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Gil Ofarim und die Wölfe

Bei einer Gerichtsverhandlung in Leipzig gestand der 41-jährige Sänger Gil Ofarim ein, eine falsche Beschuldigung vorgebracht zu haben. Seine "antisemitische Legende" erwies sich als fiktiv.

Foto: aussiedlerbote.de

Gil Ofarim und die Wölfe

Lesen Sie auf Russisch: Гиль Офарим и волки

Wie bekannt wurde, beschuldigte der Sänger Gil Ofarim im Oktober 2021 in einem Video ein Leipziger Hotel des Antisemitismus.

Gil Ofarim (geborener Gil Doron Reichstadt) war in Deutschland bereits bekannt, wenn auch nicht überall. Als gebürtiger Deutscher und Sohn des israelischen Musikers Abi Ofarim ist er Sänger, Songwriter, Schauspieler und auch Frontmann der Bands Zoo Army und Acht.

Damals berichtete Ofarim in einem emotionalen Videoclip über einen angeblichen antisemitischen Vorfall im Hotel. Angeblich wurde ihm der Check-in verwehrt, und er wurde aufgefordert, eine Davidstern-Halskette abzunehmen. Das Video ging in sozialen Netzwerken viral und machte in ganz Deutschland Schlagzeilen. Der mutmaßliche Vorfall löste eine Debatte über Antisemitismus in Deutschland aus.

Jedoch kam die Staatsanwaltschaft Leipzig zu dem Schluss, dass der von Ofarim beschriebene Vorfall tatsächlich nicht stattgefunden hatte. Zahlreiche Zeugen wurden befragt, und Videoaufnahmen mehrerer Überwachungskameras wurden ausgewertet. Ein Experte für digitale Kriminalistik wurde zur Analyse der Videoaufzeichnungen hinzugezogen. Anscheinend war die Halskette mit dem Davidstern nicht sichtbar, d.h., der ursprüngliche Fakt in den Behauptungen des Sängers fehlte.

Nach einer gründlichen Untersuchung wurden Ofarim selbst Anklagen wegen Verleumdung und falscher Beschuldigung vorgebracht. Das Verfahren gegen den bezichtigten Hotelmanager (inzwischen entlassen) wurde eingestellt.

Der Prozess begann am 7. November vor dem Amtsgericht Leipzig. Laut Alexander Stevens, dem Anwalt, der die Interessen des Sängers vertrat, handelte es sich um einen klassischen Fall von "Aussage gegen Aussage". Stevens äußerte vorsichtig, dass es "nicht um den Davidstern, sondern um Diskriminierung" ginge, und betonte, dass Spott und Diskriminierung oft schwer zu beweisen seien.

Das Urteil in dem Fall sollte am 7. Dezember gefällt werden.

Gil Ofarim und die Wölfe. Überraschung vor Gericht

Aber der Musiker schien einen für ihn ungünstigen Ausgang vorherzusehen. Und überraschend gestand er vor Gericht, dass er erfunden hatte, dass er wegen einer Davidstern-Halskette nicht in das Leipziger Hotel einchecken und vertrieben worden sei. Er wandte sich an den Hotelmanager, den er fälschlicherweise beschuldigt hatte und der nun als Nebenkläger auftritt:

"Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen".

Laut Ofarim im Gericht hat er das Video gelöscht. Es wird die Leute nicht mehr beunruhigen.

Der Junge und die Wölfe

Es bleibt nur, die Hände zu heben. Und an die berühmte Fabel vom Jungen und den Wölfen zu erinnern.

Einmal weidete ein junger Hirtenjunge seine Schafe. In der Nähe arbeiteten Holzfäller im Wald. Aus Langeweile beschloss der Junge, einen Streich zu spielen und rief: "Wölfe! Wölfe! Hilfe!". Die Holzfäller eilten sofort zu seiner Hilfe, ließen ihre Arbeit liegen. Aber es gab keine Wölfe! Der Junge lachte, der Streich war gelungen.
Am nächsten Tag beschloss der Hirtenjunge, seinen Scherz zu wiederholen und rief wieder laut "Wölfe!" und bat um Hilfe. Die Holzfäller ließen erneut ihre Arbeit liegen und eilten zur Hilfe. Aber wieder gab es keine Wölfe. Die Holzfäller tadelten den Jungen und gingen. Und er war zufrieden.
Dann kamen tatsächlich Wölfe auf die Lichtung. Eine ganze Herde. Er musste um Hilfe rufen! Der Junge schrie: "Wölfe! Wölfe! Hilfe!". Aber die Holzfäller dachten, er täusche sie wieder und kamen dieses Mal nicht zur Hilfe. Die Wölfe rissen die Hälfte der Herde und auch der Hirtenjunge kam kaum mit dem Leben davon.

