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Corona, Krieg und Bündniswirren: Ampelhalbzeit

Olaf Scholz, Robert Habeck, Christian Lindner
Erstes Bündnis von SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene: Die erste Hälfte der Legislaturperiode der Ampel-Koalition ist fast vorbei.

Man kann über Ampeln denken, was man will, aber eines ist unbestreitbar: Kaum eine andere neue Bundesregierung ist so turbulent in ihre Amtszeit gestartet wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

An diesem Dienstag jährt sich zum zweiten Mal die Wahl, die zum ersten Bundesbündnis zwischen Sozialdemokraten, Grünen und FDP geführt hat. Die erste Hälfte der Legislaturperiode ist nun vorbei. Sie war zunächst geprägt von der Corona-Pandemie, dann vom Krieg gegen die Ukraine und schließlich von anhaltenden Streitigkeiten innerhalb der Union um Heizungsgesetze oder grundlegende Kinderfürsorge. Die zweite Hälfte hätte für Traffic Lights nicht einfacher sein können.

Die erste Phase der Ampel: Abfahrt

Der Beginn der Ampel ist die Abfahrt. Als Bundeskanzler Schulz Mitte Dezember 2021 seine erste Regierungserklärung im Bundestag hielt, tauchte das Wort 10 und sogar 31 Mal auf. Damals wollte sich Traffic Light als Reformkoalition etablieren, die die großen Zukunftsthemen in Angriff nimmt: die Bekämpfung der globalen Erwärmung und den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft. Zudem stand damals noch der Kampf gegen das Coronavirus im Vordergrund. Bisher hatte noch niemand wirklich über Krieg nachgedacht. Die Regierungserklärung des Premierministers dauerte die Rekordzeit von 86 Minuten und erwähnte die Ukraine kein einziges Mal.

Ampelphase zwei: Wendepunkt

Die Abflugphase dauerte 82 Tage. Dann brachte der Angriff Russlands auf die Ukraine die Ampel in eine neue Realität. Am 27. Februar 2022 (drei Tage nach Kriegsausbruch) hielt Bundeskanzler Schulz im Bundestag eine Wenderede, in der er einen Paradigmenwechsel in der Außenpolitik herbeiführte, das Tabu der Waffenlieferungen an den laufenden Krieg brach und a Massive Aufrüstung der Bundeswehr.

Diese Krise hat das Bündnis zusammengeschweißt, auch wenn es Reibungen gibt – etwa bei der Geschwindigkeit der Waffenlieferungen. Vor allem gelang es der Allianz, besorgniserregende Engpässe bei der Energieversorgung zu vermeiden. Trotz der schlimmen Lage kam Deutschland erfolgreich durch den Winter.

Ampelphase 3: Crunch and Crumble

Am einjährigen Jahrestag des Kriegsbeginns im Februar 2023 sieht die Allianz ziemlich ordentlich aus. Sogar die ukrainische Regierung hörte auf, sich über die zögerlichen Deutschen zu beschweren, nachdem sie Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 zur Verfügung gestellt hatten.

Die Bundesregierung richtet ihre Aufmerksamkeit auf das Inland. Der Kanzler beginnt seine Geschichte mit der größeren Zuversicht, dass die großen Probleme, die vor uns liegen, endlich mutig angegangen werden müssen. Allerdings hat die Allianz den Übergang von der Krise zum Designmodus nicht gut gemeistert. Es fing an zu knarren und brach dann zusammen. Das Heizungsgesetz wurde zum Symbol für Uneinigkeit, Indiskretion und einen gravierenden Vertrauensverlust in der Bevölkerung.

Zwischenbilanz Eins: Umfragewerte

Bei den Ergebnissen handelt es sich um Umfragewerte, da die Ampeln zur Halbzeit der Legislaturperiode ziemlich niedrig und im Keller sind. Bei der Bundestagswahl 2021 erreichten Sozialdemokraten, Grüne und FDP zusammen 52 % der Stimmen. In der aktuellen Acht-Agentur-Umfrage liegt ihr durchschnittlicher Anteil bei 37,7 Prozent und damit weit entfernt von einer Mehrheit.

