Fünf Sekunden Ruhm mit bitteren Folgen
Diese Bilder gingen um die Welt: Eine Frau springt mitten in einer Livesendung im russischen Staatsfernsehen vor die Kamera und hält ein Anti-Kriegsplakat hoch. „Beendet den Krieg! Ihr werdet hier alle belogen!“, ruft sie, während sie versucht, die optimale Position zu finden, damit die Worte auf ihrem Plakat sichtbar sind. Fünf Sekunden nach ihrem Erscheinen wird sie durch ein eingespieltes Video unterbrochen.
Marina Owsjannikowa wurde nach ihrer Aktion festgenommen. Ihr wurde aufgrund der neuen Gesetzeslage die „öffentliche Handlung zur Diskreditierung des Einsatzes der Streitkräfte der Russischen Föderation“ vorgeworfen. Marina Owsjannikowa wurde verhört und wie sie später in einem Interview erzählte, wollten die Beamten ihr nicht glauben, dass sie die Entscheidung gegen den Krieg zu protestieren, eigenständig und „ohne die Unterstützung des Westens“ getroffen habe.
Zunächst ist Marina Owsjannikowa mit einer Geldstrafe von umgerechnet 250 Euro davon gekommen. Viele machte dieses milde Urteil bereits misstrauisch. Denn gegen die angeblichen „Fakes“ geht man in Russland mittlerweile sehr hart vor. Es werden hohe Geldstrafen verhängt, bei „Verstößen besonderer Schwere“ droht sogar Haft. In mehreren Interviews beteuerte Marina Owsjannikowa immer wieder, dass ihr Protest das Leben von ihrer Familie zerstört habe. Dennoch weigert sie sich, Russland zu verlassen. Sollte es zu einer weiteren Verhandlung kommen, drohen Marina Owsjannikowa bis zu 15 Jahre Haft.
Neue Stelle bei der „Welt“
Am 14. April verkündete der Medienkonzern Axel Springer in Berlin überraschend, dass Marina Owsjannikowa fortan als freie Korrespondentin für die „Welt“ arbeiten würde. Zu ihren Aufgaben sollen Berichterstattungen aus der Ukraine und aus Russland gehören, aber auch Zuschaltungen im Fernsehen. Am selben Tag wurde auf der Homepage der „Welt“ bereits der erste Beitrag von Marina Owsjannikowa veröffentlicht. Der Sprecher der Axel Springer Mediengruppe erklärte, dass die Sicherheitssituation von Marina Owsjannikowa durch ihre Anbindung an ein deutsches Medien dadurch verbessere, da sie nun mehr Sichtbarkeit bekommt.
Heftige Kritik
Gleich nach der Verkündung über die Anstellung von Marina Owsjannikowa hagelte es von allen Seiten heftige Kritik. In sozialen Medien empörten sich die Menschen darüber, dass man bei Marina Owsjannikowa wegen fünf Sekunden Protest jedoch ihre jahrelange Tätigkeit beim Perwyj Kanal im Staatsfernsehen ausgeblendet und vergessen habe. Außerdem gebe es unzählige Journalisten in Russland, die schon immer unabhängig berichten und sich jahrelang einer Gefahr ausgesetzt haben, sie hätten es mehr verdient, einen Job angeboten zu bekommen. Darüber hinaus haben unzählige ukrainische Journalisten durch den Krieg ihre Jobs verloren oder riskieren gerade ihr Leben, weil sie die Wahrheit erzählen wollen. Da fällt es schwer, Verständnis für die Einstellung einer Person, die fast 20 Jahre lang für das russische Staatsfernsehen gearbeitet hat, aufzubringen.
Entsprechend empört reagierte auch die ukrainische Community, die am Donnerstag vor dem Gebäude des Axel Springer-Verlags in Berlin gegen die Einstellung von Owsjannikowa protestierte. „Es gibt keine Ex-Propagandisten“, hieß es seitens der empörten Demonstranten. Trotz der mutigen Aktion im russischen Staatsfernsehen, kaufen wohl nicht alle Marina Owsjannikowa ihre Reue und gute Absichten ab. Manche vermuten sogar, dass diese Aktion fabriziert wurde, um so Anschluss an westliche Medien zu finden und diese dann zu diskreditieren. Man wolle nun genau hinschauen, welche Texte Marina Owsjannikowa bei der „Welt“ veröffentlicht wird, verkündeten einige aufgebrachte Stimmen.