Wenigstens Thomas Müller kann dem großen Krach bei seinem Herzensverein noch etwas Positives abgewinnen. «Ich finde es immer gut, wenn sich um den FC Bayern etwas rührt», sagte die Club-Ikone bei DAZN. «Das heißt, dass der Club und die Spieler immer noch interessant genug sind, dass sie für große Storys herhalten.» Wie ein FC Hollywood reloaded sozusagen.
Dem Wirbel der Matthäus-Klinsmann-Beckenbauer-Zeit in den 90er-Jahren kam das schon recht nahe, was am Wochenende bis zu dem wichtigen 4:2 (3:1)-Sieg beim VfL Wolfsburg bei den Bayern passiert ist. Der aktuell verletzte Kapitän und Nationaltorwart Manuel Neuer kritisierte in einem Interview der «Süddeutschen Zeitung» und «The Athletic» massiv die eigene Clubführung.
In erster Linie ging es dabei um die Trennung von seinem engen Freund und Torwarttrainer Toni Tapalovic («Ich hatte das Gefühl, mir wird mein Herz rausgerissen»). Doch der Konflikt liegt offensichtlich tiefer und ist auch durch die deutliche Reaktion der Clubbosse noch lange nicht vom Tisch. So legten Neuers Aussagen ein belastetes Verhältnis zwischen dem Kapitän und dem Trainer beim FC Bayern offen, Julian Nagelsmann war schließlich die treibende Kraft hinter dem Tapalovic’-Aus. Nach einem Bericht des «Kickers» (Montag) solidarisierten sich nach dem Interview auch mehrere Mitspieler intern mit dem Torwart.
«Der Sieg steht über allem»
Nagelsmanns Autorität ist also geschwächt. Bereits rund um den Weggang von Robert Lewandowski zum FC Barcelona war von interner Kritik des Torjägers an dem 35-jährigen Trainer die Rede. Das Einzige, was beim FC Bayern dagegen hilft, ist Erfolg. Und deshalb war der Sieg in Wolfsburg auch so wichtig und die Erleichterung darüber so groß.
«Der Sieg steht über allem», sagte Nagelsmann. Oder wie Thomas Müller es ausdrückte: «Wir haben heute einen Muss-Sieg gefeiert. Wir haben dem Druck standgehalten, gewinnen zu müssen.» Andernfalls wäre der Serienmeister der vergangenen Jahre in der Tabelle der Fußball-Bundesliga hinter dem 1. FC Union Berlin zurückgeblieben.
Für den FC Bayern gilt aber auch: Die Arbeit eines Trainers wird längst nicht mehr am Gewinn der x-ten deutschen Meisterschaft gemessen, sondern vor allem am Abschneiden in der Champions League. Und da ist das Beunruhigende weniger als anderthalb Wochen vor dem Achtelfinal-Hinspiel bei Paris Saint-Germain, dass die Münchner für ihre Verhältnisse noch immer ein recht wackeliges Gebilde sind.
Kritik an Neuer-Interview
22 Wolfsburger Torschüsse ließen sie am Sonntag zu. Auch wegen einer Gelb-Roten Karte für Joshua Kimmich (54.) drohten die Bayern, ein Spiel trotz schneller 3:0-Führung nach nicht einmal 20 Minuten und dem 4:1 nach tollem Sololauf von Jamal Musiala (73.) noch aus der Hand zu geben. «Ich bin der Meinung, dass wir sehr unglücklich verloren haben und dass Bayern glücklich gewonnen hat», sagte der VfL-Coach Niko Kovac, der die Münchner 2018 und 2019 nur anderthalb Jahre trainieren durfte, obwohl er mit ihnen die deutsche Meisterschaft und den DFB-Pokal gewann.
Soweit ist es bei Nagelsmann noch nicht. Aber er weiß, dass die Auseinandersetzung zwischen Manuel Neuer und der Clubführung auch ein Problem für ihn ist. «Ich hätte das Interview nicht gemacht», sagte Nagelsmann auch nach dem Spiel noch einmal. «In einer Passage ist zu lesen, dass Bayern München im Mittelpunkt steht. Völlig losgelöst von meiner Person, war es nicht zuträglich für den Club, was Ruhe angeht. Das sieht man daran, dass ich von 17 Fragen jetzt 16 zu dem Thema beantworten muss.»
Ob es beim FC Bayern nach diesem Sieg nun ruhiger werde, war eine dieser Fragen. Und der Trainer antwortete: «Ich zünde nix an. Deshalb hoffe ich, dass es so ist.»