„Die Alternative sind menschliche Experimente“
Tierversuche sind umstritten. Tierleid steht im krassen Gegensatz zu wissenschaftlichen Erkenntnissen: Alle Medikamente basieren auf Tierversuchen. Obwohl es Alternativen gibt, werden diese Tierversuche kurzfristig nicht ersetzen.
Tierversuche sind so alt wie unsere westliche Medizin. Experimente wurden bereits im antiken Griechenland durchgeführt. Fast alle heute verfügbaren Medikamente wurden durch Tierversuche entwickelt. Durch sie wurden Antibiotika, Insulin und Impfstoffe sowie Therapien und chirurgische Eingriffe entwickelt.
Beispielsweise gäbe es den heutigen COVID-19-Impfstoff ohne Tierversuche nicht: „Die Entwicklung dieses Impfstoffs und die Tatsache, dass er so schnell auf den Markt kam, basierten auf vor vielen Jahren durchgeführten Tierversuchen, die auf grundlegenden wissenschaftlichen Fragen des Tierschutzes basierten. Freie Universität Berlin, sagte Christa Thöne-Reineke, Professorin für Tierverhalten und Versuchstierwissenschaften, im ntv-Podcast „Gelernt. Es ist wieder etwas passiert“.
In Deutschland werden Tierversuche überwiegend in der Grundlagenforschung durchgeführt, nach aktuellen Daten des Deutschen Zentrums für Versuchstierschutz (Bf3R) liegt dieser Anteil bei 56 %. Ziel der Grundlagenforschung sei es, erklärt Thöne-Reineke, „Organismen und die Entstehung bestimmter Krankheiten besser zu verstehen, um gute Methoden für neue Behandlungen zu entwickeln.“
Tierversuche für Kosmetika sind verboten
Tierversuche werden auch zur Erforschung von Krankheiten wie Krebs eingesetzt. Tiere werden auch verwendet, um die Toxizität von Chemikalien zu testen. Dazu gehören tiergenetische Experimente wie das Klonen ebenso wie die Veterinärmedizin.
Auch Tierversuche sind ein wichtiger Bestandteil der tiermedizinischen Ausbildung: Studierende üben Untersuchungen und Abläufe an lebenden Tieren. Darüber hinaus machte der Professor deutlich, dass die Veterinärmedizin an der Freien Universität Berlin auch durch Videomaterial, Fallstudien und künstliche Plastikmodelle praktiziert wird.
Andernorts verbietet die Europäische Union Tierversuche. Beispielsweise bei der Entwicklung von Kosmetik- und Hygieneprodukten oder der Rüstungsforschung. Doch es gibt Lücken: Das Tierversuchsverbot für Kosmetika, Shampoos & Co. gilt nur für Inhaltsstoffe, die speziell für Kosmetika entwickelt wurden. Für andere Zwecke entwickelte Stoffe fallen unter das Chemikaliengesetz und können an Tieren getestet werden.
Medikamente werden immer an Tieren getestet
Wer ein neues Medikament entwickelt, kommt an Tierversuchen nicht vorbei, sie sind gesetzlich vorgeschrieben. Nebenwirkungen werden untersucht und ob das Präparat wirksam ist. Kein Medikament wird jemals an Tieren getestet. „Da jeder medizinische Fortschritt in Physiologie und Medizin und fast alle Nobelpreise auf Tierversuchen basieren, ist es auf absehbare Zeit unmöglich, vollständig darauf zu verzichten“, sagte Thöne-Reineke im Podcast.
Wer in Deutschland Tierversuche durchführen möchte, muss dies bei den zuständigen Behörden der Bundesländer beantragen und eine Genehmigung einholen. Wissenschaftler müssen dann Fragen wie wissenschaftliche Notwendigkeit und ethische Vertretbarkeit erläutern. „Wenn es Alternativen gegeben hätte, hätte dieser Versuch überhaupt nicht durchgeführt werden dürfen“, sagte der Tierversuchsexperte.
Nach NDR-Recherchen kam es in den vergangenen zwei Jahren auch in neun von 16 Bundesländern vereinzelt zu illegalen Tierversuchen in Laboren. Die meisten liegen in Niedersachsen. Illegal bedeutet in diesem Zusammenhang, dass bestimmte Experimente ohne Genehmigung durchgeführt wurden. Und ihre Praktiken weichen oft von den genehmigten ab. Beispielsweise werden Tiere in zu kleinen Käfigen gehalten oder es werden mehr Tiere getötet als erlaubt.