Gil Ofarim und die Wölfe

In der "Jüdischen Panorama" schrieb man bereits im Dezember 2021:

"Allmählich wechselte die Diskussion das Thema: Es ging nicht mehr um Antisemitismus in Deutschland, sondern um die Glaubwürdigkeit von Ofarims Aussagen. Wenn sich seine Anschuldigungen als falsch herausstellen, wäre das ein unfassbarer Bärendienst im Kampf gegen den Antisemitismus: In Zukunft müsste jedes Opfer von Judenfeindlichkeit noch härter für seine Glaubwürdigkeit in den Augen der Öffentlichkeit kämpfen. Viele Medien und Aktivisten genießen nun die Details der Widersprüche in den Aussagen, rechtfertigen sie als Ungerechtigkeit des 'Antisemitismus-Vorwurfs', der ständig im deutschen öffentlichen Diskurs präsent ist. Das ist ein altes Lied, das gleich nach dem Krieg begann: 'Wir wussten nichts, und überhaupt, es war alles nicht so, Juden lügen immer'.

Ofarim, natürlich, ist ein erstaunlicher Schelm. Zwei Jahre lang das Wasser trüben, um schließlich zu gestehen, dass er einfach gelogen hat.

In den sozialen Netzwerken wurde ihm bereits viel vorgeworfen. Sein streitlustiges Wesen, einige Intrigen und familiäre Zerwürfnisse...

Es ist kaum anzunehmen, dass das Leben einen über Vierzigjährigen noch ernsthaft etwas lehren kann. Doch Ofarim muss sich den Folgen seiner öffentlichen Eskapade stellen.

Das Verfahren in seinem Fall wurde vorübergehend eingestellt. Aber, wie Experten erinnern, muss er eine Menge bezahlen. Zunächst muss er innerhalb von sechs Monaten insgesamt 10.000 Euro an die israelische Religionsgemeinde in Leipzig und an den Förderverein des Wannsee-Konferenzhauses zahlen. Erst dann wird das Verfahren endgültig eingestellt. Darüber hinaus wird der ungerechterweise beschuldigte Hotelmitarbeiter eine Entschädigung für Schmerzen und Leiden erhalten. Noch ist unklar, welche Ansprüche das beschuldigte Hotel stellen kann und wer die Gerichtskosten tragen muss. Das bedeutet: Gil könnte zusätzliche Kosten tragen müssen.

Berichtet wird, dass Gil nur wenig Geld hat. Seine ehemalige Managerin sagte dies vor zwei Wochen vor Gericht aus. Sein ehemals gut laufendes Geschäft geriet ins Wanken, nachdem die Situation mit dem Exzess im Hotel klarer wurde. Potenzielle Kunden waren verunsichert und zogen es vor, "abzuwarten und zu sehen, wie es läuft". Ofarim erhielt nur eine kleine Rolle in der RTL-Serie "Passionen". Es ist unwahrscheinlich, dass die Aufträge für Fernsehen und Musik nach Ofarims entlarvter Lüge wieder ansteigen werden.

Heißt das alles, dass es in Deutschland keinen Antisemitismus gibt? Leider nicht. Es gibt genug Präzedenzfälle. Der Krieg in Israel hat gezeigt, wie scharf dieses Problem ist.

Und der halbanekdotische Fall von Ofarim ist ein Nebeneffekt des bestehenden Problems.

Ich möchte auch daran erinnern, dass wir in einer erstaunlich transparenten Welt leben. Vieles, das früher hätte verdeckt, getrübt oder geschwärzt werden können, kommt nun ans Licht. In diesem Kontext schuf der Amerikaner Brad Blanton vor nicht allzu langer Zeit die Bewegung der radikalen Ehrlichkeit, Radical Honesty.

Nach Blanton ist das Aussprechen der Wahrheit eine notwendige und natürliche Grundlage für psychische Gesundheit. Er unterscheidet drei Aspekte des Wahrheitssprechens: das Entlarven, das Offenlegen von Fakten und Handlungen (Lügen und Verschweigen); das Ausdrücken der eigenen Gefühle und Gedanken in Echtzeit und Ehrlichkeit gegenüber sich selbst (das Entlarven von Fantasien).

Einerseits ist nach Blanton der effektivste Weg, das eigene Leben zum Besseren zu verändern, immer die Wahrheit zu sagen, ohne Rücksicht auf die Umstände. Seiner Meinung nach hinterlässt die Lüge eine negative emotionale Spur. Jede Emotion und jedes Gefühl muss ausgesprochen werden – selbst wenn es um Ärger, Unzufriedenheit oder schlichte und klare Hass geht.

Andererseits schlägt Blanton vor, von einer Intention der Freundlichkeit auszugehen. In dem Moment des Gesprächs ist es wichtig, die Person mit Wärme und Anteilnahme zu unterstützen, damit sie versteht, dass du, der ihr eine schmerzhafte Sache sagst, sie mit all ihren Mängeln akzeptierst und trotzdem im Grunde liebst und bereit bist, ihr zu helfen, und auf jeden Fall nicht abstößt, sondern aufrichtig wünscht, dass sie das Problem schnell und sofort überwindet, damit ihr in Zukunft offener und enger werden könnt. Wärme und ein offenes Herz sind erforderlich.

Nach dem erfundenen Exzess wurde Ofarim psychologische Hilfe angeboten. Er hätte zum Seminar von Blanton geschickt werden sollen.

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