sei ein Dilemma. «Denn im Rechtsstaat wird nur Recht gesprochen, da wird nicht Gerechtigkeit gesprochen.»
Der Bund und die sozialdemokratisch regierten Länder rückten bereits 1979 wieder von dem Beschluss ab. Bayern schaffte ihn als letztes Bundesland im Jahr 1991 ab.