Laut einer YouGov-Umfrage im August waren 72 % der Deutschen mit der Regierungsarbeit in der ersten Hälfte der Wahlperiode unzufrieden. 68 % glauben nicht, dass dadurch die drängenden Probleme des Landes gelöst werden. Nur noch 18 Prozent glauben, dass das Ampel-Bündnis bei der Bundestagswahl 2025 wiedergewählt wird, wie Scholz es anstrebt.

Halbzeitbilanz zwei: Die Fakten

Allerdings steht nichts davon im Einklang mit den Schlussfolgerungen einer groß angelegten Studie der Bertelsmann Stiftung zur Umsetzung des Bündnisvertrags . Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Ampelregierung „insgesamt einen sehr guten Start hingelegt“ habe. Von den 453 Zusagen im Koalitionsvertrag wurden knapp zwei Drittel (64 %) umgesetzt (38 %) bzw. aktiviert (26 %). Der Anteil der mit Ampel erzielten Ergebnisse ist im Vergleich zur Vorgängerregierung etwas schlechter, die absolute Zahl der durchgeführten Regierungsprojekte ist jedoch höher.

Ist Governance mit Schalldämpfern wirksam?

Sind Ampeln wirklich besser, als ihr Ruf vermuten lässt? Ungeachtet dessen scheint die öffentliche Interaktion eines der größten Probleme zu sein, mit denen die Regierung konfrontiert ist. Vizekanzler Robert Harbeck sagte einmal: „Wir vermasseln uns immer wieder. Das ist natürlich kein langfristiges Erfolgsrezept.“ Später im Jahr beschlossen die Bündnispartner, in Meseberg bei Berlin eine neue Anlage zu bauen. Die Sommerfrische des Schlosses herrscht wie ein Schalldämpfer, wie Bundeskanzler Scholz es ausdrückte.

Ob sich dieser gute Vorsatz bewahrheitet, werden wir sehen, wenn im Oktober in den beiden bevölkerungsreichsten Bundesländern Landtagswahlen stattfinden. In Bayern und Hessen überschreitet die FDP die Fünf-Prozent-Hürde. Später machte sie in Berlin ihrem Unmut über frühere Wahlniederlagen auf Landesebene Luft. Auch die Sozialdemokraten werden sich unwohl fühlen. Die schwere Niederlage in Bayern dürfte erneut mit einstelligen Ergebnissen verdaut werden. Doch die Sozialdemokraten könnten nervös werden, wenn Scholz‘ Innenministerin Nancy Fesser (SPD) auch in Hessen klar scheitert.

Das Superwahljahr 2024 als Vorfeld der Bundestagswahl

Bayern und Hessen sind nur der Anfang einer Wahlreihe, die die Wahlen in der zweiten Jahreshälfte prägen wird Jahr. Der 9. Juni 2024 ist der Superwahltag, an dem in neun Bundesländern Europawahlen und Kommunalwahlen stattfinden. In Sachsen, Thüringen und Brandenburg finden im September Landtagswahlen statt. Unter den drei Ländern liegt die AfD mit Zustimmungswerten von über 30 % derzeit mit großem Abstand an der Spitze der Umfrage.

Der Aufstieg rechter Parteien hat die politische Debatte in Berlin maßgeblich bestimmt. Bundeskanzler Schulz hat sein Bestes gegeben, um vorherzusagen, dass die Unterstützung der AfD bei der nächsten Bundestagswahl nicht stärker sein wird als die 10,3 %, die sie bei der letzten Wahl erreicht hat, was der Hälfte ihrer aktuellen Umfrageunterstützung entspricht. Aber selbst die optimistischsten Mitglieder seiner eigenen Partei können es nicht glauben.

Die entscheidenden Themen in der zweiten Hälfte der Wahlperiode könnten darin bestehen, die wirtschaftliche Rezession zu überwinden, das Land von übermäßiger Bürokratie zu befreien und die wachsenden Einwanderungszahlen zu bewältigen. Erfolge in diesen Bereichen werden auch über das Schicksal der Ampeln entscheiden. Die Bundestagswahl 2025 hat jedenfalls bereits begonnen.

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