Angehörige deutscher Geiseln haben Bundeskanzler Olaf Scholz aufgefordert, sich für die Befreiung der Entführten aus dem Gazastreifen einzusetzen. Die Familien wollen heute Abend mit Scholz in Tel Aviv zusammenkommen. Anschließend sei eine Pressekonferenz mit Angehörigen von zwölf Vermissten mit deutscher Staatsangehörigkeit (19.30 Uhr MESZ) geplant, hieß es von Vertretern der Gruppe. Der Bundeskanzler wird heute zu einem Solidaritätsbesuch in Israel erwartet.
Terroristen im Auftrag der im Gazastreifen herrschenden islamistischen Palästinenserorganisation Hamas hatten vor rund zehn Tagen ein Massaker unter Zivilisten in Grenzorten und auf einem Musikfestival angerichtet. Es war das schlimmste Blutbad der israelischen Geschichte. Mehr als 1400 Menschen kamen dabei und in den folgenden Tagen ums Leben. Mindestens 199 weitere wurden laut Armee gewaltsam in den Gazastreifen verschleppt, darunter sind auch mehrere Deutsche.
Kein direkter Kontakt
Das Auswärtige Amt spricht von insgesamt acht Vermisstenfällen, wobei ein Fall auch mehrere Familienmitglieder einschließen könne. Die genaue Zahl nennt die Regierung nicht. Der Großteil soll neben der deutschen auch die israelische Staatsbürgerschaft haben. Kontakt habe die Regierung nach Angaben von Außenministerin Annalena Baerbock «keinen direkten» zu den im Gazastreifen Festgehaltenen.
Mehrere Angehörige haben sich bereits an die Öffentlichkeit gewandt und um Hilfe gebeten:
Zehn Mitglieder der Haran-Familie wurden offenbar bei dem blutigen Überfall der Hamas auf den Ort Beeri verschleppt. Darunter vier mit israelischer und deutscher Staatsangehörigkeit: Shoshan Haran (65) Adi Shoham (30), Naveh Shoham (8) und Yahel Gani Shoham (3). Ihr Zuhause wurden nach Angaben der Familie von Angreifern angezündet.
Neben der Familie Haran bangt auch Yoni Asher um seine Angehörigen. Seine Frau Doron (34), seine beiden Töchter Aviv (2) und Raz (4), seine Mutter Efrat (68) und deren Mann Gadi (79) wurden nach seinen Angaben auf einen Lieferwagen geladen und nach Gaza entführt. Alle seien deutsche Staatsbürger, seine Töchter Aviv und Raz hätten aber bisher noch keinen Pass ausgestellt bekommen. Unter den Vermissten sei zudem Margalit Berta Moses (77).
Hoffnung auf Hilfe aus Deutschland
Auch die 35-jährige Yarden Romann zählt offenbar zu den Verschleppten. Die Enkelin von aus Deutschland geflohenen Juden war mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter nach Angaben ihrer Familie von Hamas-Angreifern in Beeri in einen Wagen gezerrt und entführt worden. Den dreien gelang es zunächst zu fliehen, sie wurden jedoch auf der Flucht getrennt. Der Kontakt zu Romann brach komplett ab, ihr Mann und ihre Tochter versteckten sich im Gebüsch und überlebten. Sie hoffen nun auf Hilfe aus Deutschland.
Auch die Mutter der 22-jährigen Shani Louk forderte die Bundesregierung bereits zum Handeln auf. Louk war bei einem Musikfestival in der Negev-Wüste als Geisel genommen worden. Die letzten Bilder von ihr sollen sie leblos auf der Ladefläche eines Trucks umringt von Hamas-Terroristen zeigen. Die Familie, von der ein Teil in Baden-Württemberg lebt, geht davon aus, dass die junge Frau schwer verletzt, aber am Leben ist. Niemand könne der Familie bisher jedoch «hundertprozentig bestätigen», dass die Informationen über den Zustand ihre Tochter richtig seien, sagte ihre Mutter zuletzt.