Mitten im Sommer: Schnee auf der Zugspitze. Besucher aus dem Tal staunten Anfang August, als sie oben in einer Winterlandschaft ankamen. Doch für die verbliebenen Gletscher an Deutschlands höchstem Berg war die weiße Schicht gut. Der Schnee reflektierte die Sonnenstrahlen und schützte das dahinschmelzende Eis wenigstens ein klein wenig.
Noch stehen die Messungen der Wissenschaftler von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (BAdW) für dieses Jahr aus. Erst im Herbst wollen sie Dicke und Ausbreitung der letzten Gletscher untersuchen. Doch schon jetzt gehen Experten davon aus, dass das Eis von Blaueis- und Watzmanngletscher in den Berchtesgadener Alpen sowie Höllentalferner und Nördlichem Schneeferner an der Zugspitze auch in diesem Sommer an Substanz verloren hat. Ihr Verschwinden ist nur noch eine Frage der Zeit.
Eisbewegung bleibt aus
Im vergangenen Jahr hatte bereits der Südliche Schneeferner den Status als Gletscher verloren. Mit etwa eineinhalb Hektar war er noch halb so groß wie vier Jahre zuvor – und er fließt nicht mehr. Ohne Eisbewegung gehe die Wissenschaft nicht mehr von einem Gletscher aus, erläutert der Glaziologe Christoph Mayer von der BAdW, die für die Staatsregierung alle paar Jahre einen Gletscherbericht erstellt.
Schon jetzt sind die beiden größten Gletscher in Bayern – Höllentalferner und Nördlicher Schneeferner mit jeweils etwas über 16 Hektar nur noch knapp halb so groß wie das Oktoberfestgelände. Auch sie haben stark verloren, nach dem letzten Gletscherbericht von 2021 hatten beide je noch ein Volumen von 1,7 Millionen Kubikmetern. Der Bericht schildert allerdings laut Mayer den Zustand der Gletscher im Jahr 2018. Experten geben den deutschen Gletschern noch um die zehn Jahre. Aber es könnte auch schneller gehen.
Requiem als Weckruf
Im Juli hatten Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche zum Requiem für den «sterbenden» Nördlichen Schneeferner in Deutschlands höchstgelegene Kirche Mariä Heimsuchung am Zugspitzplatt geladen. Es sollte ein Weckruf sein mit Blick auf die Klimakrise und auf die Gefahren für die Natur wie auch für die Menschheit. Mit Sterbebildchen für den Gletscher, Gebeten und Aussegnung feierten die Gläubigen das Ableben des Nördlichen Schneeferners – dabei hat dieser Gletscher nach der aktuellen Prognose noch wenigstens sieben Jahre vor sich, eher er seinen Status verliert.
Stärker sind die beiden Gletscher im Berchtesgadener Land bedroht. Sie sind nur noch um die fünf Hektar groß. «Die Eisreserven reichen vielleicht noch für zwei, drei Jahre, wenn wir weiter Sommer haben wie im vergangenen Jahr», sagt Mayer. Der Sommer 2022 mit wochenlangem Sonnenschein sei «verheerend» gewesen. Die Schmelze im vergangenen Jahr war Wissenschaftlern zufolge alpenweit um rund 50 Prozent stärker als in einem Durchschnittsjahr.
Am Watzmanngletscher in den Berchtesgadener Alpen ist der Schwund am wenigsten zu sehen ist, weil er in einer Mulde liegt. Der Verlust an der Oberfläche fällt damit weniger auf. Außerdem ist er in Teilen von Schutt bedeckt, der eine Bestimmung der Größe erschwert, ihn aber teilweise auch ein wenig vor dem Abschmelzen schützt.
Schutz für ein paar Tage
Kälteeinbrüche im Sommer legen manchmal wenigstes für ein paar Tage eine schützende Schneedecke auf das Eis. Weiße Flocken auch während der Badesaison waren im Hochgebirge früher häufiger. Nun ist das zunehmende Fehlen von Niederschlägen als Schnee ein wesentlicher Faktor für das beschleunigte Verschwinden des Eises. «Das Abschmelzen geht noch schneller, weil der Gletscher nicht mehr durch die Schneedecke geschützt wird», sagt Laura Schmidt, Wissenschaftskommunikatorin der Umweltforschungsstation Schneefernhaus an der Zugspitze. Sie sieht den Schwund bei jedem Blick aus dem Fenster. «In den letzten Jahren hat der Nördliche Schneeferner sehr an Volumen verloren.»
Neben dem Schnee im August sorgte dieses Jahr auch der späte Schneefall im Frühjahr für einen kleinen Schutzmantel. Dennoch, so Mayer: «Die Tage sind auf jeden Fall gezählt.» Statt Schnee Regen, der über 0 Grad warm ist, hohe Luftfeuchtigkeit und lange Sonnenperioden – das sind laut Mayer neben der allgemeinen Klimaerwärmung weitere Faktoren für die Gletscherschmelze.
Relativ gut hält sich der Höllentalferner, zuletzt 16,7 Hektar groß. Auch er liegt in einer tiefen Mulde und wird nicht zuletzt aufgrund seiner Lage regelmäßig zumindest im oberen Teil durch Lawinen gespeist. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass er am längsten überleben wird – es könnten noch 15 bis 20 Jahre sein.