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Kernfusion – Hype oder Lösung der Energieprobleme?

Die Kernfusion verspricht die Lösung vieler Energieprobleme. Neben Forschungseinrichtungen arbeiten auch immer mehr Start-ups in diesem Bereich. Kritiker stehen dem jüngsten Hype skeptisch gegenüber.

Blick auf den Forschungsreaktor „Wendelstein 7-X“ am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik. Foto.aussiedlerbote.de
Blick auf den Forschungsreaktor „Wendelstein 7-X“ am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik. Foto.aussiedlerbote.de

Forschung - Kernfusion – Hype oder Lösung der Energieprobleme?

Mit Lasern eine nahezu unerschöpfliche Energiequelle zu erschließen, klingt nach Science-Fiction. Vor etwas mehr als einem Jahr sorgte dieses Engagement weltweit für Schlagzeilen. Am 5. Dezember 2022 haben US-Forscher Atomkerne verschmolzen, um mehr Energie zu erzeugen, als mit Lasern direkt injiziert werden könnte. US-Energieministerin Jennifer Granholm nannte es „eine der beeindruckendsten wissenschaftlichen Errungenschaften des 21. Jahrhunderts“.

Plötzlich sprechen deutsche Politiker immer mehr von Kernfusion. Das Bundesforschungsministerium Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat kürzlich Investitionen von mehr als einer Milliarde Euro für die nächsten fünf Jahre angekündigt. Das Thema ist sehr in Mode.

„Das kann ich bestätigen“, sagte Thomas Klinger, Leiter des Fusionsexperiments Wendelstein 7-X in Greifswald, der Deutschen Presse-Agentur. „Die Kernfusionsforschung hat sehr bedeutende Fortschritte gemacht, die die Öffentlichkeit davon überzeugt haben, dass dies kein Wunschtraum ist, der für immer revidiert wird.“ Auch „Wendelstein 7-X“ erreichte zu Beginn des Jahres einen Meilenstein. Plasma – der vierte für die Kernfusion erforderliche Aggregatzustand – kann über lange Zeiträume sehr heiß bleiben.

Bei der Kernfusion verschmelzen Atomkerne bei extremen Temperaturen. Dies geschieht auch in Sternen und damit in der Sonne. Wissenschaftler setzen auf Laser oder Magnete. Theoretisch könnten große Energiemengen klimaneutral erzeugt werden, ohne das Risiko von Reaktorkatastrophen wie der Kernspaltung und ohne den langlebigen und hochradioaktiven Abfall. Bisher ist dies trotz jahrzehntelanger Forschung noch Zukunftsmusik.

Ross: Milliarden an privaten Investitionen

Markus Roth von der Technischen Universität Darmstadt sagt, „einen Stern auf der Erde künstlich zu erschaffen, ihn am Leben zu erhalten und das Leben aus ihm herauszupressen“ sei das Komplexeste, was Menschen jemals versucht haben. Dinge. „Wenn das Raketenwissenschaft wäre, hätten wir es in den 1960er Jahren geschafft.“

Im amerikanischen Experiment wurde, wie in der üblichen Forschung auch, nur die Energiebilanz des Plasmas selbst berücksichtigt, nicht die Gesamtbilanz. Für die Zukunft der Stromerzeugung ist es von entscheidender Bedeutung, dass sie positiv verläuft, aber von diesem Punkt sind wir noch weit entfernt. Den damaligen Informationen zufolge benötigte die Anlage etwa 300 Megajoule Energie, um 2 Megajoule Laserenergie zu liefern und so eine Fusionsausbeute von 3 Megajoule zu erzeugen. Zu berücksichtigen ist auch, dass es sich bei der erzeugten Energie um thermische Energie handelt; bei der Umwandlung in elektrische Energie entstehen in der Regel erhebliche Verluste.

