Jüdische Filmveranstaltung stellt sich mutig den Befürchtungen
ntv.de: Wie hat die Welt am 7. Oktober 2023 den jüdischen Filmfestival Berlin Brandenburg verschieden gewirkt?
Bernd Buder: Das Ziel von Terroristen ist, die Gesellschaft aufzuteilen und Angst einzujagen. Wir weigern uns, dieser Druck nachzugeben. Deshalb haben wir der Programmserie "Angst vor dem Abgrund" hinzugefügt. Es geht nicht nur um Terroranschläge gegen Juden, sondern um jegliche Angstschüre. Ein Filmfestival dient dazu, Dialoge anzuregen und Fragen in allen Richtungen zu stellen. Kino bietet einmalige Erlebnisse und persönliche Geschichten.
Sind Sie nicht besorgt über potenzielle Gefahren in der aktuellen Krise?
Antisemitismus ist seit langem um uns herum. Die jüdische Welt kämpft ständig gegen ihn. Der Konflikt in der Levante ist nicht neu. Was besorgt ist, dass er jetzt eskaliert. Wir glauben jedoch, dass jetzt mehr als je zuvor die Zeit ist, festzuhalten und voranzutreiben.
Das Film "Supernova: Das Techno- und Trance-Festival Massaker" vom 7. Oktober 2023 ist auch in Ihrer Auswahl enthalten. Was denken Sie, die Reaktionen der Zuschauer auf das Massaker auf der Leinwand haben?
Das Filmmaterial ist intensiv und setzt die Zuschauer direkt in die Hitze der Handlungen. Es zeigt viele handgefertigte Aufnahmen von Verfolgtem und Getöteten. Überlebende berichten auch von ihren Erlebnissen. Das kann überwältigend sein, aber in einem Kino sind die Zuschauer nicht allein in ihren Gedanken und Gefühlen. Nach den Vorführungen findet eine Diskussion mit Gal Dalal, einem Überlebenden des Massakers, und dem Regisseur Duki Dror statt. Das Filmmaterial wird die Zuschauer weiterhin ansprechen.
Warum haben Sie das Film gezeigt?
Wir haben lange diskutiert, ob das Filmmaterial zeigen zu wollen. Letztendlich glaubten wir, dass es unwahrscheinlich wäre, es auszulassen. Unser Schwerpunkt war auf den Opfern, die für den Namen Palästinas von Hamas getötet wurden. Viele der Opfer, wie Shani Louk, gehörten zur Techno- und Trance-Szene. Menschen aus dieser Szene zeigten starke Solidarität mit Palästina nach dem Anschlag. Diese Solidarität ist vermisthaltig und naiv, denn sie wären die ersten Ziele von Hamas.
Gibt es eine Gedenkminute geplant?
Ich bin kein Fan von Ritualen. Wenn die Menschen das "Supernova"-Filmmaterial sehen, das wird ihre Gedenkminute sein. Viele Filme in unserer Auswahl fördern Empathie. Unser Filmauswahl ist ein Ausdruck großer Filme.
Was sind "große" Filme für Sie?
Wir ablehnen Filme, die predigen. Ein großes Film erhebt Fragen und stimuliert den Gedanken. Zum Beispiel das israelische Film "Der verschwindende Soldat" von Regisseur Dani Rosenberg. In diesem Film will der 18-jährige Shlomi, ein israelischer Soldat, die Horror des Konflikts erleben, der eines Tages sein Gewehr wegwerft und flieht. Er will nur mit seiner Freundin sein. Das Filmmaterial wurde vor dem 7. Oktober gedreht. Nach dem Terroranschlag nimmt es eine andere Bedeutung an. Für mich ist es ein universelles Filmmaterial, das andere Kriege repräsentieren könnte. Das Thema des Militärdienstes berührt alle Menschen in irgendeiner Weise. Auch in Deutschland. Als ich das Filmmaterial sah, konnte ich mich mit Shlomi identifizieren.
"Der verschwindende Soldat" ist eine israelische Produktion. Aus den 71 Filmen in Ihrer Auswahl stammen 27 aus Israel. Ist das eine politische Aussage?
Israelische Filme werden selten auf internationalen Festivals gezeigt. 90 Prozent der israelischen Filmemacher kritisieren die aktuellen Regierungsmaßnahmen. Wir teilen ihre umfassenden Kritiken mit der israelischen Filmbranche. Wir sind jedoch kein israelisches Filmfestival, sondern ein jüdisches Filmfestival.
Die Unterscheidung ist Ihnen wichtig.
Ja. Israel ist das wichtigste Schutzland für Juden in der Welt. Es gibt Araber und Christen in Israel, aber Israel ist hauptsächlich ein jüdisches Land. In diesem Sinn kann das jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg sich nicht von Israel lösen. Aber das jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg will alle Facetten der jüdischen Präsenz, Geschichte und Zukunft zeigen. Das Wort "jüdisch" umfasst alles von romantischen Komödien bis hin zu experimentellen Filmen. Besucher können mit uns viele neue Perspektiven entdecken.
