Eine grüne Baumkrone und eine helle Hausecke – ziemlich unspektakulär kommt das kleine, über 170 Jahre alte Bild des Malers Oswald Achenbach daher. Florian Illies aber gerät in Begeisterung. «Das ist quasi die Erfüllung der Ölstudie – das Beiläufigste, was es gibt», schwärmt der Kunsthistoriker, den viele auch als Bestseller-Autor («Liebe in Zeiten des Hasses», «1913 – Der Sommer des Jahrhunderts») kennen. Dabei erkennt man auf dem Bild des Landschaftsmalers weder das Haus so richtig noch den Himmel. Das Schattenspiel des Baumes an der sonnenbeschienenen Hauswand allerdings ist faszinierend.
Dieser «Eindruck des absolut Beiläufigen und Unscheinbaren» sei etwas, «was wir in der Fotografie vielleicht bei Wolfgang Tillmans wiederfinden, der auch das Beiläufige zum Kunstwerk erhebt», so Illies (51). Dass der lässige Tillmans, der die größten Kunstmuseen der Welt bespielt und mit Fotografien der Berliner Subkultur berühmt wurde, einmal mit einem Maler der manchen als altbacken geltenden Düsseldorfer Malerschule des 19. Jahrhunderts verglichen wird, ist wohl kunsthistorisches Neuland.
Eine Art Freiluft-Schnappschuss
Ölstudien – das waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schnell auf kleinformatige Pappen oder Papier gemalte Naturereignisse. Künstler wie Johann Wilhelm Schirmer, Jean-Baptiste Camille Corot, Carl Blechen oder Arnold Böcklin malten sie als eine Art Freiluft-Schnappschüsse in Öl. Heute zückt man das Smartphone, um den tollen Sonnenuntergang, den dramatischen Wolkenhimmel, den Wolkenbruch, Wellen am Meer oder Lichtspiele im Wald einzufangen. Vor 200 Jahren waren es die in wenigen Stunden gepinselten Ölskizzen. Zu Tausenden hingen sie ungerahmt in Ateliers und dienten als Vorlage und Ideenschatz für die später nach strengen künstlerischen Prinzipien gemalten Auftragsbilder.
Im Gegensatz zu diesen großen Werken waren die Ölstudien aber spontan, frisch, bunt, fast abstrakt. Erstmals bekommt diese Gattung nun in Deutschland in Düsseldorf eine große Bühne. Im Kunstpalast sind von Mittwoch bis zum 7. Mai rund 170 dieser Kleinformate von 75 Künstlern zu sehen. Kuratiert haben die Ausstellung «Mehr Licht. Die Befreiung der Natur» Illies und Anna Christina Schütz.
Mit kleinen Reisemalkästen zogen die Künstler in die Natur. Auch vermeintliche Nebensächlichkeiten wie schlechtes Wetter in all seinen Grau-Schattierungen wurde für sie zur künstlerischen Kategorie. Gedacht waren die Ölstudien nur für den privaten Gebrauch, und sie waren fast nie signiert. Gekauft hätte sie im 19. Jahrhundert sowieso niemand.
Erst später zum Kunstwerk gemacht
Das ist heutzutage ganz anders. Im Kunstpalast werden die Ölstudien allein schon durch die Rahmen geadelt. «An den Rahmen zeigt sich die Verschiebung», sagt Illies. «Für die Künstler waren das keine Kunstwerke, das war für sie Arbeitsmaterial, Ideenreservoir, Motivschatz, Tagebuch. Erst wir mit unseren späteren Sehgewohnheiten machen sie zu Kunstwerken.»
Parallel zur Wertschätzung im 21. Jahrhundert steigt auch der materielle Wert. Während die Auftragsbilder der Landschaftsmaler der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts oft keine 10.000 Euro mehr einbringen, werden die kleinen Ölstudien für 20.000 bis 30.000 Euro gehandelt.
«Das ist wie ein Schnappschuss», sagt Kunstpalast-Direktor Felix Krämer. «Die Künstler haben an der Stelle eben nicht an den Markt gedacht.» Und bis vor etwa 20 Jahren habe sich auch kaum jemand für die Ölstudien interessiert. «Das waren unfertige Bilder.» Heute aber seien die Studien «unserer Bildsprache viel näher», sagt Krämer.
Überraschend modern
Verblüffend nah sind manche Skizzen der modernen abstrakten Kunst. Böcklins «Teich mit Seerosen» könnte wahrscheinlich in einer Ausstellung zur Farbfeldmalerei bestehen. Der poppig pinkfarbene Sonnenaufgang, den der Maler Salvatore Fergola «Polarlichteffekte» betitelte, würde in einer zeitgenössischen Kunstausstellung kaum auffallen. Vor 175 Jahren hätte das Bild niemand genommen.
Illies beschäftigt sich seit 30 Jahren mit Ölstudien. Sie begleiten ihn seit seinem Studium. Er hat auch dafür gesorgt, dass sie in der Kunstwelt in Deutschland bekannter werden. Die Zuordnung der oft unsignierten Skizzen ist eine Herausforderung. Wie etwa bei dem anonymen Küchenbild mit dem Text «Die Küche meiner Haushälterin in Rom». 30 bis 50 Künstler könnten als Urheber in Frage kommen. Aber das ist eigentlich nebensächlich. Illies sind die Details wichtiger. Er gerät wieder ins Schwärmen: «Brillante Malerei, wie das Licht da auf dem Topf sitzt.»