Das Attentat auf Kaiserin Sisi vor 125 Jahren
In den Tagen vor dem tragischen Ereignis unternahm die Kaiserin Sisi, die die Höhen über dem Genfersee genoss, ihre berühmten Marathonwanderungen. Anschließend gönnte sie sich einen Besuch bei ihrem engen Vertrauten, dem Bankier Rothschild, und erwarb während ihres Aufenthalts in Genf einen Musikautomaten.
Dann entfaltete sich die unerwartete Katastrophe. Der Anarchist Luigi Lucheni startete einen Angriff auf die 60-jährige Kaiserin am Ufer des Sees und stieß ihr eine Feile in die Brust. Nur eine Stunde später, am 10. September, wurde die Welt durch die Erklärung des Todes von Kaiserin Elisabeth von Österreich vor 125 Jahren schockiert.
Der Schweizer Autor und Historiker Michael van Orsouw erklärte: “Es gab sogar Diskussionen im innersten Kreis des Kaisers über eine mögliche militärische Vergeltung gegen die Schweiz, aber Franz Joseph lehnte die Idee ab.”
Sisi fand ein gewaltsames Ende in einem Land, das sie liebte. Laut Orsouw suchte die Kaiserin neunmal Zuflucht in der Schweiz, manchmal für längere Zeiträume von Wochen oder sogar Monaten. Die naturbewusste Gesundheitsenthusiastin fand oft die gewünschte Ruhe und Trost in der Schweizer Eidgenossenschaft.
Sisis Leben war von tiefgreifenden Tragödien geprägt, darunter der frühe Verlust ihrer ersten Tochter und der Suizid ihres Sohnes Rudolf. Orsouw erwähnte, dass sie aufgrund der Schuld, die sie am Tod ihrer Tochter Sophie im Alter von nur zwei Jahren empfand, im Jahr 1859 die Nonnen eines Schweizer Klosters überzeugte, sie in ihre “Ewige Anbetung” aufzunehmen. Dies markierte den Beginn zahlreicher weiterer Reisen der welterfahrenen Monarchin.
Kaiserin Sisi war sich der Gefahr bewusst
Orsouw betonte, dass sie sich der Gefahr sehr wohl bewusst war, als sie eines der gefährlichsten Länder Europas für Prominente wählte. Insbesondere die Region um den Genfersee war für ihre starke anarchistische Präsenz bekannt.
“Dennoch”, fügte der Autor hinzu, “lehnte sie stets Angebote für Polizeischutz ab.” Ein Teil dieser Entscheidung resultierte aus Sisis Vorliebe für inkognito-Reisen, wobei sie Pseudonyme wie “Gräfin von Hohenembs” oder “Madame de Tolna” annahm. Obwohl praktisch jeder ihre wahre Identität kannte und Zeitungen häufig über ihre Eskapaden berichteten, erübrigte der Schleier die Notwendigkeit offizieller Protokolle.
Orsouw, der kürzlich ein Buch über Sisis Aufenthalte in der Schweiz veröffentlichte, bemerkte, dass dieser heimliche Ansatz nicht nur für Sisi, sondern auch für örtliche Bürgermeister eine Erleichterung darstellte, die formellen Empfänge umgehen konnten.
Selbst Luigi Lucheni, so Orsouw, erfuhr aus der Zeitung, dass sich die Kaiserin in Genf aufhielt. Ursprünglich hatte der Italiener vorgehabt, Prinz d’Orleans zu ermorden, um als “Anarchist der Tat” und nicht nur in Worten in die Geschichte einzugehen. Der Prinz war jedoch bereits abgereist, und Sisi wurde als das bekanntere Opfer. Es wird gesagt, dass die Kaiserin einige ihrer Wahrnehmungen als Vorboten ihres bevorstehenden Schicksals interpretierte.
“Das Flirten mit dem Tod war zweifellos ein Teil ihrer Identität”, bemerkte Orsouw über die letzten Jahre der hochgebildeten, aber launischen Frau.
Lucheni beendete seine Haft durch Suizid
Nach der Tat wurde der 25-jährige Arbeiter Lucheni sofort festgenommen und erfreute sich an seiner makabren Berühmtheit. In seinen eigenen Worten strebte er leidenschaftlich nach der Todesstrafe, doch diese war bereits im Kanton Genf abgeschafft worden. Sein Wunsch, deshalb in einem anderen Kanton vor Gericht gestellt zu werden, wurde abgelehnt. Im Jahr 1910 beendete Lucheni seine lebenslange Haft durch Suizid.
Das Interesse daran, ob sich das Gehirn eines Anarchisten von dem von rechtschaffenen Menschen unterscheidet, war 1910 groß. Dennoch ergab eine Untersuchung damals laut Eduard Winter von der Pathologisch-Anatomischen Sammlung des Naturhistorischen Museums (NHM) in Wien keine Auffälligkeiten. Luchenis Kopf wurde diskret von der Schweiz nach Österreich gebracht.
“Er wurde nie ausgestellt, sondern in einem Behälter auf einem Regal neben Köpfen mit Hautkrankheiten aufbewahrt”, berichtete Winter. Als eine Zeitung Anfang der 2000er Jahre darüber berichtete, bekundeten ein Hotelier und eine Gruppe namens “Luchenis Genossen und Genossinnen” sofort ihr Interesse. Um jegliche Sensationsgier im Keim zu ersticken, wurde der Kopf eingeäschert und in den anatomischen Gräbern des Wiener Zentralfriedhofs beigesetzt, wie Winter enthüllte.
Die letzte Reise von Sisi in ihre Heimat im Jahr 1898 hatte laut Orsouw eine besondere Bedeutung. Der Zug mit ihrem Sarg hielt in fast jeder Hauptstadt eines Kantons. Würdenträger und Zehntausende gewöhnlicher Bürger betrauerten die verstorbene Kaiserin. “Diese Huldigung und das beinahe monarchische Verhalten sind angesichts des demokratischen Charakters der Schweiz sehr bemerkenswert”, bemerkte der Autor. Das Attentat hatte nachhaltige Auswirkungen. Orsouw erklärte, dass die unzureichende internationale Polizeizusammenarbeit während der Ermittlungen noch im selben Jahr zur Gründung des Vorläufers von Interpol führte.