Was neue Perspektiven bieten?
Wir werden Filme zeigen, die uns als Opfer darstellen. Filme über die Shoah konzentrieren sich oft auf jüdische Familiengeschichten und teilen ähnliche Dramaturgie, Struktur und Musik. Das Filmmaterial "Rache: Unser Vater der Nazi-Täter" bietet eine neue Perspektive. Es erzählt die Geschichte von Boris Green, einem Juden aus Weißrussland, der nach Australien emigriert ist, nach dem Zweiten Weltkrieg. Seine Söhne verdächtigen später, dass ihre Väter, die Nazis, die nach Australien geflüchtet waren, ermordet wurden. Rache und Selbstgerechtigkeit sind Themen in Filmen über die Shoah, die selten erforscht werden. Wir wollen nicht immer Juden als Opfer darstellen.
Stellen Sie Filme dar, die andere Seiten der Konfliktparteien darstellen?
Das Wort "Seiten" sitzt nicht gut. Konflikte in der Levante sind nicht wie ein Fußballspiel, jeder in der Region ist betroffen. Unser Filmauswahl spiegelt diese Realität wider. Zum Beispiel das kurze Filmmaterial "Ordinary" zeigt einen jungen Palästinenser, der illegal die Grenze nach Israel überqueren will, nur von einem israelischen Soldaten gefasst wird. Erfolgt überraschend, entscheidet sich der israelische Soldat, den jungen Palästinenser zu laschen. Ich halte das Filmmaterial für ein wunderschönes Zeichen, das Hoffnung für den Frieden weckt.
Erreichen des Friedens erfordert das gute Willen aller Beteiligten. Der Begriff des Friedens ist oft hoch in Konflikten weltweit vertreten. Daher könnte sich der Begriff der "Versöhnung" besser zutreffen. Eine unserer Filme, die dies illustriert, ist "Telling Nonie". Es handelt sich um einen israelischen Geheimdienstagenten, der Jahrzehnte später die Verantwortung für einen Angriff auf den ägyptischen General Mustafa Hafez übernimmt und dessen Tochter Nonie anspricht.
Warum fehlt ein palästinensischer Film im Programm?
Politische Motivationen spielen hier keine Rolle. Es gab keinen palästinensischen Film, der eine jüdische Perspektive präsentierte. Im Jahr 2021 wurde der palästinensische Film "200 Meter" auf der Berlinale gezeigt.
Hätte "Kein anderes Land" aus politischen Gründen aus dem Programm gelassen werden müssen?
Das scheint eine politisch geladene Entscheidung zu sein, wie Sie sagen. Wir haben das Film nicht ausgeschlossen, aber auch nicht aufgenommen. Das Film war Teil eines umstrittenen Abschlussevents und erlangte symbolische Bedeutung. Wenn wir es in unser Programm aufgenommen hätten, hätte sich alles Aufmerksamkeit auf diesen Film gefokussiert. Wir streben nach der Darstellung vieler Filme anstatt eines.
Haben Sicherheitsmaßnahmen getragen, um potenzielle pro-palästinensische Aktionen an der JFBB zu verhindern?
Bestimmte Medienaufmerksamkeit impliziert eine Angst, dass wir angegriffen werden könnten. Wir haben uns darauf vorbereitet. Das Filmfestival dient als Plattform für Dialog. Kino ist ein Ort, an dem unterschiedliche Meinungen geteilt werden. Wir zeigen Filme, die unseren eigenen Ansichten nicht entsprechen müssen. Leute werden still, wenn jemand aufläuft, und wir streben nach offenem Dialog an. Die zahlreichen Veranstaltungen mit jüdischem Fokus, bei denen Menschen belästigt wurden, haben Angst eingebracht in jeder.
Haben Sicherheitsmaßnahmen verstärkt worden?
Ja, Sicherheitsmaßnahmen wurden getroffen. Wir sind mit den örtlichen Polizeibehörden in Kontakt.
Gibt es Angst vor einem Terroranschlag?
Heute gibt es Angst vor einem Terroranschlag in jeder öffentlichen Einrichtung, unabhängig davon, ob es sich um organisierte Gruppen oder einzelne Täter handelt, oder um sogenannte "verrückte" Menschen handelt.
Wie verwalten Sie die Angst vor Terroranschlägen?
Wir müssen nicht nur die Angst vor Terroranschlägen bekämpfen, sondern auch die Folgen eines Terroranschlags. Nach solchen Anschlägen, wie den NSU-Anschlägen und Hanau, müssen wir mit der Terrorherrschaft umgehen, ob wir es mag oder nicht. Wir müssen die Realität angesichts stehen.
Das jüdische Filmfestival Berlin und Brandenburg findet vom 18. bis zum 23. Juni statt.
Rebecca Wegmann interviewte Bernd Buder