„Das neue Arbeitsamt ist totaler Schwachsinn“
Eine schöne neue Arbeitswelt? Viele Unternehmen setzen auf „neue Arbeitsplätze“. Viele Menschen verstehen den Sinn dahinter einfach nicht, kritisiert der Schriftsteller Carlos Frischmuth, der in einem Interview erklärte, warum „Nudismus“ das Richtige sei.
Die gesamte Geschäftswelt spricht von neuen Arbeitsplätzen. In Ihrem Buch nennen Sie das Unsinn. Was genau stört dich?
Carlos Frischmuth: Ich möchte mit meinem Buch vor allem eine Warnung an Unternehmen und Führungskräfte senden. Grundsätzlich ist New Work sicher kein Blödsinn, sondern einfach so, wie es viele Unternehmen machen. Mittlerweile ist der Begriff so vage, dass jeder ihn anders interpretiert und Unternehmen Maßnahmen als „New Work“ bezeichnen, diese aber nicht die erwarteten Ergebnisse bringen.
Sie betonen in Ihrem Buch, dass „New Work“ seine Eigenheiten hat. Entstanden in den 1970er Jahren. Das klingt eigentlich nicht mehr so neu.
Der Begriff wurde in den 1970er und 1980er Jahren vom Philosophieprofessor Frithjof Bergmann geprägt. Natürlich hat sich unsere Arbeit im Laufe der Jahre verändert. Doch in den 2020er-Jahren nahm der Bullshit-Faktor in Deutschland richtig Fahrt auf. Da viele Menschen während der Corona-Pandemie begonnen haben, von zu Hause aus zu arbeiten, ist dies plötzlich der neue Job geworden. Gebräuchliche Begriffe wurden auf persönliche Faktoren reduziert.
Aber ist es so schlimm?
Wenn ich als Arbeitgeber den Begriff „neuer Job“ auf „flexibles“ Arbeiten oder ein besseres Büro reduziere, ziehe ich daraus die falschen Schlussfolgerungen. Flexibles Arbeiten ist kein Allheilmittel für ein manchmal marodes Arbeitsumfeld. Ganz zu schweigen davon, dass es immer noch viele Jobs gibt, die nicht einmal von zu Hause aus erledigt werden können.
Kickertische und flache Hierarchien im Büro sind toll.
Das ist immer mit neuen Arbeiten verbunden, bei denen ich möglicherweise an meine Grenzen stoße. Mittlerweile sagen manche, sie hätten die Fesseln des Tischfußballs längst überwunden und hätten bereits Tischtennistische. was bedeutet das? Sind wir im Büro oder bei „Schöner Wohnen“? Ein Büro kann in puncto emotionalem Wohlbefinden niemals mit dem eigenen Zuhause mithalten. Versuchen Sie es also gar nicht erst. Welchen Nutzen hätte eine solche Maßnahme für einen Busfahrer oder Polizisten? Das New Work Office ist absoluter Unsinn im Sinne einer echten und besseren Arbeitswelt, bestenfalls Lametta. Das ist nicht die Veränderung, die unsere Arbeitswelt wirklich braucht.
Was bedeutet Ihr neuer Job für Sie?
Der erste Schritt besteht darin, zu fragen, warum Menschen arbeiten. Wenn die Bedürfnisse klar sind, können neue und angemessene Arbeitsformen entwickelt werden. Es gibt drei Schlüsselfaktoren: Führung, Kommunikation und Kultur. Beispielsweise können flache Hierarchien und agile Arbeitsweisen sinnvoll sein, müssen es aber nicht. Denn es muss zur Unternehmenskultur passen. Agil zu arbeiten bedeutet übrigens nicht, dass jeder tun und lassen kann, was er will. Agiles Arbeiten funktioniert nur, wenn vorher klare Regeln aufgestellt werden. Ein weiteres Beispiel: Das Motto „Wir sind alle eine große Familie“ gilt nur für Unternehmen ab einer bestimmten Größe, etwa 250 oder weniger Mitarbeitern. In größeren Unternehmen mit mehr Mitarbeitern kann dies auch zu einem künstlichen Misteffekt werden.