Focused Energy, ein von Ross mitgegründetes deutsch-amerikanisches Startup, will Laserfusion verfügbar machen. Beteiligt sind auch mehrere Forscher, die vor einem Jahr in den USA am Durchbruch beteiligt waren. Sie wurden ins Weiße Haus eingeladen und nehmen am America Grants-Programm teil. Ross sagte, die wachsende Zahl von Start-ups treibe die Entwicklung voran. Einige Unternehmen haben private Investitionen in Milliardenhöhe eingeworben.

Die Unternehmensberatung Strategy& warnte im September davor, dass Deutschland trotz Spitzenforschung mit geringeren Investitionen als das Ausland zurückbleiben könnte.

Aber Geld allein helfe nicht, sagte Klinger. Gefragt ist ein geeignetes Umfeld, zu dem auch die Industrie gehört. „In diesem Sinne gibt es keine Fusionsindustrie. Sie nimmt langsam Gestalt an.“ Dafür müssten tatsächlich Prototypen entwickelt und Systeme gebaut werden. Dieser Sparringeffekt ist sehr wichtig.

Kemfert: Bisher kleine Erfolge

Nach eigenen Angaben ist Goss Fusion das einzige von rund 40 bestehenden Fusionsunternehmen, überwiegend aus den USA, das eher aus der Industrie als aus der Forschung kommt. Das Erreichen der Kernfusion sei kein physikalisches, sondern ein technisches Problem mehr, sagt Geschäftsführerin Milena Roveda. Ihr Ziel: Bis Anfang der 2040er Jahre ein Kraftwerk in Europa bauen. Kosten: 20 Milliarden. Dann werden die Kosten sinken. Das Geld kommt von öffentlichen und privaten Spendern.

„Andere Technologien sind günstiger und schneller als die Fusion“, kritisiert Claudia Kemfert, Energieexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Geht es um das Versprechen der Kernfusion, „ist der Wunsch größer als die Realität“. Sie spricht über die kleinen bisherigen Erfolge. Erneuerbare Energien können vollständig verfügbar sein, bevor die Kernfusion reif ist.

Auch Greenpeace-Atomexperte Heinz Smittal hält den „neuen Hype“ um die Kernfusion für sehr problematisch. „Das führt dazu, dass enorm viel Geld in eine Technologie investiert wird, die der Gesellschaft kaum Nutzen bringt.“ Neben der Förderung erneuerbarer Energien solle die von der Bundesregierung zugesagte Milliarde US-Dollar in die Digitalisierung von Energienetzen und -speichern fließen.

Klinger räumt ein, dass die Fusionsenergie eher in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts ins Spiel kommen wird. „Ehrlich gesagt halte ich das nicht für eine schlechte Sache.“ Dass es nach 2050 ein goldenes Zeitalter der Energie geben wird, ist reine Wunschvorstellung. Es gibt einige unterversorgte Gebiete auf der Welt, in denen die Entfernung von Treibhausgasen aus der Atmosphäre große Energiemengen erfordert. Für Ross geht es auch um Energieunabhängigkeit: Künftig werden wir auch auf Solar- oder Wasserstofflieferungen aus anderen Teilen der Welt angewiesen sein. Die Kernfusion könnte helfen.

Klinger geht davon aus, dass das erste Fusionskraftwerk Mitte des Jahrhunderts gebaut werden könnte. „Ich denke, es ist auf jeden Fall machbar, ohne dass man ins Wanken geraten muss.“ Wenn man jetzt anfängt, kann man es vielleicht in 20 Jahren schaffen – das Risiko ist etwas größer, weil es weniger technische Fragen gibt, die im Vorfeld geklärt werden müssen. „Es ist immer noch schwierig. Wir sind immer an der Grenze des technisch Machbaren.“ Aber insgesamt ist Klinger optimistisch. „Kein ungezügelter Optimismus, sondern Optimismus. Es sollte funktionieren. Das ist das Beste, was ein Wissenschaftler sagen kann.“

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Quelle: www.stern.de

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