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Dem Boxkampf fehlen Perspektiven

Bremerhaven
Aytac Alsancak (r.), und Oguzhan Demir, beide Boxtrainer im sogenannten Hood Training, auf dem Quartiersplatz Leher Pausenhof im Stadtteil Lehe.

Sonntagnachmittag, „Leher Campus“ am Goetheplatz in Bremerhaven: Aytac Alsancak hat die Matte zwischen zwei Schiffscontainern ausgelegt – der Open-Air-Boxring ist fertig. 17 Kinder im Alter von 4 bis 13 Jahren warten sehnsüchtig auf den Beginn des Boxtrainings. Alsanjak, 21, nimmt seit einem Jahr freiwillig Boxunterricht im Hotspot, mittwochs in der Moschee und sonntags auf dem „Leher Spielplatz“. Dies tat er im Rahmen des „Hood Training“-Programms.

„Hier ist immer Leben“, sagte Daniel Mager, Gründer von Hood Training, mit Blick auf die Spielgeräte auf dem Platz, eine riesige Freifläche und darauf spielende Kinder. Der 40-Jährige hofft, Kindern durch die Durchführung kostenloser Boxeinheiten in Krisengebieten eine solide Struktur und Perspektive zu vermitteln. „Im Boxtraining lernt man Respekt, Pünktlichkeit, Hilfsbereitschaft und Sauberkeit“, sagte Mager. Für junge Menschen in Krisengebieten ist dies größtenteils keine Selbstverständlichkeit, sie gehören tendenziell zu den „Bildungsverlierern“. „Es ist wichtig, dass sie etwas tun, um sich zu beweisen.“

Der Pädagoge hat vor 13 Jahren in Bremen das „Hood Training“ ins Leben gerufen – das heißt Training in der eigenen Community. Mittlerweile hat sich die Initiative zu einem angesehenen Sozialunternehmen entwickelt, das durch Spenden und Sponsoring finanziert wird. Sie ist in sozial benachteiligten Gebieten aktiv, insbesondere in Bremen, aber auch in Berlin, Hamburg und München.

Magel kam im Alter von zwölf Jahren aus Kasachstan

Magel versteht die Erfahrungen von Nachbarn, die in benachteiligten Gruppen der Gesellschaft leben. Im Alter von zwölf Jahren kam er mit seiner Familie aus Kasachstan nach Deutschland. Ein Jahr später bezog die Familie eines der vielen Hochhäuser in Bremen-Tenever. Er hängt oft mit „nicht ganz so lockeren Leuten“ zusammen. Alkohol, Drogen und Kriminalität standen auf der Tagesordnung. „Ich habe eine Menge Scheiße gemacht, bevor ich meinen High-School-Abschluss gemacht habe.“

Aber nicht nur das: Während er noch zur Schule ging, stellten er und seine Freunde Boxtrainingsplätze für Kinder in Hochhäusern zur Verfügung. Eine Wohnungsbaugesellschaft bietet leerstehende Zimmer kostenlos an. Nach der Highschool gingen die Freunde getrennte Wege und das Sportprogramm wurde eingestellt. Nachdem er Sonderpädagogik studiert und Lehrer geworden war, setzte Magel seine Karriere fort, gründete Hood Training und baute es zunächst in der Tenever Arena auf.

„Complete School“

Aufgrund des Erfolgs folgten weitere in anderen Teilen der Stadt sowie in der Justizvollzugsanstalt, in der er viele Jahre als Sozialarbeiter tätig war . Neben Boxen und Krafttraining bietet Hood Training jetzt auch Musikwettbewerbe, Schulgruppen, Videoprojekte, Hip-Hop-Workshops und Graffiti-Lernferien an. Das Netzwerk, das Magel zu diesem Zweck aufgebaut hat, besteht aus Trainern, Pädagogen, Grafikern und Künstlern. Unterwegs trafen die Kinder Vorbilder, die sie ermutigten und sagten: „Schafft es“, sagte Mager.

Diesen Sonntag steht in Bremerhaven alles im Zeichen des Boxens. Trainer Alsanjak ist damit beschäftigt, die lebhaften 17 Kinder zu zähmen und ein geordnetes Training durchzuführen. „Der Vorschlag findet großen Anklang“, sagt Chris Carstens von der „Quartiersmeisterei Lehe“, der Agentur, die für die Koordination des Vorschlags für den „Leher Schulhof“ der Stadt zuständig ist.

Trainer als Vorbilder

Alsancak ist jeden Sonntag dort und trainiert die Kinder. Selbst kleine Kinder haben keine Eltern. „So etwas habe ich nicht“, sagte er. Mit einem Vorbild wie ihm für Kinder hätte sein Leben anders laufen können. Er begann schon früh mit dem Boxen und nahm sogar an Boxmeisterschaften teil. Doch als er 15 Jahre alt war, fing er an, „Streiche zu spielen“. „Ich habe mich verirrt und die falschen Freunde gefunden.“ Als er 18 war, stieß ihm jemand ein Messer in die Brust und stach ihm mitten ins Herz. Er sagte, seine Religion und sein Boxen hätten ihm die Kraft gegeben, sein Leben zu verändern. Freiwilliger Boxunterricht für Kinder wurde zu seinem „Hobby“. „Kinder sind die Zukunft“, sagte Alsancak, der seinen Lebensunterhalt als Tagelöhner verdient.

Eine Person, die regelmäßig an Schulungen teilnimmt, ist der 16-jährige Philip. Das Boxtraining mache ihm nicht nur Spaß, es helfe ihm auch im Alltag, sagt er: „Ich kann meine Emotionen besser kontrollieren.“ Mit 18 will er Kinder wie Alsancak trainieren.

Magel war von Alsancaks Engagement beeindruckt. „Er ist ein zuverlässiger, pünktlicher und beständiger Typ. Das ist das Wichtigste“, sagte er. Nächstes Jahr wird Alsanjak eine Ausbildung zum Sozialassistenten bei Hood Training beginnen. „Wir haben viel mit ihm vor“, sagte Mager. Am Sonntag wird er das Training mit Kindern und Jugendlichen auf dem „Leher Playground“ fortsetzen. Demnächst werden echte Ringseile rund um den Freiluftring angebracht.

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