Ist es möglich, eine neue Arbeitsphilosophie für alle Mitarbeiter des Unternehmens zu entwickeln? Der Alltag eines Lkw-Fahrers dürfte sich in den letzten Jahren kaum verändert haben.
Natürlich ist das möglich. Dies könnte beispielsweise eine App sein, mit der Fahrer ihre Schichten planen können. Genau so läuft es in der Produktion eines Industrieunternehmens ab. Sollten Sie abwesend sein oder spontan nicht teilnehmen können, können Sie dies über die digitale Schichtplanung direkt mit Ihren Kollegen klären. Dabei ist die Digitalisierung ein wichtiger Hebel für wirklich neue Arbeitsplätze. Auch die Mitarbeiter werden mit ihrer Arbeit zufriedener.
Das klingt alles viel komplizierter als Tischfußball. Wie wäre es mit dem Thema Geld?
Eine Story kursiert gerade. In den letzten Jahren waren alle Unternehmen auf der Suche nach ihrem eigenen Sinn und Zweck. Sie glauben, dass man im Sinne von New Work den Mitarbeitern dieses bieten muss, es stimmen muss und das Gehalt weniger wichtig ist. Das ist wieder Blödsinn. Vereinfacht gesagt: Das Geld muss vorhanden sein! Viele Studien zeigen dies, insbesondere für jüngere Generationen. Sobald die inhaltlichen Fragen geklärt sind, beginnen die Menschen, über das Unternehmen nachzudenken, für das sie arbeiten. Erst dann wird es wichtiger, wie ein Unternehmen sich definiert und kommuniziert.
Was meinst du?
Nehmen wir das Beispiel eines Bauunternehmens, das sich dem „Aufbau einer besseren Welt“ verschrieben hat. Glauben Sie, dass das etwas mit der Asphaltverlegung der Bauarbeiter zu tun hat? Dann sagen Sie einfach: „Wir sind gut im Straßenbau.“ Dies wäre ein ehrlicherer Zweck des Unternehmens. Für viele Unternehmen ist es einfach unmöglich, intelligente Ziele festzulegen. Dann sollten sie es in Ruhe lassen. Andernfalls wecken sie Erwartungen, die nicht erfüllt werden können. Das ist kontraproduktiv.
Viele Unternehmen sind händeringend auf der Suche nach Mitarbeitern und möchten deshalb ein attraktiver Arbeitgeber sein. Was würden Sie einem mittelständischen Unternehmen sagen, das etwas mit New Work machen möchte?
Veränderungen im Unternehmen müssen zuerst beim Chef beginnen. Ich kann zum Beispiel nicht über das Öffnen der Bürotüren predigen, ohne es zu üben. Ein Kulturwandel kann helfen, aber er muss zum Unternehmen passen – und das ist sicherlich nicht der Schlüssel. Ihre eigenen Mitarbeiter und Führungskräfte müssen an die neue Arbeitsweise glauben. Anschließend werben sie automatisch um neue potenzielle Mitarbeiter. Der oben genannte Ausgangspunkt für Führung, Kultur und Kommunikation kann treffend als Naturalismus abgekürzt werden. Wer sich nicht darum kümmert, wird im Stich gelassen.
Carlos Frischmuth ist Geschäftsführer von Hays, einem internationalen Personaldienstleistungskonzern, der die Bereiche öffentliche Dienstleistungen, Recht und Recht abdeckt. und Gesundheitsfürsorge.Er ist außerdem Vorstandsvorsitzender der Commonwealth Independent Knowledge Work Association. Im Jahr 2021 veröffentlichte er das Buch The New Work Bullshit: What Really Matters in the World of Work.
Jan Schulte spricht mit Carlos Frischmuth
Dieses Interview erschien zuerst auf Capital.de
Quelle: www.ntv.de