Nagetiere und Fische an der Spitze
Die Zahl der Versuchstiere ist in den letzten Jahren zurückgegangen: Laut Bf3R wurden im Jahr 2021 1,8 Millionen Tiere in Versuchen eingesetzt. Das ist weniger als in den Vorjahren. 80 % davon sind Nagetiere, hauptsächlich Ratten, aber auch Fische machen etwas mehr als 12 % aus. Sogar Hunde werden gelegentlich für Experimente eingesetzt. Etwa 644.000 Tiere wurden geschlachtet, um ihre Organe und Gewebe zu untersuchen, ein Anstieg von 2 % gegenüber 2020.
Kritiker von Tierversuchen haben immer wieder argumentiert, dass die Ergebnisse nur schwer auf den Menschen übertragbar seien. Die Tierrechtsgruppe Peta geht beispielsweise davon aus, dass 95 % der neuen Medikamente, die sich in Tierversuchen als wirksam und sicher erwiesen haben, nie auf den Markt kommen. Für sie beweist dies, dass Tierversuche aus wissenschaftlichen Gründen keinen Sinn ergeben. Andererseits schreibt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), dass 70 % der unbeabsichtigten Nebenwirkungen von Medikamenten in Tiermodellen gefunden werden können. „Diese werden beim Menschen noch nicht einmal klinisch eingesetzt“, erklärt Thöne-Reineke. Offensichtlich ist eine kleine Maus einem 75 kg schweren Menschen nicht gewachsen. „Aber die genetische Übereinstimmung war sehr gut, über 95 Prozent.“
Reduzieren Sie Tierversuche für
Die DFG beschreibt dies als Dilemma: Der Erwerb menschlichen Wissens sei mit einer Belastung für Tiere verbunden. Auch Thöne-Reineke sah im Podcast „Learning Again“ keinen Ausweg: „Wenn wir jetzt sagen, dass wir darauf verzichten, aber trotzdem das gleiche Maß an Sicherheit wollen, dann heißt das, dass wir es nicht mehr machen.“ Wir geben Tierversuche jetzt vollständig auf und werden am Ende Menschenversuche durchführen. "
Tierversuche werden in Europa seit den 1980er Jahren durch EU-Richtlinien geregelt. Darin hieß es, die Mitgliedsstaaten wollten auf Tierversuche verzichten. Es gelten die drei Prinzipien Substitution, Reduktion und Verfeinerung: Substitution von Tierversuchen und Einsatz von Methoden, die das Leiden der Tiere verringern oder weniger Tiere erfordern. Die EU-Mitgliedsstaaten müssen daher Alternativen fördern.
Diese gibt es bereits: Wissenschaftler arbeiten daran mit kultivierten Zellen, künstlicher menschlicher Haut oder Computersimulationen. Forscher können auch einzelne Organe, etwa eine Niere oder Leber, im Miniaturformat nachbilden – der Fachbegriff lautet Organoide. Forschungsteams aus Südkorea und Großbritannien untersuchten mithilfe von Minilungen aus menschlichem Lungengewebe, wie das Coronavirus die Lunge infiziert.
"Sie brauchen eine Reihe von Alternativen"
Der Professor der University of Virginia weiß, dass es keine besondere Alternative zu Ganztierversuchen gibt. „Man braucht immer eine ganze Reihe verschiedener Alternativen, weil diese Modelle nur einen Teil des Bildes abdecken.“ Seit einigen Jahren wird viel in die Weiterentwicklung alternativer Ansätze investiert, bisher vor allem in der Toxikologie, mittlerweile aber auch in der Grundlagenforschung Aspekt. Es kann Jahrzehnte dauern, bis sich diese Alternativen zu Tierversuchen etablieren. Thöne-Reineke kritisierte außerdem die langwierigen Genehmigungsverfahren für diese Methoden.
Wenn Wissenschaftler eines Tages die Interaktionen zwischen mehreren Organen im Blut und dem Immunsystem genau wie echte Organismen nachbilden können, könnte dies Tierversuche ersetzen. Deshalb werden Versuchstiere noch lange ein wichtiger Teil der Wissenschaft bleiben.
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Quelle: www.ntv.de