Mit Tränen in den Augen umarmte Novak Djokovic seine sechs Jahre alte Tochter Tara und huldigte der gestorbenen Basketball-Legende Kobe Bryant im T-Shirt mit der symbolträchtigen Nummer 24. Im emotionalen Ausnahmezustand feierte der erfolgreichste Tennisspieler der Geschichte seinen historischen 24. Grand-Slam-Titel – und peilte nur kurz nach dem Jubel über den vierten US-Open-Triumph schon wieder die nächsten Rekorde an.
«Gelegentlich frage ich mich: Warum brauche ich das alles noch, nach allem, was ich erreicht habe? Wie lange will ich noch weitermachen?», berichtete der 36 Jahre alte Serbe nach dem gewonnenen Finale von New York. «Aber solange ich immer noch auf diesem hohen Niveau spiele und die größten Turniere in diesem Sport gewinne, will ich diesen Sport nicht loswerden oder verlassen, wenn ich immer noch an der Spitze bin.»
Mit dem eindrucksvollen 6:3, 7:6 (7:5), 6:3 und der gelungenen Final-Revanche gegen den neun Jahre jüngeren Daniil Medwedew bewies Djokovic, warum er unerreicht in seinem Sport ist. Vor zwei Jahren hatte ihm der Russe im Arthur Ashe Stadium den ersehnten Gewinn aller vier Grand-Slam-Titel in einer Saison verwehrt. 2022 hatte er bei den US Open gefehlt, weil er wegen einer fehlenden Coronaimpfung nicht einreisen durfte. Nun krönte Djokovic sich zum ältesten US-Open-Sieger in der Profi-Ära und schloss nach Grand-Slam-Titeln zur Australierin Margaret Court auf, die bei den Damen die Bestmarke innehat.
Tochter gibt Kraft
«Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich einmal hier stehen würde und über 24 Slams spreche. Ich hätte nie gedacht, dass dies Realität werden könnte», sagte Djokovic in seinem Siegerinterview überwältigt. Kurz nach dem verwandelten Matchball nach hochintensiven 3:17 Stunden Spieldauer schloss er seine Tochter in die Arme. Im weißen Kleid hatte Tara die Partie direkt gegenüber der Spielerbank verfolgt – und ihrem Vater mit stetigem Blickkontakt Kraft gegeben.
«Jedes einzelne Mal, als ich es gebraucht habe, habe ich die unschuldige Energie eines Kindes von ihr bekommen», berichtete Djokovic. «Als ich stressige Momente hatte und einen kleinen Schubs und Stärke brauchte, hat sie mich angelächelt.» Taras Bruder Stefan verfolgte den Sieg an der Seite von Mutter Jelena schräg hinter dem Platz. «Als ich Vater wurde, war einer meiner Wünsche, dass ich einen Slam vor ihren Augen gewinne und sie realisieren, was passiert, dass sie so alt sind, um das zu verstehen», sagte Djokovic.
Dazu soll es nach seinem Wunsch noch viele Möglichkeiten geben. Sein Trainer Goran Ivanisevic rechnet sogar in fünf Jahren noch mit Djokovic. «Er plant, bei den Olympischen Spielen in Los Angeles zu spielen», sagte der Kroate und lachte dabei. «Wann ist das, 2028? Ihr wisst, was in seinem Kopf los ist. Es geht 24 Stunden darum, etwas zu erreichen.»
Wieder die Nummer eins
Djokovic löst nun den Spanier Carlos Alcaraz wieder als Nummer eins der Weltrangliste ab und geht in seine 390. Woche an der Spitze. «Er ist ein Genie, er ist einzigartig», beschrieb der frühere Wimbledonsieger Ivanisevic seinen Schützling und bewertete den 24. Grand-Slam-Titel: «Das ist eine der größten Errungenschaften in der Geschichte des Sports und wir reden hier nicht nur von Tennis. Er ist ein geborener Sieger.»
Dieses Selbstverständnis einte Djokovic mit der NBA-Ikone Bryant. Nach dem Triumph streifte sich der Serbe ein buntes Shirt mit einem gemeinsamen Foto, der 24 als früherer Rückennummer Bryants und dem Schriftzug «Mamba Forever» in Anlehnung an dessen Spitznamen über.
«Kobe war ein enger Freund», berichtete Djokovic über das Verhältnis. Der Tod von Bryant und dessen Tochter Gianna bei einem Hubschrauberabsturz 2020 habe ihn tief getroffen. «Wir haben viel über Siegermentalität gesprochen, als ich Verletzungsprobleme hatte. Er war einer der Menschen, auf die ich mich am meisten verlassen habe.» Bryants Ehefrau Vanessa gratulierte Djokovic via Instagram.
Djokovic überrascht
«Was machst du immer noch hier?», fragte der 27-jährige Medwedew in Anspielung auf Djokovic’ Alter bei seiner Gratulation auf dem Platz im Scherz. Mit sofortigen Angriffen ans Netz nach eigenem Aufschlag überraschte der Serbe seinen Gegner immer wieder und behielt auch bei den zahlreichen langen Ballwechseln häufig die Oberhand. Als Djokovic im zweiten Satz, der alleine 104 Minuten dauerte, körperlich angeschlagen wirkte, fand er wieder einmal den Extra-Gang, der ihn so gefürchtet und einzigartig macht.
Der Weltranglistendritte Medwedew muss damit auf seinen zweiten Triumph bei einem Grand-Slam-Turnier warten. 2021 hatte er Djokovic im US-Open-Finale noch glatt in drei Sätzen geschlagen. «Das ist unser drittes Grand-Slam-Finale, wahrscheinlich nicht unser letztes», sagte Medwedew. «Ich weiß nicht, wann du planst, langsamer zu werden. 24 – ich habe das Gefühl, dass ich keine schlechte Karriere habe und ich habe 20 Titel und du hast 24 Grand Slams.»